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Der Fremde wirkte erleichtert, ihn zu sehen.

»Ich suche den Palast der Dame Amalaswintha«, sagte er ohne Umschweife. Er sprach mit dem harten Akzent des hohen Nordens.

Hornbori schreckte zurück, als er in die Augen des Ishaveners blickte. Sie waren vollkommen schwarz, ohne erkennbare Iris und ohne Weiß. Er schluckte … Mit wem hatte sich Amalaswintha da schon wieder eingelassen?

»Deine Augen …«

Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. »Das geschieht, wenn man zu lange in das blendende Weiß des Schnees blickt. Manche werden sogar blind davon.«

Darüber hatte Hornbori schon einmal erzählen hören. »Geh geradeaus, bis der Tunnel an einer weiten Felsspalte endet. Dann hältst du dich links. Nach zweihundert Schritt erreichst du ein prächtiges Portal, an dem ein Wichtigtuer mit einem goldenen Nasenring Wache steht. Dies ist der Eingang zu ihrem Palast.«

Der Ishavener bedankte sich und ging zügig weiter. Einen Moment lang sah Hornbori ihm noch nach. Dann musste er wieder daran denken, ob Galar ihn tatsächlich betrogen hatte.

Unter den Schwingen der Drachen

Es ist keine Angst, dachte Bidayn und wusste es doch besser. Sie saß abseits der anderen im Schatten einer windschiefen Zeder und sah ihre Ausrüstung durch. Vor dem Befehl, über den Drachenpfad zu gehen, hatte sie das Nötigste in aller Eile zusammengerafft. Ein Kettenhemd und ein Helm mit geschlossenem Visier. Unter dem Helm lugte das kleine Beutelchen aus Hasenfell hervor, in dem sie einen Mondstein verwahrte, ihren Glücksbringer. Sie strich über das Fell und schluckte. Ihr Mund war staubtrocken. Dafür waren ihre Hände schweißnass. Immer wieder musste sie an ihren letzten Kampf denken. An die entsetzlichen Schmerzen, als sich ihr eigener Zauber gegen sie gewandt hatte und sie in die Gewalt eines leibhaftigen Devanthar geraten war.

Bidayn streifte ihre dünnen Seidenhandschuhe ab und betrachtete das Rautennetz aus Narben, das sich über ihre Handrücken zog. Ihr ganzer Körper war mit diesem unauslöschlichen Narbenmuster bedeckt. Dies war der Preis für ihren ersten Kampf gewesen. Der Preis dafür, dass sie sich gegen die Kraft des magischen Netzes gestemmt hatte, statt mit ihr zu fließen.

Bidayn blickte auf das Schwert, das sie schon nach Nangog begleitet hatte. Die Klinge war etwas länger als ihr Unterarm, geschmiedet aus makellosem Silberstahl. Eines der verwunschenen Schwerter, das die Drachen erschaffen hatten. Sie sah im spiegelnden Silberstahl die Narben, die ihre Augenbrauen zerteilten, sich über ihren Nasenrücken zogen und ihr Gesicht mit einem Rautenmuster aus dünnen, weißen Linien verunzierten. In ihren Augen war sie nie eine Schönheit gewesen. Männer, die ihr gefallen hatten, hatte sie bislang nur aus der Ferne bewundert, wie etwa Sayn in der Höhle des Schwebenden Meisters. Jetzt würde sie nicht einmal das wagen. Die Narben verunstalteten auch ihr Gesicht. Sie war ein Ungeheuer geworden.

Bidayn hörte hinter sich das leise Knirschen von Geröll. Sie musste lächeln. Das war gewiss Lyvianne. Die Meisterin der Weißen Halle hätte sich auch lautlos bewegen können, aber sie wollte, dass Bidayn sie hörte.

Lyvianne war in den langen Monden, die Nandalee verschwunden gewesen war, zu ihrer Vertrauten geworden. Sie war ihre Meisterin, ihre Lehrerin und ihre Freundin. In ihr sah sie eine Seelenverwandte. Auch Lyvianne wurde gemieden, obwohl sie eine atemberaubende Schönheit war. Wie gerne wäre sie so wie sie. Sie nahm sich die Männer und legte sie wieder ab, wenn sie ihrer überdrüssig war.

Bidayn drehte sich um. Lyvianne trug ein langes, weißes Kleid mit Stehkragen. Ihr Haar war streng zurückgekämmt und zu einem Zopf geflochten, was sie unnahbar wirken ließ. Sie schenkte Bidayn ein freundschaftliches Lächeln. Wie sehr beneidete sie Lyvianne um ihre vollen, sinnlichen Lippen und die geheimnisvollen, grünen Augen!

