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Sie stieß mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche. Gierig sog sie die Luft ein. Schillernde Blüten umgaben sie. Die Luft war gesättigt von ihrem köstlichen Duft. Nandalee atmete tief durch. Füllte ihre Lungen, bis sie schier platzen wollten. Endlich wieder frei atmen. Schwindelig und erschöpft zog sie sich auf einen hölzernen Steg. Hunderte Töpfe und Kübel waren in Gruppen zusammengestellt und beherbergten ein wahres Blumenmeer. Dazwischen erhoben sich einzelne kleine Stämme von Kirsch- und Apfelbäumen. Kugeln, die ein angenehmes gelbliches Licht verstrahlten, ruhten auf niedrigen Säulen. Nandalee hörte sogar Vögel zwitschern. Das melancholische Lied einer Nachtigall, begleitet vom aufgeregten Zwitschern von Blaumeisen. Nach all dem Tod und Feuer erschien ihr dieser Ort unwirklich. Er passte nicht in die Tiefe Stadt mit ihrer Düsternis und den bedrückenden Felswänden.

Müdigkeit umfing Nandalee wie eine warme, weiche Decke. Sie hatte all ihre Kraft gegeben. Jetzt war sie am Ende. Selbst der Schmerz in ihrem Bein war in seltsame Ferne gerückt. Er war noch da, behelligte sie jedoch nicht mehr. Sie lag einfach nur auf dem Steg, blickte zu den Blüten und dem wunderbaren Licht, unfähig, auch nur ein einzelnes Glied zu rühren.

Nodons Gesicht erschien über ihr. Seine Lippen bewegten sich. Er wirkte gar nicht wütend. Eher besorgt. Nodons Stimme klang wie ein fernes Echo. »Du hast viel Blut verloren. Bleib still liegen.«

Nandalee musste lächeln. Zu etwas anderem, als still liegen zu bleiben, war sie gar nicht mehr in der Lage. Sie spürte, wie Nodon den scharfkantigen Bolzen in der Wunde bewegte. Doch selbst der Schmerz war etwas weit Entferntes, das nicht mehr zu ihr zu gehören schien. Nandalee gab sich der bleiernen Müdigkeit hin.

Ein angenehm warmes Gefühl strahlte von ihrem verletzten Bein aus. Nodon war ein Mann voller Widersprüche. Nandalee dachte daran, wie er binnen Augenblicken die Zwerge niedergemacht hatte. Ohne Zweifel war er einer der tödlichsten Schwertkämpfer unter den Drachenelfen, doch zugleich war er auch ein begabter Heiler. Seine Hände schenkten den Tod und das Leben. Alles, was er tat, geschah mit kalter Ruhe. Wer außer ihm hätte auf sie geschossen, um sie aufzuhalten!

»Die Wunde ist nun geschlossen.« Nodons Stimme klang warm, fast mitfühlend. »Aber der Blutverlust schwächt dich.« Nach einer Weile fügte er leise hinzu: »Hierherzukommen war eine gute Wahl, ich hätte auf dich hören sollen.«

Nandalee ließ sich auf einer Woge des Wohlgefühls treiben. Nodon hatte ihr noch niemals zugebilligt, eine kluge Entscheidung getroffen zu haben. Sie dachte an seine endlosen Flüche während der Fechtstunden und seine Feindschaft zu Gonvalon und … Plötzlich tauchte ein Name aus ihrem Unterbewusstsein auf. Fenella! Wie hatte sie sich so gehen lassen können! Sie war doch nur wegen der Elfe hier. Nandalee setzte sich auf. Von der plötzlichen Bewegung wurde ihr schwindelig.

»Du solltest dich noch schonen. Wir können hier ohnehin noch nicht wieder hinaus. Es wird dauern, bis die Luft in die tiefen Stollen zurückkehrt.«

Nandalee ignorierte Nodon. Ein wenig unbeholfen richtete sie sich auf. Wo war Fenella? Sollte sie sich getäuscht haben? Was hatte Amalaswintha gesagt? Sie ist an einem Ort, zu dem außer mir niemand geht. Das musste dieser verborgene Garten sein!

Nandalee wankte zwischen den Blumen hindurch. Die gläserne Kuppel war nicht sehr groß. Vielleicht zehn Schritt im Durchmesser. Davon entfielen allein zwei Schritt auf die Öffnung in der Mitte, durch die man hineintauchte.

»Fenella!«, rief sie. »Fenella!«

Hinter zwei großen Töpfen, in denen Apfelbäume sprossen, entdeckte sie ein Lager aus zerknüllten Decken. Flammend rotes Haar lugte dazwischen hervor. Auf einem Holzteller lagen Essensreste. Ein einfacher, irdener Krug stand neben einem angeschlagenen Becher.

