Der Unsterbliche wechselte einen Blick mit dem Goldhaarigen.
»Ich kann dieses Heerlager nicht verlassen. Ich werde kommen, wenn die Schlacht gegen Muwatta geschlagen ist.«
Bamiyan wusste, dass Gatha mit dieser Antwort nicht zufrieden sein würde. Der alte Schamane wollte sofort losschlagen. Niemand konnte wissen, wie lange es dauerte, bis der Geist dem Wunderheiler alle Kraft gestohlen haben würde. Der Jäger nahm all seinen Mut zusammen. »Wenn wir unserem Heiler nicht schnell helfen, wird er sterben.«
»Das bedauere ich«, entgegnete der Unsterbliche ruhig. »Dennoch kann ich nicht von hier fort. Wenn dein einziges Anliegen ein Wunsch ist, den ich nicht zu erfüllen vermag, ist die Audienz nun beendet.«
»Es gäbe da vielleicht noch eine andere Möglichkeit«, mischte sich der Goldhaarige ein. »Bamiyan hat mir von Pfeilen berichtet, die den Geist vielleicht töten könnten.«
Der Jäger kniete nieder. Vor diesem Augenblick hatte er sich gefürchtet. Wie konnte er den Unsterblichen um das bitten, was Gatha sich wünschte? Mit klopfendem Herzen zog Bamiyan das Bündel Pfeile aus der Ledertasche und hielt es dem Unsterblichen entgegen. »Herr aller Schwarzköpfe, König Geisterschwert, ich bitte dich, gib mir von deinem Blut, um diesen Pfeilen die Kraft zu schenken, einen Geist für immer aus der Welt der Lebenden zu bannen.«
»So soll es sein.«
Bamiyan blickte überrascht auf. Nie und nimmer hatte er damit gerechnet, dass der Unsterbliche sein Blut für sie vergießen würde.
»Heute gebe ich dir von meinem Blut«, sagte der Herrscher aller Schwarzköpfe feierlich, »doch wenn der Tag der großen Schlacht kommt, dann erwarte ich von dir, dass du mit deinem Blut für meine Krieger einstehst. Der Ruhm der Bogenschützen aus den Bergen Garagums reicht bis zu den Palästen am Meer. Es gibt niemanden in meinem Reich, der sich mit euch messen kann. Bringe mir so viele von euren Bogenschützen, wie dir folgen mögen, und begleiche deine Blutschuld.«
»Ja, Herr …«, stammelte Bamiyan, überwältigt von Stolz und Freude.
Der Unsterbliche nahm ein Messer und trat um den Tisch herum. Er setzte die silberne Klinge auf seinen Handballen und drückte sie ohne zu zögern in sein Fleisch. Dunkles Blut troff auf die Pfeilspitzen.
»Ich wünsche dir und dem Steinrat Glück bei eurer Jagd, Bamiyan«, sagte der Unsterbliche feierlich.
Der Jäger erhob sich und bedankte sich voller Inbrunst. »Mein Bogen gehört dir, Herrscher aller Schwarzköpfe. Und es wird nicht der einzige sein, den ich dir bringe.«
Der Tag der Schlacht
Artax sah dem jungen Jäger nach. Was für ein Geist das wohl sein mochte, fragte er sich. Vielleicht sollte er doch das Heer für ein paar Tage verlassen? Er blickte zu Necahual. Der Anführer der Zapote schien selbst inmitten seines Zeltes kaum mehr als ein Schatten zu sein. Kurz war Artax versucht, weitere Lichter zu entzünden, aber das wäre ein Zeichen der Schwäche.
Du solltest ihn gar nicht in deiner Nähe dulden, meldete sich Aarons Stimme. Man kann diesen Zapote nicht trauen.
»Du wolltest mir erläutern, warum wir das Tal hinter dem Heerlager Muwattas nicht erkunden können«, griff Artax ihr Gespräch an jener Stelle wieder auf, an der es abgerissen war, als Datames den Jäger ins Zelt geholt hatte.
»Der geflügelte Tod wacht jenseits des trockenen Flusses. Ich habe in der letzten Nacht zwei meiner Krieger verloren. Es ist aussichtslos. Ich werde keinen weiteren Mann opfern.«
»Der geflügelte Tod?«
»Necahual meint Išta«, mischte sich Datames ein. »Mir scheint, Muwatta steht sehr hoch in ihrer Gunst. Sie ist ihm eine große Hilfe.«
Artax hatte verstanden, was unausgesprochen geblieben war. Der Löwenhäuptige half ihnen nicht. Er war nur ein einziges Mal nahe dem Heerlager erschienen. Nachdenklich betrachtete er Necahual. Die Zapote hatten nur eine einzige Nacht benötigt, um dafür zu sorgen, dass Muwatta keine Späher und Meuchler mehr über den Fluss schickte. Ihnen allein oblagen nun die Nachtwachen, und seit sich das im Heer herumgesprochen hatte, verließ niemand mehr bei Nacht das Lager.
