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Jetzt wurde auch Narek ein wenig mulmig. »Wir schaffen das schon«, sagte er, ohne seinen eigenen Worten zu glauben.

»Du wirst dich hinten halten, hast du verstanden?«

Er schüttelte verärgert den Kopf. Ständig wollten ihn alle beschützen. Erst Lamgi, dann Ashot. Was dachten die sich? Dass er ein Feigling war? »Ich kämpfe wie alle anderen auch!«

»Du willst doch Daron und Rahel noch einmal wiedersehen.«

»Ich will nicht haben, dass mich jeder im Dorf einen Hasenfuß nennt …«

»Und ich habe Rahel versprochen, dich lebend nach Hause zu bringen! Du wirst eine ehrenvolle Aufgabe bekommen. Und wenn du dich meinen Befehlen widersetzt, dann sorge ich dafür, dass du die Schlacht in Fesseln im Lager der Weiber verbringst.«

Die den Göttern trotzte

Kara schob den Riegel zurück und hielt inne. Sie wappnete sich für den Anblick, der sie erwartete. Dann öffnete sie die Tür und betrat das Zimmer der Prinzessin. Shaya kauerte in einer Ecke. Der ganze Raum stank nach Fäkalien.

»Ich bringe Euer Essen, Prinzessin.«

Die Barbarin hob den Kopf. Ihr linkes Auge war noch immer zugeschwollen, wie vor drei Tagen, als sie zurückgekommen war. Sie lächelte Kara an. Aber es war ein unheimliches Lächeln, in dem kein Verstand mehr lebte. Shaya zog den roten Seidenfetzen zur Seite, den sie an ihren Leib gedrückt hatte, und spreizte ihre Beine. Die Innenseiten ihrer Schenkel waren voller Blutergüsse. »Willst du Liebe mit mir machen?«

Kara stellte die Schüssel mit Hirsebrei ab und floh zur Tür zurück.

»Komm, liebe mich!« Ein anzügliches Stöhnen begleitete die Worte der Prinzessin.

»Was haben sie Euch nur angetan …«

Nichts erinnerte mehr an die stolze Kriegerprinzessin, die ihr erst vor vier Tagen im Garten aufgelauert hatte. Rotz troff aus Shayas Nase, ihre Lippen waren aufgesprungen, ihr ganzer Leib mit Goldstaub und getrocknetem Blut bedeckt. Und ihr Blick … Er hatte nichts Menschliches mehr. Kara hatte einmal sagen hören, die Augen seien die Fenster zur Seele. Seitdem achtete sie besonders auf die Augen der Menschen. Und es war wahr! Man konnte in ihren Augen ihre Seele sehen.

Bei Shaya gab es nichts mehr zu sehen. Ihre Seele hatte sie verlassen.

»Komm!« Die Prinzessin strich sich mit der rechten Hand über ihren geschundenen Leib und ließ sie zuletzt auf ihrer blutverkrusteten Scham ruhen. Ganz gleich, was für Anzüglichkeiten sie von sich gab, sobald man sie berührte, begann sie zu kreischen wie ein Tier. Es war unmöglich, sie zu waschen.

»Ihr müsst essen, Herrin«, sagte die Priesterin traurig.

Statt zu antworten, presste sich Shaya das Kleid an den Leib und senkte den Kopf, sodass ihr strähniges Haar ihr Gesicht verbarg.

Die Mutter der Mütter trat hinter Kara in die Tür. »Sieh gut hin, mein Kind! Das geschieht, wenn man die Götter herausfordert! Sie glaubte, sie könne Išta trotzen, diese Närrin.«

»Aber wenn wir sie pflegen und sie hier ihren Frieden findet …«

»Nur wer Verstand hat, kann Frieden oder Unfrieden empfinden. Sie ist weit jenseits davon«, entgegnete Tabitha, und ein hartes Lächeln lag auf ihren schmalen Lippen. »Ich wusste schon am ersten Tag, dass es so enden würde. Sie ist kein Mensch mehr. Du wirst sie von hier fortbringen und zu den Ziegen stecken. Von heute an soll sie ein Tier unter Tieren sein.«

»Aber …« Kara war fassungslos. »Sie ist die Braut des Unsterblichen. Wir werden ihn erzürnen, wenn wir …«

»Sie ist gar nichts mehr!«, sagte die Hohepriesterin voller Genugtuung. »Für den Unsterblichen wäre sie von Bedeutung, wenn sie sein Kind empfangen hätte. Aber wir beide wissen, dass sie nicht schwanger sein kann. Tu also nicht weiter so entrüstet. Du hast an ihrem Schicksal mitgewirkt.«

Kara neigte demütig das Haupt. Sie würde die Mutter der Mütter nicht weiter erzürnen.

