Galar begann wieder über die Reste seines Bartes zu streichen. Hektischer nun. »Sie werden uns einen ihrer Drachenelfen schicken. So wie sie es immer tun, wenn jemand es wagt, sich gegen die Tyrannei der Himmelsschlangen aufzulehnen.«
»Wär vielleicht besser gewesen, uns hätte das Feuer erwischt«, krächzte Hornbori mit brennender Kehle.
Galar fuhr zu ihm herum. »Dich hat niemand gefragt, Schisser! Wär vielleicht besser gewesen, wir hätten dich ersaufen lassen.«
»Einen Drachenelfen können wir nicht besiegen«, sagte Nyr beklommen. »Die Magie der Himmelsschlangen beschützt sie. Sie sind wie Geister, mit …«
»Halt’s Maul! Wer sagt denn so was? Unbesiegbar, dass ich nicht lache. Niemand hat je einen Drachenelfen gesehen.«
Hornbori schloss die Augen. Warum hatte er sich nur mit diesem Einfaltspinsel eingelassen? »Begreifst du nicht, dass du gerade Nyr bestätigst? Wer einen Drachenelfen sieht, der kommt nicht mehr dazu, davon zu berichten. Sie sind unbesiegbar.«
Galar lächelte auf eigentümliche Art. »Und ich sage dir, auch Drachenelfen kann es erwischen. Und dann werden sie in kleine Stücke zerschnibbelt. In ganz kleine!« Ein irrer Glanz lag in den Augen des Schmiedes. Er glaubte offensichtlich an den Unsinn, den er da redete!
»Vielleicht hat er recht.« Nyr deutete zu der Wasserfläche. Der Ausstieg in die Höhle war nicht sonderlich groß. Eine kreisrunde Öffnung, kaum mehr als einen Schritt weit. »Wenn ein Drachenelf kommt, müssen wir ihn erwischen, wenn er den Kopf aus dem Wasser streckt. Das ist der einzige Augenblick, in dem er vielleicht verwundbar ist.«
»Das kriegen wir hin!« Galar lächelte grimmig, ging ein Stück weit in den Stollen, kramte in einem der Haufen von Plunder, die überall herumlagen, und stieß bald ein zufriedenes Grunzen aus. Unter Kupferblechen und rostigen Werkzeugen zog er eine riesige Axt hervor.
»Ich glaube, das hier ist härter als ein Drachenelfenschädel!«
Am Abgrund
Der große Drache beugte seinen Hals vor und spie seine Flammen in den Schacht. Die Luft ringsherum schien zu flüssigem Glas zu werden. Sie wirkte dichter, wogte in unnatürlichen Wellen, und alles wirkte seltsam verzerrt. Ganz so, als blicke man durch eine bewegte Wasseroberfläche in ein Bachbett.
Gonvalon spürte die Hitze nicht. Lyvianne hatte ein Wort der Macht über ihn gesprochen. Sie vertraute ihm. Noch nie hatte er sich einem Befehl des Goldenen widersetzt. Seine Hand schloss sich fester um den Griff seines Schwertes.
Der Sonnendrache hob sein Haupt und blickte ihn mit großen, bernsteinfarbenen Augen an. Die geschlitzte Pupille verengte sich. Er forderte ihn heraus, nun dorthin zu gehen, wohin er selbst nicht gelangen konnte.
Gonvalon wickelte sich Seidentücher um die Hände, dann prüfte er mit einem Ruck das Seil. Zufrieden ließ er es in den Luftschacht hinab, aus dem ihm Rauch und Hitze entgegenschlugen. Das Seil würde ihn nicht lange tragen.
Er schob sein Schwert in eine Lederschlaufe auf seinem Rücken und griff nach dem glatten Seil. Ohne zu zögern, ließ er sich in den engen Schacht hinab, an dessen fernem Ende rote Glut glomm. Seine Füße gegen das Seil gepresst und es zugleich mit beiden Händen umklammernd, glitt er in die Tiefe Stadt. Der Schacht war beklemmend eng. Immer wieder stieß er gegen die Felswände. Vor Schürfwunden schützte ihn der Zauber Lyviannes nicht. Doch er spürte den Schmerz kaum. Das Seil veränderte sich. Es wurde trocken und spröde. Lange würde es der Hitze nicht mehr standhalten. Er wusste, was ihn erwartete. Wusste, was geschehen würde, wenn es zu früh riss. Es wäre einfacher gewesen, sich über dem Hafen abzuseilen.
Lyvianne hatte ein prächtiges Portal in der Silberschale gesehen. Einen Ort, der unverwechselbar war. Ganz in seiner Nähe würde er aus dem Luftschacht gelangen.
Seilfasern drängten sich zwischen seine Finger. Er versuchte hinabzublicken, aber der Schacht war so eng, dass er den Kopf nicht ohne Gefahr vorbeugen konnte.
