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Bald würde es dämmern. Einzelne Männer waren schon ins Zelt gerufen worden. Manche mussten nicht warten und bekamen sofort Zutritt. Meist Krieger in prächtigen Rüstungen. Sie trugen jene Pelze, für die sein Bruder gestorben war. Selbst bei dieser Hitze! Es waren Zeichen ihrer Würde. So wie die schweren goldenen Armreifen und die kostbaren Schwerter, die gewiss aus Eisen gefertigt waren. Es waren richtige Männer! Männer mit Bärten, von denen viele auch Narben trugen, die bewiesen, dass sie keine Feiglinge waren, wenn es hart auf hart kam. Einer von ihnen hatte Bamiyan besonders beeindruckt. Ein wahrer Riese! Sein Gesicht war voller Narben, und ihm fehlte eine Hand. Vielleicht sogar ein halber Arm, so genau hatte er das nicht erkennen können. Mit diesem Krieger kam der Tod, man musste ihn nur kurz anblicken und wusste es.

Ein wenig irritierte es Bamiyan, wie oft der weibische Kerl in das Zelt des Unsterblichen ging. Dass der Herr aller Schwarzköpfe so einen in seiner Nähe duldete … Er versuchte sich vorzustellen, worin dieser Mann mit dem Goldhaar gut sein mochte.

Bamiyan schloss die Augen und döste vor sich hin. Wie lange der Unsterbliche wohl noch Bittsteller empfangen würde? Man versorgte sie hier gut unter dem Sonnensegel. Es wurde frisches Brot gebracht, kaltes Hammelfleisch, mit Wasser verdünnter Wein und wunderbar süße Äpfel. Es wäre nicht schrecklich, hier noch einen weiteren Tag zu warten, dachte der Jäger. Aber der Steinrat hatte ihn gedrängt, schnell zurückzukehren. Sie sorgten sich um das Leben des heiligen Mannes. Wie lange würde er dem Zauber des Wassergeistes trotzen können? Wann war all seine Lebenskraft aufgebraucht? Gatha, der Schamane, war überzeugt, dass der Wassergeist den heiligen Mann langsam auszehrte.

Bamiyan strich über den Lederbeutel mit den Pfeilen, der neben ihm lag. Sie mussten den Geist besiegen! Er durfte nicht versagen. Aber wie sollte er den Unsterblichen überzeugen? Was zählte für den Herrscher Arams die Bitte eines einfachen Jägers?

Ein Raunen unter den Bittstellern ließ den Jäger die Augen aufschlagen. Eine seltsame Gestalt eilte dem Zelt entgegen. Sie ließ Bamiyan an einen aufrecht gehenden Schneeleoparden denken. Eine Kreatur halb Mann, halb Raubtier. Er trat in das Zelt des Unsterblichen.

Der Jäger sprang auf. Warum unternahmen die Wachen nichts? Wie konnte man so ein Ungeheuer einfach passieren lassen?

Bamiyan zog seinen Dolch und stürmte dem Zelt entgegen.

Auf ihn reagierten die Wachen augenblicklich. Sie senkten ihre Speere. »Der Unsterbliche!«, rief er aufgebracht. »Ihr müsst ihn beschützen.«

»Leg die Waffe nieder!«, herrschte ihn einer der Krieger an. Ein langer, drahtiger Kerl, so dürr, als hätte er Würmer.

»Aber da ist ein Ungeheuer im Zelt. Nicht gegen mich sollt ihr die Speere richten. Dort drinnen …«

»Die Waffe nieder!« Der Krieger tippte ihm mit der Spitze des Speers auf die Brust.

»Ich bin kein Ungeheuer!«, beschwerte sich Bamiyan lautstark, ließ seinen Dolch vorsichtshalber aber fallen.

Der Dürre setzte einen Fuß auf den Dolch und senkte seinen Speer. »So was kannst du nicht machen. Ein anderer hätte dich einfach aufgespießt, ohne groß zu fragen. Wir sind …«

Die Plane am Eingang des Zeltes wurde zurückgeschlagen, und der goldhaarige Höfling blickte heraus. »Was ist das für ein Geschrei? Was geht hier vor?«

Der Dürre grinste und zeigte auf Bamiyan. »Der wollte das Ungeheuer töten, das sich gerade ins Zelt geschlichen hat.«

Bamiyan konnte nicht verstehen, was der Leibwächter daran so lustig fand.