Fenella hatte rotes Haar! Warum regte sie sich nicht? Mit einem klammen Gefühl kniete Nandalee neben dem Lager nieder und zog die Decke zurück.

Einsame Wacht

Etwas stimmte nicht. Unruhig ging Jari an der Wand mit den goldenen Ohren auf und ab. Die Ohren waren Horchlöcher, verbunden mit einem Rohr, das weit hinauf in den Berg reichte. Nur wenige Zwerge wussten von diesen Vorrichtungen. Sie waren nicht dazu geschaffen worden, die Bewohner der Tiefen Stadt zu bespitzeln. Es ging lediglich darum, sie zu beschützen und Übel abzuwenden. Die meisten hätten das allerdings nicht verstanden.

Jari wachte schon seit mehr als dreißig Jahren in dieser Kammer. Sie war tief in die Wurzeln des Berges getrieben, noch weit unter den Weiberhöhlen verborgen. Nur ein einziger Pfad führte hier hinab, und der war nur einer Handvoll Zwergen bekannt.

Jari nahm einen tiefen Schluck aus dem Topf mit Kräutersud, den er sich erst vor einer halben Stunde aufgesetzt hatte. Es war eine einsame Wacht hier unten. So war es immer mit jenen, die Verantwortung trugen. Sie waren einsam. Wehmütig dachte er daran, wie oft er Festen und Trinkgelagen gelauscht hatte. Manchmal sogar Lustschreien. Er lachte leise vor sich hin. Einige der Öffnungen seiner goldenen Ohren reichten zu pikanten Orten. Er könnte Dinge erzählen … Der alte Zwerg schmunzelte. Das würde er natürlich niemals tun. Allerdings hätte er gerne einmal Amalaswintha gesehen. Über keine andere Zwergin wurde so viel gesprochen wie über sie.

Waren da Schreie? Was war denn da los? Jari setzte den Topf mit dem Kräutersud ab. Heute war ein merkwürdiger Tag. Seit die Versteigerungen begonnen hatten, summte der ganze Berg vor Unruhe. Hunderte Gäste waren gekommen. Überall ertönten fremde Stimmen. Aber so wie heute war es noch nie gewesen. Da waren wirklich Schreie. Diesmal war sich Jari ganz sicher. Und dann war da noch ein eigenartiges, fauchendes Geräusch, auf das er sich keinen Reim zu machen wusste. Es schien aus mehreren der goldenen Ohren zu kommen. Was ging da oben vor sich?

Jari blickte zu dem großen Hebel in der Mitte seiner Kammer. Sollte die Tiefe Stadt angegriffen werden, war es an ihm, die geheimen Tunnel mit den Fallen zu öffnen. Aber gab es einen Angriff? Wenn er diesen Hebel umlegte, würde Blut fließen. Wahrscheinlich auch Zwergenblut. Wer in diese Tunnel kam … Er dachte an all die Bösartigkeiten, die anderthalb Jahrhunderte dunkler Erfindungsgeist ersonnen hatten.

Nervös ging er vor der Wand mit den goldenen Ohren auf und ab. Es gab auch einen Mund. Einen einzigen. Er war mit einem großen Stopfen aus Kork verschlossen. Der Mund mündete in ein goldenes Ohr in der Schreibstube des Alten in der Tiefe. Im Zweifelsfall konnte er dort anfragen. Aber Jari war auserwählt worden, weil er kein Zweifler war. In all den Jahren hier unten hatte er nur dann zur Schreibstube gesprochen, wenn man ihn aufforderte, das Sprachrohr zu prüfen. Immerhin könnte ja vielleicht eine tote Ratte oder etwas anderes darin stecken.

Jari spürte einen Luftzug. Verwundert blickte er zur schweren Eichentür. Natürlich war sie verschlossen, und selbst wenn sie offen gestanden hätte, hätte es nicht ziehen dürfen. Hier, tief unten im Berg, war es schlechterdings unmöglich, dass es zog.

Die Papiere auf seinem großen Arbeitstisch raschelten. Ein Streifen Birkenrinde, aus dem er sich einen Fidibus für seine Meerschaumpfeife hatte drehen wollen, flog auf, segelte in Richtung seiner Lauschwand und legte sich quer vor eines der goldenen Ohren.

Jari war nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, aber das hier stank nach Zauberei. Und wenn Zauberei im Spiel war, waren Elfen nicht weit! Aber er musste es ganz sicher wissen. Er trat vor die Wand, um zu lauschen. Ein fremdes Rauschen ertönte in den Rohren. Seine Ohren schienen zu atmen. Es war, als würden sie tief Luft holen. Der Luftzug war jetzt so stark, dass sein Bart zerzaust wurde, und er gewann noch weiter an Kraft. Jari hörte die Schreie jetzt deutlicher.