Seine Hände schmerzten von der Reibung des Seils. Es schnitt in seine Handflächen, obwohl es besonders behandelt war und er seine Hände mit Seidentüchern umwickelt hatte. Und es wurde dünner, weniger belastbar. Er konnte spüren, wie es sich auflöste.
Endlich spie ihn der Schacht aus. Er hing über einem Abgrund. Einzelne Feuer brannten auf einem Saumpfad. Leichen, wohin das Auge sah.
Gonvalon sah das Seil über die Kante des Schachtes scheuern. Faser für Faser rieb es sich durch. Feiner Rauch stieg davon auf. Er blickte zum Saumpfad. Vielleicht hundert Schritt entfernt erkannte er das Portal, sein Ziel. Dort verlief ein zweiter Pfad. Und unter ihm klaffte ein bodenloser Abgrund, der bis hinab ins Herz der Welt zu führen schien.
War es Zufall, dass er durch diesen Schacht geschickt wurde? Es musste doch noch andere Wege geben, die ihn in die Nähe des Portals gebracht hätten. Oder war dies das Schicksal, das der Goldene ihm zugedacht hatte? Sollte auch er einer jener Drachenelfen werden, die bei dieser Schlacht spurlos verschwanden?
Er spannte die Muskeln, versuchte das Seil in eine Pendelbewegung zu bringen. Unendlich langsam begann es zu schwingen. Er glitt tiefer. Drei oder vier Schritt blieben ihm, dann war er am Ende des Seils. Viel zu weit vom Saumpfad entfernt.
Fasern, halb zu Asche geworden, rieselten auf sein Gesicht. Der Zauber Lyviannes hatte ihn in einen kühlen Kokon gewoben. Unmöglich zu sagen, wie heiß es hier war. Aber die Hitze war stark genug, das Seil zu versengen, und hatte jene Zwerge getötet, die auf dem Saumpfad entlang des Abgrunds gegangen waren.
Der Gestank von verbranntem Fleisch und Fett machte Gonvalon zu schaffen. Er atmete flach durch den Mund. Jetzt schwang er in weiten Pendelbewegungen über dem Abgrund. Das Seil war zu kurz, um festen Boden zu erreichen. Die schwelenden Fasern waren schon zu mehr als der Hälfte durchgescheuert. Einen Herzschlag lang erwog er, es enden zu lassen. Aber er war noch nie vor einer Aufgabe geflohen, ganz gleich, wie schwer sie sein mochte. Er musste Nandalee finden!
Das Seil würde gleich den weitesten Ausschlag der Pendelbewegung erreichen. Jetzt!
Er ließ los. Streckte sich vor. Stürzte dem Saumpfad entgegen. Fast …
Er streckte sich verzweifelt. Jeder seiner Muskeln war zum Zerreißen gespannt. Er würde es nicht schaffen. Zwei Handbreit fehlten nur. Nur zwei Hand!
Hart schlug er auf den Felsen auf. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst. Seine Hände glitten über den unebenen Fels. Er rutschte tiefer, dem bodenlosen Abgrund entgegen.
Seine Finger krallten sich in einen Spalt, kaum tief genug, dass die Fingerkuppen Halt fanden. Mit einem Ruck endete sein Gleiten in die Tiefe. Ein Ruck, der ihm schier die Sehnen in den Armen zerreißen wollte. Seine Schultergelenke knackten. Brennender Schmerz lief durch seine Arme. Wäre er noch ein Zauberweber, könnte er sich leicht retten. Wie eine Fliege könnte er die Wand hinauflaufen.
Er stellte sich vor, seine Finger seien Wurzeln, die tief in den Spalt wuchsen. Mit einem Schrei kämpfte er gegen den Abgrund an. Zog sich höher, Zoll um Zoll. Seine nackten Füße tasteten über den Fels. Endlich fand er einen Halt.
Keuchend zog er sich auf das Sims, kämpfte sich auf die Knie und tastete über seiner Schulter nach dem Schwertgriff. Seine Arme zitterten, so verkrampft waren sie. Das in der Hitze verschrumpelte Leder zerriss, als er die Klinge zog.
Wind, der vom Schacht hinabwehte, spielte mit seinem Haar. Er atmete tief durch. Genoss es, am Leben zu sein. Grimmig blickte er zu dem Portal. Nur hundert Schritt trennten ihn von dem Weg, der ihn zu Nandalee führen würde, der Verräterin, die eines Tages den Erstgeschlüpften töten würde. Hundert Schritt, wenn er es schaffte, einen Weg auf die andere Seite des Abgrunds zu finden.
Das Versprechen
Kaum dass sie das scharfe Klacken der Armbrüste hörte, ließ Nandalee sich nach hinten fallen. Es war ein riskantes Manöver. Der Abstand zu den Zwergen betrug wenig mehr als fünfzehn Schritt. Die Befiederung eines der Bolzen schlitzte ihre Stirn auf. Hatten sie alle geschossen? Waren sie nervös? Oder waren sie schlachterfahren genug, um zu wissen, was es bedeutete, wenn sie nun alle zur gleichen Zeit nachladen mussten?