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Barnaba spürte einen festen Griff. Er wurde emporgezogen. Überall waren Hände. Sie zerrten an ihm, zerrissen seinen Traum. Er wollte aufwachen, wollte dem grässlichen Alb entfliehen. Ein Fels rollte auf seine Brust. Unsichtbar? Um ihn herum waren nur Hände. Weit fort verschwommene Grimassen. Ihm wurde die Luft abgedrückt, als sei etwas Riesiges auf ihn gerollt. Barnaba bäumte sich auf. Er musste sich erbrechen, spie Wasser.

Keuchend rang er um Luft. Seine Lungen brannten. Er fühlte sich entsetzlich schwach. Um ihn herum brandeten Stimmen durcheinander. Den Worten konnte er keinen Sinn abringen.

»Sie sind verbunden!«

»Schnell ein Messer! Gebt mir ein Messer!«

»Bei den Göttern!«

Ein dumpfer Schmerz fuhr in seinen Bauch. Tränen blendeten ihn. Wieder verschwammen die Gesichter.

»Ist sie tot?«

»Sie zuckt noch …«

»Lasst euch nicht von ihr täuschen!«

»Ja, so ist’s gut! Spießt sie auf!«

Barnaba blinzelte gegen die Tränen an. Zottelige weiße Haare streiften sein Gesicht. Ein zahnloser, von Falten umkränzter Mund klaffte unter harten Augen, die von roten Adern durchzogen waren. »Komm zu uns zurück, Heiliger Mann! Wir haben die Daimonin besiegt. Du bist gerettet.«

Barnaba erkannte die Stimme. Gatha, der Schamane. Er war einer der Anführer der Bergstämme. Ein Mitglied des Steinrates. Erst als Gatha ihn zu einem Heiligen Mann erklärt hatte, war er durch die Stämme unterstützt worden.

Barnaba versuchte sich aufzusetzen. Er fühlte sich schwach wie ein Kind. »Was ist geschehen?«

»Sie hatte dich verhext, aber ihr Zauber ist für immer gebrochen.«

Der Schamane half ihm in eine aufrechte Position. Obwohl Barnaba nur saß, wurde ihm sofort wieder schwindelig. Er blickte zu den wohlvertrauten Bergen seines kleinen Tals auf. Jetzt erinnerte er sich an den Sturz … und sah an sich herab. Es waren Narben geblieben, wo seine gesplitterten Knochen durch Fleisch und Haut gestoßen waren. Vorsichtig bewegte er ein Bein. Er hatte keine Schmerzen. Aber er war unglaublich schwach.

Blut rann zwischen seinen Schenkeln hinab. Ein dünnes, versiegendes Rinnsal. Sein Bauchnabel war aufgeschnitten. Verwundert tastete er nach der Wunde. Sie schmerzte kaum.

Jäger, bewaffnet mit Bögen, standen in engem Kreis um ihn. Die meisten grinsten und feixten. Einige erkannte er. Den jungen Bamiyan, dem er zwei Mal begegnet war, als er das Tal verlassen hatte, um neue Vorräte zu besorgen. Und den rotbärtigen Ormu, der ihm vor vielen Monden in der Einsamkeit der Wildnis begegnet war und mit dem er zwei Nächte lang ein Lager geteilt hatte.

»Macht Platz!«, verlangte Gatha. »Macht schon! Er soll die Daimonin sehen, von der wir ihn befreit haben, die sich von seinem Blut und seiner Seele nährte.«

Die Jäger wichen zurück und gaben ihm den Blick frei auf den geschundenen Leib einer nackten Frau. Ein halbes Dutzend Pfeile hatte sie durchbohrt. Weit aufgerissene, grüne Augen starrten Barnaba an. Ein Zittern lief durch ihren Leib. Mit letzter Kraft streckte sie ihm eine Hand entgegen. Er erstarrte. Ikuška war kein Traum gewesen!

»Gebt ihr den Rest!«, befahl Gatha.

Barnaba warf sich mit einem gellenden Schrei nach vorne und versuchte Ikuška vor den grausamen Jägern zu beschützen. »Tötet sie nicht! Sie hat mich gerettet.«

Die Männer hielten inne, blickten fragend zum Schamanen.

»Er ist doch noch besessen«, sagte Gatha verärgert. »Schlagt ihn mit den Bögen. Daimonen fürchten Schmerz. Sie wird seinen Leib bald verlassen.«

Hiebe prasselten auf Barnaba nieder. Er hielt Ikuškas Hand, versuchte mit seinem Leib ihren Körper zu schützen.

Die Jäger wollten ihn fortzerren, doch er ließ seinen Griff nicht locker. Nicht einmal, als ein Stiefel auf seine Hand niederfuhr.

»Rette dich!« Ihre Stimme war nur noch ein kraftloser Hauch. Er las die Worte mehr von ihren Lippen, als dass er sie hörte. Ihr Blick brach. Aus ihren wunderschönen, grünen Augen war alles Leben gewichen.

