»Das ist widernatürlich«, empörte sich einer der Graubärte unter den Zwergen. »Zu altern gehört zum Leben. Du darfst dich nicht mit diesem Elfen einlassen! Du bist keine mehr aus unserem Volk, wenn du das tust, Amalaswintha!«
»Du hast leicht reden, Gadaric, deine Jugend ist verflossen, und nicht einmal Zaubermacht vermag sie zurückholen.« Amalaswintha wandte sich den übrigen Zwergen mit herausforderndem Blick zu. »Aber wer von euch würde das Geschenk der ewigen Jugend ablehnen, wenn ich es ihm anbieten könnte? Wenn ich den Zauber des Elfen erst einmal gemeistert habe, kann jeder von euch Unsterblichkeit erringen. Wer von euch spuckt darauf? Du, Gadaric, wenn du spürst, wie die Kälte des Todes unter deinem eisgrauen Bart nach deiner Kehle greift? Oder du, Skorri, wenn die Jahre deine Manneskraft dahinschmelzen lassen? Warum sollten wir nicht begehren, was den Elfen geschenkt ist? Warum sollten wir nicht gegen die Ungerechtigkeit der Schöpfung aufbegehren?«
»Weil wir Zwerge sind«, entgegnete Gadaric mit fester Stimme. »Wir sind dazu geboren zu altern. So haben es die Alben entschieden. Was ist ein Jahr noch wert, wenn ein Leben ewig währt? Und was wären wir, wenn wir nicht mehr altern? Ganz gewiss keine Zwerge mehr!«
»Worüber streiten sie?«, wollte Duadan wissen.
»Darüber, wer das Gold für all die Güter aufbringen soll, die die Trolle im Austausch für die übrigen Elfen verlangen werden«, log sie.
»Also werden sie sich auf meinen Vorschlag einlassen?«
Nandalee zögerte. Noch nie zuvor hatte sie Duadan belogen.
Ein junger Zwerg betrat die festlich geschmückte Höhle. Etwas an der Art, wie er sich bewegte, kam Nandalee vertraut vor. Der Fremde blickte sich um. Seine ganze Haltung hatte etwas Herausforderndes. Er trug ein schreiend rotes Wams, das in starkem Kontrast zu seinem silberblonden Haar stand.
»Wer bist du?«, fuhr Amalaswintha ihn ärgerlich an. »Ich hatte verboten, diese Zusammenkunft zu stören. Wo steckt Geberic? Warum hat er dich hereingelassen?«
Der blonde Zwerg blickte Nandalee an. Seine Augen! Sie waren vollkommen schwarz!
»Ich suche ihn«, sagte der Fremde ruhig und deutete dabei auf Nandalee. »Ich habe eine Nachricht für ihn.«
»Du bist hier nicht willkommen.« Skorri trat ihm entgegen. Plötzlich verharrte er. Furcht lag in seinem Blick. »Bei den Alben«, keuchte er entsetzt. »Was ist mit deinen Augen? Sie …«
»Sind sie schwarz?«, fragte der Fremde ironisch. »Das geschieht, wenn man mich erzürnt. Der Herr von Ishaven hat mich geschickt. Und meine Mission duldet keinen Aufschub.«
Der graubärtige Gadaric packte Skorri und zog ihn aus dem Weg. »Der Kerl ist ein Berserker. Reize ihn nicht. Wer schickt so einen Boten?«
Amalaswintha rief nach ihren Leibwachen.
Der Fremde stand nun unmittelbar vor Nandalee. Sie kannte diese Augen. Ungezählte Stunden hatte sie im Jadegarten diesem kalten Blick standzuhalten versucht. »Nodon?«, flüsterte sie.
Der Zwerg runzelte die Stirn.
»Ich bin es, Nandalee.« Ihre Stimme war nur noch ein Hauch.
Immer noch rief Amalaswintha nach ihren Leibwächtern. Sie stand inzwischen am Eingang der Festhalle.
»Du musst hier fort. Stell keine Fragen.«
Ja, kein Zweifel, das ist Nodon, dachte Nandalee. Immer direkt, ohne Erklärungen. »Ich kann nicht«, zischte sie ärgerlich. »Hilf mir! Sie halten Elfen aus meiner Sippe gefangen. Wir müssen sie hier herausholen!«
Nodon zog einen eigenartigen Stein hervor. Ein Kristall, in den ein Stück Kohle eingeschlossen war. Plötzlich wuchs die Kohle im Kristall an und füllte ihn nun fast ganz aus. Nodons Hand begann zu zittern. Sein bärtiges Gesicht war eine Fratze des Entsetzens geworden. »Es beginnt …«, stammelte er.
