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»Wie soll ich tief im Berg, ohne die Sonne oder den Mond zu sehen, wissen, wie die Zeit verrinnt?«

Ihr werdet bei Eurer Kleidung einen Stein finden, von dem ein blasses Licht ausgeht. Mit jeder Stunde, die verstreicht, wird das Leuchten nachlassen und ein Fleck wachsen, der wie ein Stück eingeschlossene Kohle aussieht. Wenn der Stein ganz zu Kohle geworden ist, wird der Angriff beginnen. Bringt Euch vorher in Sicherheit, Nodon! Ihr habt gehört, was mit jenen, die in den tiefen Höhlen weilen, geschieht. Seid fort, bevor Ihr verbrennt oder erstickt.

Sengender Schmerz durchfuhr Nodons Leib. Diesmal war es anders. Die Stimme des Erstgeschlüpften hallte nicht länger in seinen Gedanken. Es war ein Schmerz, als würde jede einzelne Muskelfaser in seinem Leib zerreißen. Er schrie auf und kippte von Krämpfen geschüttelt seitlich in den Sand. Speichel quoll ihm über die Lippen, vermischt mit Blut. Seine Knochen schienen sich in seinem Fleisch zu bewegen. Sie zerrten an Muskeln und Nerven.

Hilflos in der Agonie der Pein, begriff er, was mit ihm geschah. Ich bin verflucht, dachte er. Dann löschte der Schmerz sein Bewusstsein.

Die Truhe

Endlich hörte der Sackpfeifenspieler auf, sein Publikum zu quälen. Wie Zwerge dieses Gequietsche Musik nennen konnten, würde Nandalee für immer ein Rätsel bleiben. Sie blickte zu dem Zwerg mit dem gestutzten Bart. Er nickte ihr zu, obwohl er sie nicht kannte, und plauderte dabei mit zwei Graubärten, die den goldenen Halsschmuck von Ratsherren trugen. Hornbori! Der letzte der drei Mörder. Der Einzige, den sie bislang noch nicht in seinen Privatgemächern besucht hatte. Soweit sie wusste, war er dort auch so gut wie nie anzutreffen. Er schien ständig auf irgendwelchen Festen und Ratsbesprechungen zu sein. Ihm irgendwo allein zu begegnen schien fast unmöglich.

Nandalee wandte sich ab und schlenderte zu der mit rotem Stoff verhängten Truhe in der Mitte der weiten Höhle. Amalaswintha hatte ihr nicht verraten wollen, was sich unter dem Tuch befand. Die Elfe glaubte einen schwachen Geruch von Blut wahrzunehmen. Aber sie war sich nicht sicher. Es gab zu viele andere Düfte. Den Rauch Hunderter Kerzen, den Duft des schweren Rotweins, den Amalaswintha großzügig ausschenken ließ, dazu den Geruch des Bratens, der süßen Kartoffeln und all der anderen Köstlichkeiten, die auf einem Buffet rings um eine der Tropfsteinsäulen arrangiert waren. Es waren kaum dreißig Zwerge anwesend. Sie alle schienen Würdenträger zu sein oder zumindest Vermögen zu haben. Es war außer ihr keiner dort, der sich nicht mit breiten goldenen Armreifen oder anderen Schmuckstücken behängt hatte.

Wieder blickte Nandalee zu der Truhe. Was Amalaswintha wohl vorhatte?

Hornbori kam auf sie zu. Er lächelte. »Wir sind uns schon einmal begegnet, nicht wahr? Du warst mit einem Ratsherrn aus den Ehernen Hallen in Galars Schmiede zu Besuch. Es ist ein paar Monde her, aber ich vergesse selten ein Gesicht. Galar hat sich damals recht ungebührlich aufgeführt. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Er ist recht … eigen.« Der Zwerg ergriff ihre Hand und drückte sie. Er hatte einen festen, trockenen Griff. Sie hingegen schwitzte.

»Das stimmt«, brachte sie ein wenig verlegen hervor.

»Amalaswintha erzählte mir, dass du großes Interesse daran hast, mich zu sehen.« Er breitete in einladender Geste die Arme aus. »Nun, hier bin ich. Was möchtest du wissen?«

Sie bedachte ihn mit einem verschwörerischen Blick und zog ihn ein wenig zur Seite. »Ich will offen zu dir sein, Hornbori. Der Eherne schickt mich, der Fürst meines Volkes. Er würde sich glücklich schätzen, dich, Galar und Nyr als seine Gäste willkommen zu heißen«, flüsterte Nandalee. »Er gedenkt bei der Versteigerung …«

»Drachenblut, nicht wahr? Darum geht es«, unterbrach Hornbori sie mit gönnerhaftem Lächeln. »Alle haben von dieser Geschichte gehört. Du willst einen Beweis, richtig?«

Nandalee hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Sie nickte zögerlich.

»Zieh dein Messer.«

»Was?« Sie starrte ihn entgeistert an. Sie wusste nicht, was geschehen war, aber irgendetwas schien sie ganz grundlegend falsch gemacht zu haben.

»Dein Messer,« beharrte Hornbori.

