Ein Schwanzhieb traf ihren Aal.
Galar wurde gegen die Bootswand geschleudert. Hornbori stürzte und rutschte halb unter die sich drehende Kurbelwelle.
Der Schmied hörte, wie die Knochen des Klugschwätzers brachen.
Nyr stemmte sich gegen die Pedale, um jede weitere Drehung der schweren Eisenwelle zu stoppen.
Eine weitere Daube ihres Aals brach. Immer schneller füllte sich ihr kleines Tauchboot mit Wasser.
Galar versuchte, seinen Gefährten unter der Welle hervorzuziehen. Hornbori presste die Lippen zusammen und kämpfte dagegen an aufzuschreien. So viel Mannhaftigkeit hätte er dem Schisser gar nicht zugetraut.
Als er Hornbori endlich freibekam, sah er, dass dessen linkes Bein dicht über dem Fußknöchel um fast neunzig Grad verdreht war. Der Fuß hing schlaff herab wie eine welke Blume von einem kraftlosen Stängel.
»Ich rede mit unseren Rettern«, stieß Hornbori gepresst hervor.
Galar sah ihn nachdenklich an. »Bist du …«
»Reden ist das Einzige, was ich wirklich gut kann. Wortgeplänkel, das sind meine Schlachten.« Er blickte auf sein Bein. »Das ändert nichts an unseren Plänen. Wir werden genau das tun, was wir …«
Ein dumpfer Schlag. Metall kreischte auf. Galar duckte sich instinktiv. Diesmal hatte es ganz anders geklungen.
»Scheiße …«, stieß Nyr hervor. »Bist du sicher, dass wir willkommen sind?«
Der Schmied drehte sich um. Hinter ihm ragte eine verbogene Speerspitze in den Bootsraum. Sie hatte ihn um gut einen Fuß verfehlt. Aber hätte er Hornbori nicht aufgeholfen …
»Die schießen auf die Weißen Schlangen. Der Speer war nicht für uns bestimmt.«
Keiner der beiden sagte etwas darauf. Sie alle starrten auf den verzogenen Stahl.
Der Rumpf des Bootes schrammte über Fels.
»Festhalten!«, rief Galar und stürzte selbst fast.
Ihr Aal ruckte, als kämpfe er dagegen an, an Land gezogen zu werden.
Hornbori stöhnte vor Schmerz. Frar gab eigenartige Laute von sich, als wisse er nicht, ob er wimmern oder jauchzen sollte.
Das Tauchboot blieb liegen. Drei Hiebe wie Hammerschläge trafen die Außenwand. »Ihr könnt herauskommen! Ihr seid in Sicherheit!«
Galar stieg als Erster die Leiter hinauf. Er entriegelte das Luk. Um den Aal herum stand ein Dutzend Zwerge mit Fackeln in den Händen. Ihr Aal lag auf einem flachen Felsen, in dessen Mitte sich ein schwarzer Turm erhob, der bis zur Höhlendecke reichte. Etwas mehr als vier Schritt hoch, schätzte Galar.
Auf fest am Boden verankerten Drehkreuzen standen fünf Speerschleudern. Richtschützen blickten aufmerksam auf den schwarzen See hinaus. Mehr als schäumendes Wasser vermochte Galar dort draußen nicht zu erkennen. Wie viele Seeschlangen dort wohl noch lauerten? »Kommt her und verreckt!«, rief er ihnen entgegen und war froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
»Wer zum Henker seid ihr?« Zwischen den Zwergenkriegern schob sich ein graubärtiger Alter hindurch. Er stützte sich schwer auf eine Krücke. Sein rechtes Bein endete in einem narbigen Stumpf, der aus einer abgeschnittenen Lederhose ragte. Es war dicht über dem Knie amputiert. Auch von seinem rechten Arm waren ihm nur wenige Zoll geblieben. Das rechte Auge war unter einer schwarzen Klappe verborgen, auf die mit Goldfaden ein strahlendes Auge aufgestickt war. Die rechte Gesichtshälfte war von tiefen Narben entstellt.
»Starr mich nicht an, du Wicht! Wie heißt du? Und woher kommt ihr? Und warum folgt euch ein verdammtes Rudel von Weißen Schlangen? Was habt ihr getan? Von den Mistviechern habe ich noch nie mehr als zwei zusammen gesehen.«
»Wir kommen aus der Tiefen Stadt«, sagte Galar stockend. Sie hatten im Boot lange darüber gesprochen, was sie erzählen würden. Auf keinen Fall die Wahrheit! Niemand würde die drei Zwerge bei sich aufnehmen, um derentwillen eine ganze Stadt vernichtet worden war.
»Und weiter?«, herrschte ihn der halbe Zwerg an.