Die Spur des Blutes
Nyr war leicht zu finden gewesen. Seit Tagen lungerte er in der Nähe der Amethysthalle herum, schlug sich den Wanst voll und und betrank sich. Während der Versteigerung wurde reichlich Essen und Trinken angeboten, und niemand wagte es, einen der Drachentöter davonzujagen, selbst wenn er sich danebenbenahm.
Nyr dazu zu bringen, mit ihm Galars Höhle aufzusuchen, war Hornbori wesentlich schwerer gefallen. »Du irrst dich«, lallte sein Gefährte. »Galar würde uns niemals betrügen.«
»Wenn ich danebenliege, kannst du ihm gerne sagen, was für ein mieser Kerl ich bin.« Hornbori wünschte sich, dass er sich irrte. Und er verfluchte Amalaswinthas Worte. Sie wusste zu gut, wie sie ihn treffen konnte. Und jetzt noch dieser Elf! Welche dunklen Pläne schmiedete sie? Er dachte an die Beklemmung in seiner Brust, die ihn plötzlich überfallen hatte, als Amalaswinthas Übersetzer mit dem Elfen gesprochen hatte. War das nur seine Angst gewesen? Es war töricht, sich mit Elfen einzulassen. Fast so töricht, wie Drachen zu jagen.
Sie hatten den Tunnel zu Galars Höhle erreicht. Hornbori schob Nyr vor sich her. Der Geschützmeister taumelte bedenklich. Nyr hatte am wenigsten von ihrem Abenteuer profitiert. Galar hatte alles bekommen, was er für seine verrückten Versuche brauchte. Er selbst war in den Rat aufgestiegen, aber Nyr … Er sollte sich etwas überlegen. Sie brauchten den Schützen noch.
Galars Höhle war viel größer geworden, seit Hornbori vor vielen Monden hier hinabgestiegen war, um dem Schmied zu erklären, dass man ihm, Hornbori, die Goldenen Schwingen verleihen würde. Damals hatte Galar an einer Kette über einem riesigen Kessel gehangen. Der Kessel war noch da, aber die Höhle war verlassen. Es herrschte noch immer ein heilloses Durcheinander. Dutzende Tische, beladen mit Kisten und Kästen, Tiegeln und Flaschen, uraltem Brot, Käsestücken, Kräutern und halb mumifizierten Gliedmaßen von allerlei Tieren. Das war Galars Leben.
Es stank erbärmlich hier unten. Kaum zu ertragen. Auf einem der Tische lag ein ganzer Berg schimmelnden Koboldkäses. Galar hatte immer noch nicht herausfinden können, was man anstellen musste, um noch einmal jenen Brei aus Drachenblut und Koboldkäse herzustellen, der seine Hand unverwundbar gemacht hatte, als sie zufällig damit in Berührung gekommen war. Hornbori mochte gar nicht daran denken, wie viel Gold bereits in diese Experimente geflossen war.
Er ließ den Blick über die Tische schweifen und bedauerte, dass er vergessen hatte, ein parfümiertes Tuch mitzubringen. Der Gestank war kaum zu ertragen. Er atmete in kurzen, hechelnden Stößen durch den Mund.
Bald hatte er das Gefühl, dass irgendetwas Pelziges auf seiner Zunge wucherte. Nyr schien der Gestank nichts auszumachen. Sein Gefährte stützte sich schwer auf einen der Tische und blinzelte. »Es ist weg …«
Der Geschützmeister hatte recht. Der Tisch, auf dem immer die Holzgestelle mit den Phiolen voller Drachenblut gestanden hatten, war leer. Nirgends waren die auffälligen, kaum fingerdicken Gläser mit dem leuchtend roten Blut zu entdecken.
»Dafür gibt es eine Erklärung«, lallte Nyr.
Natürlich gibt es die, dachte Hornbori. Amalaswintha hatte ihn nicht belogen. Galar verhökerte ihr Drachenblut! Der verdammte Mistkerl. »Ich werde den Drecksack …«
»Still«, sagte Nyr und rülpste leise. Er kniff die Augen zusammen und verharrte völlig reglos. »Der Brunnen.« Leicht schwankend machte er sich auf den Weg zum ummauerten Brunnenschacht.
Auch Hornbori hatte etwas gehört, einen merkwürdigen Laut über einem der Abzugsschächte. Es hatte wie ein tiefes Einatmen geklungen, was natürlich blanker Unsinn war. Erstaunlich, was für seltsame Geräusche der Wind verursachen konnte. Er folgte Nyr zu dem Schacht. Sein Gefährte hatte sich bereits über den Brunnenrand gebeugt und starrte hinab. Vielleicht war ihm auch einfach nur übel.