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Aufgeregtes Raunen erhob sich rings um sie, doch Nandalee vermochte kein Wort zu verstehen. Sie fühlte sich, als sei sie in Wasser eingetaucht. Die Welt hatte sich verändert. Alles war auf Distanz gerückt. Es gab nur noch sie und Duadan, den Seher ihres Volkes und väterlichen Freund.

Nandalee umrundete den Käfig und kniete nieder, um in das Antlitz des Jägers zu blicken, der ihr Leben stärker beeinflusst hatte als irgendein Drache. Duadans Augen waren fast ganz zugeschwollen, sein Gesicht blau und grün von Schlägen. Verfilzt und schmutzig klebte sein langes, weißes Haar am Schorf seiner Wunden. Sie hatten ihm die rechte Hand abgehackt. Der Stumpf war entzündet und stank nach Verwesung. Lange Schnittwunden zogen sich von seinen Fersen die Schenkel hinauf.

Unbändige Wut wuchs in Nandalee. Der Wunsch, alle zu töten, die ihm das angetan hatten. Wie Sayn, den es von innen heraus zerrissen hatte, sollten sie sterben. Nur sollte es langsamer gehen. Qualvoller. Einen schnellen Tod hatten diese Folterer nicht verdient.

»Ich spüre dich, meine Tochter.«

Nandalee traten Tränen in die Augen. Sie wollte etwas sagen, doch ein Kloß saß in ihrem Hals, und es war ihr unmöglich zu sprechen.

»Ich wusste immer, dass wir uns vor meinem Tod noch einmal wiedersehen.«

Es war ein Schock, ihn, der immer einen Weg gefunden und der sich vor nichts je gefürchtet hatte, ja, der gewiss selbst dem Immerwinterwurm aus den dunkelsten Legenden des Nordens mit einem siegessicheren Lächeln auf den Lippen entgegengetreten wäre, nun von seinem Tod sprechen zu hören. Duadan hatte immer gewusst, wo sie war, ganz gleich wie tief die Jagd sie in die Wälder führte. Er war es auch gewesen, der sie gefunden hatte, als sie auf der Flucht vor den Trollen gewesen war.

»Du bist in großer Gefahr, Nandalee. Sieh dich an. Du hast deinen Weg verloren. Wenn du diesen Höhlen entkommst, gehe in dich. Besinne dich darauf, wer du bist. Und nun sprich zu den Zwergen. Du musst sie täuschen … Für kurze Zeit noch.«

»Was sagt er?« Amalaswintha stand dicht vor ihr. Wut und Gier hatten ihr Gesicht entstellt. »Rede endlich!«

Die Worte der Zwergin klangen wie aus weiter Ferne. Nandalee fühlte sich benommen. Sie rang um Fassung. Jetzt, da sie den Zwergen in ihre hässlichen Fratzen blickte, wuchs aufs Neue der Zorn in ihr. Nein, sie hatten den Schutz der Drachen wahrlich nicht verdient. Sie waren keine Albenkinder. Sie waren Ungeheuer.

Amalaswintha wich vor ihr zurück. »Was …«

Einige der Zwerge griffen sich an ihre fetten Bäuche. Nandalee dachte an Sayn. An die Knochen, die aus seinem zerfetzten Fleisch geragt hatten, und sein Blut, das durch die Spiralmuster am Boden der Höhle des Schwebenden Meisters geflossen war.

»Er klagt über Schmerzen«, sagte sie mit kalter Stimme.

Skorri, der Ratsherr, trat zwischen den Zwergen hervor. »Du musst ihn fortbringen! Es bringt Unglück, sich mit Elfen einzulassen. Er wird fliehen und Mord und Verderben in die Tiefe Stadt bringen.«

»Er geht nirgendwo mehr hin.« Amalaswinthas Stimme klang schrill. »Ich habe ihm die Sehnen an den Fersen durchtrennt und weit bis in seine Schenkel hinauf herausgeschnitten. Wenn er sich bewegen will, wird er kriechen müssen.« Sie wandte sich an Nandalee. »Und nun sag uns: Was redet er?«

»Tu nichts Unbedachtes, meine Tochter. Es ist nicht an dir, Rache zu nehmen.«

Ein Kribbeln lief durch ihre Glieder. Ein Gedanke nur, und sie würde sich in ihre wahre Gestalt zurückverwandeln. Aber dann wäre sie für einige Augenblicke hilflos. Die Zwerge würden sie in Stücke reißen, wenn sie sahen, was mit ihr geschah. Es sei denn, sie wären tot …

»Er verflucht dich, Amalaswintha.« Ihr Name war wie Galle in Nandalees Mund.

»Ich gehe!«, sagte Hornbori laut. »Aus dieser Sache wird nichts Gutes erwachsen. Der Alte in der Tiefe sollte wissen, was du hier treibst.« Der Zwerg presste sich eine Hand auf den Leib, als habe er Schmerzen.

Wieder trat das Bild des sterbenden Sayn vor Nandalees Augen.