»Du hast es noch nicht gehört?«
»Was gehört?«
»Ein ganzes Heer von Drachen hat die Tiefe Stadt überfallen. Alle sind tot … alle …« Galar stockte die Stimme. Es war anders, zu jemandem zu sprechen, der nicht dabei gewesen war. Schlimmer!
»Es gibt keine Drachenheere, du Wicht!«
»Ebenso wenig wie es Rudel von Weißen Schlangen gibt, nicht wahr, halber Wicht!«
»Du … Du …« Sein Gegenüber sah aus, als würde er vor Aufregung gleich von seiner Krücke kippen.
»Ich entschuldige mich … für ihn.« Hornbori schob sich mit schmerzverzerrtem Gesicht durch das Luk. »Mein Gefährte Onar ist nur ein Werftarbeiter. Ich fürchte, es mangelt ihm an Überblick und den sprachlichen Möglichkeiten, die Sachlage richtig darzustellen.«
»Wer bist denn du, Wortefurzer?«
Galar konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Der Einbeinige hatte Hornbori auf Anhieb richtig eingeschätzt. Das machte ihn in den Augen des Schmieds sofort sympathischer.
Hornbori ließ auch diese Beleidigung, wie stets, ungerührt über sich ergehen. »Mein Name ist Hreidmar. Ich leitete das Kontor der ehrenwerten Dame Amalaswintha.« Er stöhnte. »Und es wäre überaus freundlich, wenn deine Männer mich aus dem Aal ziehen könnten. Ich fürchte, ich habe mir unter der Kurbelwelle wohl den Fuß gebrochen.«
Der Einbeinige bedeutete einigen seiner Leute, Hornbori zu helfen, und wandte sich wieder an Galar. »Mich würde doch sehr interessieren, wie Drachen eine Stadt tief unter einem Berg angreifen können.« Er fixierte den Schmied mit seinem verbliebenen Auge. Es war ein stechender, unangenehmer Blick.
»Sie haben Flammen durch die Luftschächte gespien. Überall zugleich … Dann konnte man plötzlich tief im Berg nicht mehr atmen. Und es kamen noch ihre Elfenmörder und mindere Drachen. Ich glaube, wir haben als Einzige überlebt.«
»Feiglinge seid ihr also …«
»Sehe ich aus wie ein Feigling?« Galar griff nach der Lederweste des Einbeinigen, wurde aber sofort von dessen Männern zurückgezerrt. Der Schmied riss sein Wams auf, sodass die mit groben Kreuzstichen vernähte frische Narbe zu sehen war. »Sieht so ein Feigling aus? Schau im Aal nach, da liegt die Kralle eines Tatzelwurms, den ich erlegt habe. Ich bin …«
»Genug«, knurrte sein Gegenüber und musterte ihn immer noch abschätzend. »Wie habt ihr diesen Turm gefunden?«
Hornbori war inzwischen aus dem Luk gehoben worden. Man hatte ihm ein Seil unter den Achseln hindurchgezogen und ließ ihn seitlich am Boot herab. »Ich schätze, wir sind vom Kurs abgekommen«, stieß er stöhnend hervor. »Vielleicht durch die Angriffe der Weißen Schlangen. Wir wollten ein flaches Felsriff ansteuern, das auf unserer Karte eingezeichnet ist, dort frische Luft in den Aal lassen und uns ein wenig die Beine vertreten.«
»Ihr habt das Riff um Meilen verfehlt.« Der Einbeinige wandte sich Hornbori zu und musterte auch ihn mit verdrießlichem Blick. »Geradezu ein Wunder, dass ihr hier gelandet seid.«
»Leih uns ein paar deiner Männer, mach unseren Aal wieder seetüchtig, und wir verschwinden umgehend, Glamir von den Ehernen Hallen.« Hornbori hatte eine Härte in diese Worte gelegt, die ihm Galar gar nicht zugetraut hätte.
»Du kennst mich also«, entgegnete der Griesgram.
»Du bist unverwechselbar, Glamir, wenn man einmal von dir gehört hat. Glamir der Schmied, der halbe Mann, der immer noch unvergleichliche Klingen erschafft. Glamir Schlangentöter. Glamir Eisenhand, der einsame Glamir. Es gibt viele Namen, die man dir gegeben hat. Vielleicht wird bald noch Glamir Kindstöter dazukommen.«
»Wie meinst du das, Wortefurzer?«
»Wir haben ein Kleinkind an Bord. Vielleicht das einzige überlebende Kind der Tiefen Stadt. Du weißt genau, was geschehen wird, wenn du uns mit dem Aal wieder hinausschickst.«
Genau in diesem Augenblick erschien Nyr mit Frar auf dem Arm in dem Luk. Der Kleine sah gut gelaunt aus. Augenscheinlich war er froh, der Enge des Aals zu entkommen und ein wenig frische Luft zu schnappen. Er blickte zu den Zwergen, die um das Tauchboot standen, und grüßte sie mit einem fröhlichen Dong, Dong.