»Du bist der Jäger, den der Steinrat geschickt hat, nicht wahr? Bamiyan … Richtig?«

»Ja.«

Der bartlose Höfling winkte ihm. »Komm ins Zelt. Du sollst deinen Wunsch dem Unsterblichen vortragen. Er war so ausgefallen, dass ich noch nicht für dich vorgesprochen habe.«

»Aber …«

»Das Ungeheuer?« Der Goldhaarige lächelte. »Ja, natürlich. Das werde ich dir auch vorstellen.« Er blickte zu dem hageren Leibwächter. »Gib unserem Freund seinen Dolch zurück. Der Unsterbliche ist nicht in Gefahr.«

Bamiyan nahm seine Waffe und schob sie in den Gürtel zurück. Dabei ließ er eine Hand auf dem Griff. Er wollte auf jeden Fall bereit sein, wenn er diesem Katzenwesen gegenübertrat.

Das Zelt des Unsterblichen war in Halbdunkel getaucht. Es brannte nur eine einzige Öllampe. Bamiyan fand das Quartier überraschend karg. Es gab keinen Luxus. Kein Bett mit Seidenlaken. Keine goldenen Becher und Karaffen. Auf einem Holzbrett, das auf dem Sandboden stand, lagen Brot und Käse. Die Tische waren mit Schrifttafeln und großen, vollgeschriebenen Pergamentseiten bedeckt. Einzig der Waffenständer neben dem Nachtlager war außergewöhnlich. Darauf war eine prächtige Leinenrüstung drapiert, auf deren Bruststück ein Löwenhaupt prangte. Bronzene Beinschienen, deren Knieschutz einen Löwen zeigten, lehnten an einem großen, rechteckigen Schild, auf den das Bild eines bärtigen Mannes vor einem Feueraltar gemalt war. Dem Mann gegenüber stand der Löwenhäuptige, der Schutzherr Arams. Auf den Waffenständer war ein Maskenhelm gesetzt, der einem Löwenkopf nachempfunden war. Wer diese Rüstung trug, musste darin aussehen wie ein Gott, dachte Bamiyan ehrfürchtig.

Ohne Rüstung hingegen wirkte der Unsterbliche ganz und gar nicht Ehrfurcht gebietend. Er war nicht sonderlich groß, allerdings muskulös, und sein geölter Bart war dicht und zeigte kein einziges graues Haar. Der Herr aller Schwarzköpfe trug eine schmucklose Tunika. Seine Arme waren voller blauer Flecken und einer der Ellenbogen aufgeschürft. Bamiyan hatte davon gehört, dass der Herrscher Arams mit seinen Bauern und Kriegern ein Kampfspiel um einen sandgefüllten Ledersack ausfocht. Natürlich hatte Bamiyan diesen Unsinn nicht geglaubt! Doch jetzt kamen ihm Zweifel. Raufte sich dieser Herrscher mit seinen Männern? Der Jäger musste unwillkürlich lächeln. Er fand die Vorstellung nicht unsympathisch.

»Was ist dein Begehr?«, fragte der Unsterbliche. Seine Stimme klang fest, befehlsgewohnt, herrschaftlich. Plötzlich erschien es Bamiyan unmöglich, auch nur ein einziges Wort über die Lippen zu bringen. Er konnte Aaron nur anstarren.

»Mir scheint, man hat Euch einen Stummen als Boten gesandt«, erklang eine Stimme hinter ihm.

Der Jäger sah sich um. Dort stand der Katzenmann, dicht beim Eingang des Zeltes. Wie hatte er ihn übersehen können! Selbst jetzt schien diese Kreatur mit dem Zwielicht zu verschwimmen. Und wie kam es, dass solch ein Ungeheuer sprach?

»Darf ich dir Necahual vorstellen? Er ist ein Zapote und der Anführer der Jaguarmänner, die sich unserem Heer angeschlossen haben«, sagte der Bartlose. »Er verfügt über einige sehr besondere Eigenschaften.«

Bamiyan konnte den Blick nicht von dieser Kreatur abwenden. Da war ein Mann, der zwischen den Fangzähnen einer Raubkatze hervorblickte. Konnte es sein, dass er nur einen Helm und Fell trug? Dort, wo die Hände sein sollten, befanden sich schwarze Krallen. Sie schienen aus behauenem Stein zu sein.

»In meinem Volk gilt es als unhöflich, wenn man Fremde so unverhohlen anstarrt.«

Die Bestie konnte sprechen! Zwar mit starkem Akzent, aber doch verständlich.

Der Katzenmann bedachte ihn mit einem Lächeln, das Bamiyan einen Schauder über den Rücken jagte. Die Eckzähne des Katzenmanns waren unnatürlich spitz.

»Was ist dein Begehr, Jäger?«, fragte der Unsterbliche scharf.

»Ich … Ein Geist sucht ein Tal in den Bergen heim. Er hält einen Wunderheiler gefangen. Wir brauchen Eure Hilfe, Herrscher aller Schwarzköpfe. Die Geschichten um Euch sind selbst bis in unsere Berge gedrungen. Ihr erschlagt Geister, Herr. Bitte, gebt uns unseren Heiler zurück!«