Nandalee bemerkte, wie sie angestarrt wurden. Die Zwerge, die auf sie aufmerksam geworden waren, grinsten. Sie schienen zu wissen, worum es ging. Nandalee zog ihre Waffe. Kaum dass sie die Klinge gezogen hatte, schlug Hornbori mit der flachen Hand vor die Schneide. »Siehst du, es stimmt.«

Sie verstand dieses Spiel nicht. Er hatte Glück gehabt, dass er sich nicht geschnitten hatte!

»Stich mir in die Hand!«

Amalaswintha war auf das Spektakel aufmerksam geworden. »Hast du tatsächlich noch jemanden gefunden, mit dem du dein kleines Spielchen noch nicht gespielt hast, Hornbori?«

»Er war neugierig. Er wollte es sehen.«

»Stich ihm in die Hand, damit wir alle unsere Ruhe haben, Arbinumja.«

Nandalee gehorchte. Sie stieß zu. So kräftig, dass der Arm des Zwergen zurückschnellte. Hornboris Hand war unverletzt geblieben.

»Drachenblut«, erklärte die Zwergin. »Galar hat irgendein Elixier gebraut, um das er ein großes Geheimnis macht. Immerhin wissen wir, dass ein wesentlicher Bestandteil Drachenblut ist.« Amalaswintha hatte die Stimme erhoben. »Und das lässt alle Träume, ein Heer unverwundbarer Zwergenkrieger aufzustellen, zerplatzen. Wie viel Drachenblut haben wir? Wann werden wir neues Blut bekommen? Taugt das Blut eines jeden Drachen, um den Zauber zu wirken, der Hornbori unverwundbar macht? Ich habe euch heute eingeladen, um mit euch über einen neuen Weg zu sprechen. Jeder von euch hier kennt Galar. Und niemand, der vernünftig denkt, wird seine Zukunft in die Hände dieses Wahnsinnigen legen wollen.«

»Eines Wahnsinnigen, der dir voraushat, dass seinen Worten bereits Taten folgten, meine Liebe«, entgegnete Hornbori lächelnd. »Sosehr ich dich schätze, ich glaube nicht, dass du einem Drachen entgegentrittst, um ihn vielleicht mit einer Nagelfeile zu erschrecken.«

Nandalee sah einige der Ratsherren grinsen. Wirklich zu lachen und die Dame Amalaswintha zu brüskieren, wagte jedoch niemand.

Auch Amalaswintha lächelte, doch ihre Augen blieben kalt. »Dass du Worte wie Armbrustbolzen zu verschießen vermagst, ist uns allen hinlänglich bekannt. Doch wie klug bist du in der Wahl deiner Allianzen? Gestern erst war ich in Galars Werkstatt. Und weißt du, was ich dort nicht gesehen habe? Drachenblut. Mir scheint, dein Freund hat die Gunst der Stunde genutzt, um sich eine goldene Nase zu verdienen.«

Hornbori schüttelte entschieden den Kopf. »Gold interessiert ihn nicht.«

Amalaswinthas Lächeln wurde breiter. »Sagt er das? Erstaunlich … Obwohl er wahnsinnig ist, scheint er ganz genau zu wissen, wie er dein Vertrauen erlangt. Ich bin noch niemandem begegnet, der nicht seinen Preis gehabt hätte. Vielleicht solltest du einmal nachschauen, um von deinen Träumen zu retten, was noch zu retten ist.«

Hornbori nahm es gelassen. »Ich weiß, dass es dich wurmt, am Weg in unsere Zukunft nicht beteiligt zu sein, und deshalb wirst du, ganz gleich, was du auch sagst, mein Vertrauen in meine beiden Gefährten nicht erschüttern können.«

»Ein Narr, der sehenden Auges in den Untergang geht.«

Nandalee spürte, dass alle Sympathien bei Hornbori lagen. Die Zwerge, die sich hier versammelt hatten, mochten Amalaswintha nicht. Sie lagen ohne Zweifel gerne in ihrem Bett, aber sobald sie es verließen, war sie ihnen unheimlich. Sie war zu reich, zu machtvoll, zu selbstbestimmt für ein Zwergenweib.

Amalaswintha trat an die verhüllte Truhe. »Kommen wir zum Höhepunkt des Abends.« Sie hob einen Zipfel des Tuches an. »Hier verbirgt sich nichts weniger als unsere Zukunft. Und es soll eine Zukunft sein, die auf unseren eigenen Kräften aufbaut und nicht auf Drachenblut.« Mit dramatischer Geste zog sie das Tuch beiseite.

Nandalee stockte der Atem. Keine Truhe, sondern ein Käfig war unter dem Tuch verborgen gewesen. Darin angekettet lag ein Elf. Er war nackt, sein Körper geschunden, gezeichnet von Schlägen und Brandwunden. Ein Eisenring war um seinen Hals gelegt. Und eine Kette, die durch eine Öse am Ring gezogen war, zwang seinen Kopf auf den Boden des Käfigs, sodass er mit einer Wange dort auflag. Seine Arme waren ihm auf den Rücken gebunden, und eine zweite Kette zerrte sie nach oben, was ihm fast die Schultergelenke auskugelte. Das Gesicht des hageren Elfen war von ihr abgewandt, dennoch erkannte Nandalee ihn auf den ersten Blick. Es war Duadan, ihr Ziehvater, der Älteste aus der Sippe der Windgänger.