»Hast du Angst?«

Bidayn nickte. »Ja.«

Lyvianne kniete neben ihr nieder und legte ihr schlankes Schwert auf das Geröll. »Auch ich bin vor jedem Kampf ein wenig unruhig. Wir werden zusammen hinuntergehen.«

»Aber ich bin für einen anderen Schacht eingeteilt …«

»Das habe ich geändert.« Lyviannes schmale Hand strich über das Kettenhemd, das auf einem Tuch ausgebreitet lag. »Das wirst du nicht brauchen.«

»Aber wir werden doch …«

»Das Metall stört dich, wenn du eins sein willst mit dem Zauber, der in allem wohnt. Es schirmt dich dagegen ab. Nicht so sehr wie Blei – aber es stört dich beim Zauberweben. Ebenso der Helm hier. Auch behindern sie dich im Kampf. Dein Gesichtsfeld wird beschränkt, du wirst langsamer durch das Gewicht des Stahls auf deinen Schultern. Es ist nicht klug, so dort hinabzusteigen.«

»Ich bin keine Meisterin wie du«, wandte Bidayn ein.

»Du hast dich mir anvertraut, und ich weiß, wo du deine Narben empfangen hast. Du standest einem Devanthar gegenüber und hast diese Begegnung überlebt. Außer dir können das nur noch Nandalee und Gonvalon von sich behaupten. Sei weniger bescheiden, meine Liebe.« Lyvianne nahm mit spitzen Fingern den Beutel aus Hasenfell hoch. »Das wirst du auch nicht brauchen. Du allein schmiedest dein Glück. Ein Stück Fell und ein Stein haben nichts damit zu tun, wie deine Zukunft aussehen wird. Nimm dein Schwert! Damit werden Entscheidungen getroffen. Du bist keine Hofdame, du wirst eine Drachenelfe sein. Zeig den anderen deinen Stolz und nicht deine Schwächen.«

Worte, dachte Bidayn bitter. Sie waren so wohlfeil, gingen so leicht über die Lippen. Aber ihre Angst vermochten sie nicht zu bannen.

Lyvianne löste ihr Kleid. In fließender Bewegung glitt es zu Boden. »So werden wir dem Tod entgegentreten, meine kleine Tochter. Ganz so, wie wir in diese Welt getreten sind.« Sie nahm ihr Schwert auf und zog die funkelnde Klinge aus der Scheide. »Du hast gelernt, wie du den Tod auf eine Klingenlänge Abstand halten kannst, und dich bereits im Kampf bewiesen. Es wird mir eine Ehre sein, an deiner Seite zu fechten.« Sie sagte das so ernst und respektvoll, dass Bidayn ihre Worte nicht länger anzweifelte. Auch sie griff nach ihrem Schwert.

»Leg dein Kleid ab.«

Bidayn errötete. Das konnte sie nicht! Ihr Narbennetz zur Schau stellen …

»Wir werden durch die Flammen der Drachen gehen, meine Tochter. Ihr Feuer wird unser Gewand sein. Es wird uns umfließen, ohne uns zu verbrennen. Aber alles, was wir mit uns nehmen, gehört den Flammen. Unsere Klingen werden glühen. Die Kleider werden verbrennen. Lass alles zurück. Nur deinen Mut und dein Schwert nimm mit.«

Sie dachte wieder an die entstellenden Narben. Doch dann fasste sie sich ein Herz. Wenn sie erst einmal in den Höhlen waren, wäre sie mit Lyvianne allein. Und ihre Meisterin wusste ohnehin um das Narbennetz und woher es kam. Wenn sie wenigstens offen über ihren Kampf auf Nangog reden könnte …

»Wusstest du, dass viel über dich geflüstert wird?«

Bidayn seufzte. Natürlich wusste sie das. So, wie sie aussah!

»Die anderen halten dich für eine der mächtigsten Zauberweberinnen, die je die Weißen Hallen besuchte. Und nachdem du so lange fort warst, sind sie überzeugt, dass die Himmelsschlangen schon jetzt darüber streiten, wem du einst gehören wirst. Sie wissen, dass du auf deine erste Mission geschickt wurdest, noch bevor du zur Drachenelfe wurdest. Du beginnst eine Legende zu werden.« Lyvianne schob ihr die Hand unter das Kinn und hob sanft ihren Kopf. »Denke nicht so viel an deine Narben. Du kannst sie nicht verschwinden lassen, also trage sie mit Stolz. Betrachte sie als Ehrenmale. Sie sind Teil deiner Legende. Und heute wirst du der Saga über dich viele neue Strophen schenken.«