Schlachtpläne

Artax beugte sich über den Tisch, den Datames für diesen Abend vorbereitet hatte. Aus Sand und Steinen war darauf das Gelände der Hochebene modelliert. Bemalte Steine stellten die beiden Heerlager dar. Muwattas war schwarz, ihr eigenes weiß. Aaron musste über die Verteilung der Farben schmunzeln. Am Rand des Tisches lagen Dutzende schwarzer und weißer Holzklötze, auf die Symbole aufgemalt waren. Offensichtlich sollten sie die verschiedenen Truppen darstellen.

Mataan, der Fischerfürst, und Volodi traten in das Zelt. Sie alle trafen sich bei Datames. Es musste fast schon Mitternacht sein. In vier Tagen würde die Schlacht geschlagen werden. Heute wollte Artax sich nur mit seinen engsten Vertrauten beraten. Erst am Abend vor der Schlacht würde er alle Satrapen und die neu gewählten Anführer der Tausendschaften hier versammeln, um ihnen seine Pläne darzulegen. So spät, dass es hoffentlich unmöglich war, Muwatta diese Pläne zu verraten. Artax ging davon aus, dass der Unsterbliche Spitzel in sein Heerlager eingeschleust hatte. Dieses Mal sollten sie Muwatta nicht von Nutzen sein!

Bislang hatte Artax alle Schlachtpläne nur mit Datames besprochen, um alles so geheim wie möglich zu halten. Und er hatte das Gefühl, dass Datames einige Dinge betrieb, die er nicht einmal ihm, seinem Herrscher, verraten hatte.

Mataan, der große, sonnengebräunte Krieger, der Juba hatte ersetzen sollen, blieb distanziert. Äußerlich hatte er sich nicht verändert. Er trug nur einen einfachen Wickelrock und Sandalen. Er hätte ein reicher Bauer sein können. Wie ein Satrap sah er nicht aus. Und doch hatte das Gesetz über die Landreform für die Bauern Mataan von ihm entfremdet. Er war kühl und distanziert geworden.

Ganz anders Volodi. Der Drusnier lächelte gut gelaunt. Seine grellblaue Tunika war mit breiter, roter Borte abgesetzt. Zwei goldbeschlagene Gürtel kreuzten sich über seiner Brust, und über den Schultern ragten zwei Schwertgriffe auf. Artax bemerkte die beiden mit Ösen versehenen Zinnmünzen, die an einem dünnen Lederriemen vom Hals des Söldners hingen. Es waren die Ehrenzeichen für zwei Schlachten, die der Drusnier für ihn geschlagen hatte. Ein Kampf noch, dann war seine Schuld abgetragen, und er sowie die meisten anderen der Zinnernen waren wieder frei.

»Ich habe noch einen weiteren Gast eingeladen«, eröffnete Datames. »Ich fand, dass in unserer Runde die Meinung der Mehrheit unserer Krieger etwas zu schlecht vertreten sei.«

Mataan blickte stirnrunzelnd zu Artax.

Artax hasste diese Art von Überraschungen, mit denen Datames in letzter Zeit allzu gerne aufwartete, versuchte sich seine Gefühle jedoch nicht anmerken zu lassen. »Es geschah auf meinen Wunsch hin«, log Artax, um vor den beiden Kriegern nicht das Gesicht zu verlieren.

»Vielleicht mag einer der Herren einen Wein?«, bemühte sich Datames die Stimmung aufzulockern. »Ich habe einen ganz exquisiten Roten von den Aegilischen Inseln. Ein Wein, wie es ihn nur ein Mal in einem Jahrzehnt gibt.«

Volodi nahm an und ließ sich einen goldenen Pokal einschenken. Mataan hingegen stand schweigend mit über der Brust gekreuzten Armen am Tisch und blickte auf das Schlachtfeld.

Volodi nahm einen tiefen Schluck und machte eine ausholende Bewegung, die den ganzen Tisch umschloss. »Ist sich hübsche Sandkarte.« Mit diesen Worten stellte er den Pokal zwischen die schwarzen Steine, die Muwattas Heerlager symbolisierten.

Datames räusperte sich. »Wenn du ihn ein wenig nach links rückst, könnte er das magische Portal darstellen. Das habe ich ganz vergessen.«

Der Drusnier rückte einige der Steine zur Seite, die die flache Hügelkette auf der anderen Seite des trockenen Flusses darstellten, stellte den Weinpokal ab, verrückte ihn zweimal ein wenig und nickte dann zufrieden. »Ist sich Stelle von Tor hier!«

In diesem Moment betrat Ashot das Zelt. Er hatte sich herausgeputzt, trug seinen Glockenkürass und den Helm unter den Arm geklemmt. Als er erkannte, wie formlos die anderen erschienen waren, legte sich ein grimmiger Ausdruck auf sein Gesicht. »Hier ist der Bauer, den ihr zu sehen wünschtet«, sagte er frostig anstelle einer Begrüßung.