»Er sagt, ihr alle werdet in eurem eigenen Blut ertrinken.« Nandalee sprach mit tonloser Stimme, wie in Trance. Die Worte kamen, ohne dass sie darüber nachdachte. Sie hatte immerzu das Bild des Blutes, das durch die Steinspiralen rann, vor Augen. Waren die Spiralen ein Symbol für die Tiefen Städte der Zwerge? Es würde Blut fließen, deshalb war sie hierhergekommen.

»Tu es nicht!« Duadans Stimme klang wie aus weiter Ferne zu ihr. »Tu es nicht!«

Schattenmänner und Betrüger

Hornbori hatte das Gefühl, es müsse ihn zerreißen. War es nur seine Wut, oder wirkte der verfluchte Elf einen Zauber? Wie hatte Amalaswintha so dumm sein können! Einen lebenden Elfen hierher in die Tiefe Stadt zu bringen. Sie waren unberechenbare Mörder! Kein Zwerg wusste, was Elfen alles zuzutrauen war.

Hornbori musste sich an der Höhlenwand abstützen. Ihm war übel. Dieser Druck in ihm … Vielleicht hatte er auf dem Fest auch einfach nur etwas Falsches gegessen. Er hatte in den letzten Tagen zu oft, zu üppig gespeist. Er würde sich mäßigen müssen! Aber wie sollte er das tun, ohne seine Gastgeber zu beleidigen? Festgelage und überreichlicher Genuss von Pilz gehörten dazu, wenn man zum Rat gehörte. Das mussten die ersten Anzeichen dafür sein, dass er alt wurde.

Hornbori passierte das protzige Portal zu Amalaswinthas Palast. Geberic lehnte dort und bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. »Du gehst schon so früh?«

Wusste der Kerl, was dort drinnen vor sich ging? Wortlos taumelte Hornbori die kurze Treppe vor dem Eingangsportal hinab und lehnte sich an eine gemauerte Brüstung. Direkt vor der Höhle gab es einen tiefen Felsspalt. Was das Gestein hatte aufreißen lassen, wusste Hornbori nicht. Ein Erdbeben? Vielleicht hatte es auch schon immer so ausgesehen. Jedenfalls hatte dort unten der Grundstock zu Amalaswinthas Vermögen gelegen. Sie hatte ihre Arbeiter tief in den Spalt geschickt, wo sie auf eine unfassbar ertragreiche Goldader gestoßen waren.

»Du siehst nicht gut aus, Ratsherr.« Spöttisches Gelächter begleitete die Worte Geberics. Zwei weitere Leibwächter hatten sich zu ihm gesellt.

Hornbori richtete sich auf, atmete tief durch und bemühte sich um einen möglichst würdevollen Abgang. Er hatte Geberic noch nie leiden gemocht. Der Kerl führte sich auf, als sei Amalaswintha seine Tochter oder Schwester. Jeden ihrer Liebhaber geleitete er mit kühler Herablassung in den Palast seiner Herrin.

Hornbori dachte an die wenigen Nächte, die er mit Amalaswintha verbracht hatte. Sie war aufregend. Steckte voller ungewöhnlicher Ideen. Und sie war vollkommen größenwahnsinnig! Er kannte sich damit aus, er wusste durchaus um seinen eigenen Ehrgeiz. An Amalaswinthas Seite musste jeder Mann zu einem Schatten verblassen. Ihm war schnell klar geworden, dass er an ihrer Seite niemals hätte aufsteigen können.

Wieder gingen ihm ihre Worte durch den Kopf. Hatte Galar ihn verraten? Der Schmied war überreichlich mit Drachenblut versorgt worden, darauf hatte er persönlich geachtet. Drachenblut, das wäre der Schlüssel zu seiner Zukunft. Hatte Galar es verkauft? Der Schmied war wahnsinnig! Ihm war alles zuzutrauen. Er musste wissen, ob Amalaswintha recht hatte. Aber alleine mochte er sich nicht in Galars Höhle wagen. Ihm gegenüber würde der Schmied nur frech. Aber wenn er Nyr mitbrachte, sähe die Sache ganz anders aus. Wenn Galar in Anwesenheit seines Freundes den Betrug eingestehen müsste, wäre ihm das gewiss entsetzlich peinlich.

Hornbori fühlte sich erleichtert. Der Schmerz in seiner Brust ließ nach. Mit weiten Schritten eilte er am Abgrund entlang und bog in den ersten Tunnel, der ihn näher zum Herzen der Stadt bringen würde. Weit voraus sah er einen Zwerg ihm entgegenkommen. Der Kerl trug ein scharlachrotes Wams. Ungewöhnlich … Vielleicht stammte er aus einer Gesandtschaft aus Ishaven? Die Zwerge aus dem äußersten Norden hegten eine eigenwillige Vorliebe für aufdringliche Farben. Dazu passte auch das silberblonde Haar des Kerls. Er hatte etwas Ungewöhnliches an sich. Hornbori musste an eine Katze denken, während er den Zwerg näher kommen sah. Katzen und Zwerge, das passte nicht zusammen!