Barnaba schluchzte auf, versuchte sie zu sich heranzuziehen. Immer noch schlugen die Jäger mit ihren Bögen auf ihn ein. Sein ganzer Leib war von roten Striemen gezeichnet.

Ormu nahm eine Axt und hackte Ikuškas Hand ab, die Barnaba immer noch hielt.

»Schafft ihn fort von ihr!«, befahl Gatha. »Das wird das Band der Daimonin lösen.«

Ein Schlag traf Barnaba quer übers Gesicht. Er hatte den metallischen Geschmack von Blut im Mund. Seine Kräfte schwanden. Irgendjemand entwand ihm Ikuškas Hand.

»Höre mich, Daimonin«, rief Gatha mit lauter Stimme. »Deine Macht ist gebrochen. König Geisterschwert will dich gebannt sehen. Er gab von seinem Blut, damit unsere Pfeile deinen Leib töten können. Fliehe, solange du noch kannst. Denn wirst du bleiben, wird er kommen, um deinem Sein für immer ein Ende zu bereiten!«

Barnaba traute seinen Ohren nicht. »Aaron?«

»Ja, der Unsterbliche selbst wird dich bannen, Daimonin! Flieh! Es wird keine zweite Gelegenheit mehr geben!«

Ein Hieb traf Barnaba so heftig in den Rücken, dass er vornübersackte. »Aaron«, wiederholte er ungläubig. War sein Leben denn verflucht? War es ihm bestimmt, dass der Unsterbliche immer wieder sein Glück zerstörte?

Weitere Hiebe ließen Barnaba aufstöhnen. Er hob die Arme. »Sie ist geflohen. Ich bin wieder ich selbst. Ich … ich danke euch«, kam es matt über seine Lippen.

Gatha sah ihn misstrauisch an. »Die Daimonin ist listenreich. Wir müssen ganz sicher sein, dass wir sie ausgetrieben haben.« Er deutete auf Ikuškas Leichnam. »Verbrennt ihren Leib! Und mit glühenden Hölzern aus diesem Feuer werden wir sie auch aus dem Leib unseres Heiligen Mannes vertreiben.«

Mit Entsetzen sah Barnaba zu, wie sie dürres Holz aus seinem Wintervorrat holten, Öl darübergossen und Ikuškas Leib in die Flammen warfen.

»Ich bin geläutert«, beteuerte er, doch Gatha schüttelte nur den Kopf.

»Noch sind es die Worte der Daimonin, die in dich gefahren ist, die über deine Lippen kommen. Aber wir werden dich retten. Vertrau mir, mein Freund.«

Die Jäger zogen glühende Äste aus dem Feuer.

»Holt ihn zurück! Lasst die Daimonin die Glut fühlen.«

Von allen Seiten drangen sie auf ihn ein, peinigten ihn, bis er schreiend seine Liebe verleugnete und in die Flammen auf den Leib Ikuškas spuckte.

Innerlich aber schwor er Aaron Rache, der ein zweites Mal sein Leben zerstört hatte. Der Unsterbliche sollte erfahren, wie es war, alles zu verlieren, was dem Leben einen Sinn gab.

Zweifel und Krähenfüße

»Achtet darauf, dass die Spitzen nicht zu weit aus dem Sand ragen.«

Ashot lag ein Fluch auf der Zunge. Diesen Rat hatte Datames ihnen schon zum hundertsten Mal gegeben. Der Hofmeister ging unruhig im trockenen Flussbett auf und ab. Sie waren nur eine Handvoll Bauern. Alle trugen sie dunkle Tuniken und hatten sich mit Schmutz eingerieben. Kein Mond stand in dieser Nacht am Himmel. Ashot sah kaum die Hand vor Augen, wie sollte er da beurteilen, wie weit diese verfluchten Dinger aus dem Sand lugten?

»Ist er nicht großartig?«

Ashot seufzte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Manchmal hatte er das Gefühl, dass Narek einfach jeden bewunderte, der mehr als nur seinen eigenen Arsch befehligte. »Warum?«, fragte er gereizt.

»Na hör mal, der Hofmeister könnte jetzt in seinem eigenen Bett liegen und schlafen. Und was tut er? Er ist mit uns hier unten. Hast du die Geschichten über sein Bett gehört? Es soll so groß wie meine Hütte in Belbek sein. Und die Kissen sind mit duftendem Frauenhaar gefüllt und …«

»Quatsch so weiter, und bald steht die verdammte ganze luwische Armee dort oben am Ufer und sieht uns zu.«

»Meinst du?« Narek klang ernsthaft verunsichert. »Die Hacken sind doch viel lauter …«

Ashot schloss kurz die Augen. So war Narek eben, so ehrlich und aufrichtig, dass es schon wehtat. »Da hast du wohl recht«, murmelte er in versöhnlichem Tonfall. »Wundert mich eh, dass die sich noch nicht haben blicken lassen.«