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»Schick Dylan«, entgegnete er überraschend barsch. »Der Goldene erwartet, dass ich an seiner Seite bin. Er verlangt nach meinem Schwert.« Gonvalons Gesicht wirkte wie aus Stein geschlagen. Hart und angespannt, zum Äußersten entschlossen. Was war nur los mit ihm? Mit langen Schritten eilte er dem Ausgang unter dem Wappenschild der Schmiede entgegen.

»Du solltest ihm seine Sorge nicht verübeln«, sagte Dylan. »Du weißt doch um seinen Fluch. All seine Geliebten sterben. Und heute ist wahrlich ein Tag, an dem viel Elfenblut vergossen wird.«

Ailyn dachte an den Goldenen. Sorgte auch er sich um Nandalee? Sie hatte sich doch Nachtatem verschworen. Die Himmelsschlangen hatten nicht in die Tunnel der Tiefen Stadt hinabsteigen wollen, und dennoch war er hier. Sie hatte das Gefühl, dass es in diesem Gemetzel um mehr ging als nur darum, die Zwerge zu bestrafen. Wenn hier in den Tunneln eine Elfe starb, würde es niemanden wundern …

Aber sich solche Gedanken zu machen war nicht ihre Aufgabe. Sie sollte den Kampf um die Tiefe Stadt führen. Und Nandalee war schon an ihrem ersten Tag in der Weißen Halle eine Verlorene gewesen. Sie hätte niemals dorthin kommen dürfen. Für eine Drachenelfe war sie zu aufsässig, zu schwer zu formen. Rebellen waren keine guten Diener.

»Wir müssen zu den Palästen«, wandte sie sich mit fester Stimme an Dylan. »Unterwegs nehmen wir jeden mit, den wir finden. Wir bündeln unsere Kräfte und zerschlagen den letzten Widerstand. In weniger als einer Stunde kann die Schlacht um die Tiefe Stadt entschieden sein.«

Auf der Flucht

Nandalee kauerte mit angehaltenem Atem in einer Nische und beobachtete die beiden schlanken Gestalten aus Licht, die zwanzig Schritt entfernt durch den weiten Tunnel pirschten. Es gab keine Fackeln oder Öllampen in diesem Stollen. Nandalee war ganz auf ihr Verborgenes Auge angewiesen. Es wies ihr den Weg durch die Nacht, die sich in der sterbenden Zwergenstadt ausbreitete. Mehr und mehr Lichtquellen in den Tunneln erloschen, als würden sie gemeinsam mit der Stadt sterben.

Nandalee hatte einen Zauber gewoben, der das Licht ihrer Kraftlinien dämpfte. Dennoch war ihr schleierhaft, warum die beiden Elfen sie übersehen hatten. Sie schienen sich ganz auf ihre Augen zu verlassen. Das war töricht!

Die Lichtgestalten verschwanden hinter einer weiten Biegung des Tunnels. Nandalee atmete erleichtert auf und ließ sich gegen den Fels sacken. Ein wenig Schlaf … Wie gerne würde sie jetzt ausruhen.

Das Zwergenkind war in ihren Armen eingedöst. Eine wohlige Wärme strahlte von ihm aus. Sie konnte spüren, wie sich die kleine Brust bei jedem Atemzug hob und wieder senkte. Es hatte etwas Einschläferndes, ein schlafendes Kind an der Brust zu halten. Die Versuchung war groß, die Augen zu schließen. Nur für einen Moment.

Nandalee zwang sich aufzustehen. Es war nicht mehr weit bis zur Höhle des Schmiedes. Unten im Brunnen würde sie ein sicheres Versteck finden. Dort konnte sie schlafen, und dann würde sie überlegen, was sie mit dem Kind tun würde.

Müde schleppte sie sich voran, bis sie den Einstieg zu Galars Werkstatt fand. Der Gestank nach Käse war dem nach gebratenem Fleisch gewichen, verbranntem Holz und ausgeglühtem Metall. Der Kleine erwachte und suchte mit seinen Lippen nach dem, was sie ihm nicht zu geben vermochte. Wie saugende Küsse fühlte es sich an. Sein Kopf ruckte hin und her, dann blickte er zu ihr auf, und seine großen Augen füllten sich mit Tränen. Nandalee fluchte leise. Womit sollte sie ihn füttern?

Schweren Schrittes ging sie den Tunnel hinab. Sie konnte dem Kind nicht wirklich helfen. Wie oft musste so ein Zwergenbaby essen? Alle paar Stunden?

Der Kleine begann zu greinen, als sie die Schmiede erreichte. Krusten dunkelroter Glut leuchteten auf halb verbrannten Tischbeinen. Erstickender Rauch zog durch die weite Höhle.

Das Wimmern des Kindes wurde lauter. Wie heiß es wohl in der Höhle war? Sie war von einem Schutzzauber umwoben, aber der Kleine war der Hitze hilflos ausgeliefert. Eilig trat sie an den Brunnen.

Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Schwere Schritte. Jemand war im Tunnel, der zur Werkstatt führte. Nandalee legte dem Kind die Hand auf den Mund. Ja, ganz ohne Zweifel, jemand kam zu ihr herab. Sie bückte sich nach einem Dolch. In der Höhle unten beim Brunnen war sie in Sicherheit. Bestimmt! Und falls nicht … Sie schob den Dolch in das versengte, schmutzige Tuch, in das das Kind eingewickelt war.

Behände kletterte Nandalee die Sprossen im Brunnenschacht hinab und ließ sich vorsichtig ins Wasser gleiten. Hier unten hörte sie keine Schritte mehr. Ein roter Abglanz der ersterbenden Glut oben in der Werkstatt lag auf dem Wasser. Falls jemand in den Brunnen blickte, wäre sie deutlich zu erkennen. Sie musste weiter. Aber wie sollte sie mit dem Kind schwimmen? Was, wenn der Kleine Wasser einatmete?

Sie nahm die Hand von seinem Mund und versiegelte seine Lippen mit einem Kuss. Sein Atem roch säuerlich. Nach Milch. Er biss in ihre Lippe und begann daran zu saugen. Nandalee stieß sich von der untersten Sprosse ab und tauchte. Sie hielt das Kind eng an sich gepresst.

Es war nur ein kurzes Stück zu schwimmen, aber sie brauchte endlos lange. Das Kind wand sich in ihren Armen und bäumte sich auf. Nandalee konnte nur mit einem Arm vorwärtsrudern. Schnell fand sie den Einstieg zum verborgenen Tunnel. Sie zog sich mit der freien Hand am rauen Fels entlang.

Endlich brach sie mit dem Kopf durch das Wasser. Sie schob das Kind hoch, damit es atmen konnte. Im selben Augenblick sah sie die Axt niedersausen.

Von Zwergenhälsen und Ziegenhälsen

Hornbori schrie auf und stieß Galar zur Seite. Die Elfe hielt ein Zwergenkind in den Armen, um sich gegen einen Angriff zu schützen. Galar versuchte die Schlagrichtung zu ändern. Zu spät. Er schrie auf, verriss die Axt und traf dennoch.

Mit einem scharfen Knacken schmetterte die Axt gegen den Kopf der Elfe. Sie traf mit der flachen Seite, aber mit großer Wucht. Augenblicklich ließ die Mörderin das Kind los. Sie öffnete benommen den Mund und schluckte schwarzes Wasser. Ihre Augen waren verdreht, sodass Hornbori nur noch das Weiße von ihnen sah. Er packte das weinende Kind und zog es zu sich.

»Schitt«, fluchte Galar. »Wie kann man nur so gewissenlos sein und ein Kind als Schild missbrauchen!«

Hornbori wickelte das Baby aus dem triefnassen Tuch. Ein Junge, dachte er lächelnd. Ganz blaue Lippen hatte der Kleine. Er war unterkühlt. Das Brunnenwasser war eisig. Hornbori rieb ihm mit der flachen Hand über die Brust. Der Kleine weinte bitterlich. Was konnte er nur tun? Er war nie Vater geworden, hatte kaum Kontakt zu Kindern gehabt. Sie aufzuziehen war Frauensache. Sie ließen die Männer kaum einmal an die Kinder heran. Erst wenn ihr Barthaar dicht und hart zu werden begann, entließen die Weiber ihre Kinder in die Welt der Männer.

Der Kleine begann zu weinen.

»Ist er verletzt?« Galar hatte die Axt zur Seite gelegt und beugte sich über das Kind.

»Ich weiß nicht. Eine Wunde ist nicht zu sehen. Vielleicht sollten wir ihn einmal umdrehen.«

Galar blickte auf seine großen, schwieligen Hände. »Das machst besser du.«

»Wieso glaubst du, dass ich das kann?«

»Weil du ein Weichling bist. Ich … ich mach den noch kaputt. Ich hab noch nie ein Kind …«

»Ich auch nicht«, entgegnete Hornbori pikiert. Er war dreizehn gewesen, als er die Frauengemächer verlassen hatte und zu seinem Vater gekommen war. Er konnte sich kaum an seine frühe Kindheit erinnern.

»Lasst mich das machen.« Nyr hatte die Elfe aus dem Wasser gezogen und drängte sich nun zwischen sie und Galar. Ohne zu zögern, hob er den Kleinen hoch und drehte ihn um. »Alles in Ordnung, würde ich sagen.«

»Ich nicht«, zischte Galar. Der Junge pinkelte ihm in flachem Bogen vor die Brust.

Hornbori lachte auf. »Ich glaube, er mag dich.«

»Halt’s Maul, Schisser!«

Irgendwie klang es diesmal ein wenig freundlicher, dachte Hornbori. Jedenfalls für Galars Verhältnisse.