Es ist nicht klug, sich diesen Daimonen ganz und gar anzuvertrauen, warnte Aarons Stimme.
»Du und deine Männer, ihr solltet an den Übungen teilnehmen, damit das Band zu meinen Kriegern stärker wird. Sie müssen euch in der Schlacht vertrauen.«
Necahual schüttelte den Kopf. »Nein, Unsterblicher Aaron. Dieser Bitte können wir nicht Folge leisten.«
Unsterbliche bitten nicht, sie befehlen. Lass dir von diesem Wilden nicht auf der Nase herumtanzen!
»Du widersetzt dich meinem Willen, Necahual?«
»Ich denke nur an das Wohl deiner Krieger«, entgegnete der Zapote glattzüngig. »Wir üben das Töten nicht. Wenn die Tempelwachen der Gefiederten Schlange ihre Waffen erheben, dann muss Blut fließen oder wir verlieren unsere Ehre unter den Augen der Götter.«
»Wie wollt ihr mit meinen Kriegern kämpfen, wenn ihr nie gemeinsam geübt habt?«
»Meine Männer würden niemals an der Seite von Bauern kämpfen.«
Wie lange willst du dich noch von diesem Katzenmann verhöhnen lassen? Lass dem Kerl den Kopf abschlagen und noch ein paar anderen dazu, dann werden selbst diese Wilden lernen zu gehorchen.
Artax blickte zu Datames. Sollte er reden! Artax war nicht länger geneigt, sich beleidigen zu lassen.
»Wie würdest du deine Krieger denn einsetzen, hättest du die Wahl, dich frei zu entscheiden? Die Frage ist natürlich rein theoretisch, denn über die Befehle eines Unsterblichen wird hier ebenso wenig diskutiert wie in Zapote.«
Artax musste sich hüten, nicht zu lächeln. Manchmal war Datames einfach brillant!
Die Warnung in den Worten des Hofmeisters war unmissverständlich gewesen, doch Necahual zeigte sich nicht im Mindesten beeindruckt. »Meine Männer verstecken sich nicht hinter hohen Schilden. Wir bilden eine weite Linie. Jeder kämpft für sich allein, zu Ehren der gefiederten Schlange. Wir wären am besten eingesetzt, wenn wir eine der beiden Flanken verteidigen könnten.«
Der Kerl ist größenwahnsinnig! Da hilft nur köpfen!
»Ihr wollt eine Flanke verteidigen? Ganz allein?« Jetzt war auch Aaron außer sich. »Wisst ihr, was das bedeutet? Vielleicht kann Muwatta zweitausend Streitwagen in die Schlacht führen. Er wird sie auf einer der beiden Flanken einsetzen. Ihr seid zweihundert. Wie wollt ihr da siegen?«
»Wie wir immer siegen. Wir werden sie töten. Erst die Pferde, dann die Männer.«
Verrückt! Vollkommen verrückt, der Kerl!
Artax wünschte sich, er könnte im Antlitz des Zapote lesen, doch es war fast völlig durch den Jaguarhelm verdeckt. Die Stimme des Kriegers hatte nicht so geklungen, als ob er scherzte. Er schien von dem überzeugt zu sein, was er sagte. »Und ihr wollt keine Unterstützung?«
»Nicht Zahlen entscheiden über den Ausgang von Schlachten«, entgegnete Necahual ruhig. »Mut und Geschick der Krieger bringen Sieg oder Niederlage. Und die Fähigkeit der Männer, im Angesicht des Feindes ein kaltes Herz zu bewahren. Unser Vorteil ist, dass uns nicht alle zweitausend zur gleichen Zeit angreifen können. Sie werden einander behindern. Und wir werden sie töten. Die Flanke, auf der wir stehen, wird gehalten werden.«
Artax fand die Selbstsicherheit des Zapote zunehmend verunsichernd. »Ich werde mich mit Datames über deinen Vorschlag beraten. Du darfst nun gehen.«
Necahual ging ohne Gruß und ohne eine Geste der Ehrerbietung. Artax fragte sich, warum diese Krieger hierhergekommen waren. Dies war nicht ihr Kampf, das zeigten sie überdeutlich. Was hatten Volodi und Kolja getan, um die Zapote in diesen Krieg hineinzuziehen?
»Du solltest ihm nicht zürnen. Er war nützlich, um die Spitzel und Meuchler Muwattas zu vertreiben. Wenn sie über uns wachen, kann jeder im Lager ruhiger schlafen.«
Artax kannte die Geschichten, die sich die Männer im Heer über die Daimonen erzählten. Er bezweifelte, dass jemand ruhiger schlief.