Zu seiner großen Überraschung spiegelte sich in den Zügen des Goldenen eher Verwunderung als Ärger. Ihr rebelliert gegen mich, Meister Gonvalon? Ihr, mein Schwert? Ein Gedanke von mir, ein geflüstertes Wort der Macht, und Euer Arm wird Euch nicht mehr gehorchen. Dann enthauptet Ihr die Frau, die Ihr liebt. Ganz gleich, was Euer Herz Euch gebietet.
Ein Schmerz wie ein plötzlicher Krampf stach in seinen Schwertarm. Die Klinge senkte sich um eine Handbreit. Er kämpfte dagegen an und war doch machtlos.
Ich helfe Euch, mir ein guter Diener zu sein. Die Worte schmerzten nicht, und dennoch wohnte ihnen eine Macht inne, die ihn ganz erfüllte.
»Wenn diese Klinge Nandalees Leben stiehlt, werde ich sie, noch bevor das Blut meiner Geliebten darauf erkaltet, gegen mein Herz richten. Ich werde nicht ohne sie leben. Ich hätte allen Wert für Euch verloren, mein Gebieter.«
»Das also ist das Wunder der Liebe …« Der Goldene sprach nicht länger in Gedanken zu ihm. Er lächelte distanziert. Das Licht, das ihn umfloss, war klar wie an einem eisigen Wintermorgen. Jetzt strahlte er eine Kälte aus, wie Gonvalon sie noch nie zuvor in seinem Leben empfunden hatte. Nicht einmal in jener fernen Winternacht, als er als Kind allein inmitten eisiger Einöde den Wölfen überlassen worden war.
»Zeigt mir etwas von der Macht dieses Wunders, Schwertmeister. Ihr redet so viel vom Tod. Erpresst mich damit … Wendet nun Eure Klinge gegen Euren Leib. Schneidet Euch das Herz aus der Brust und bringt es zu mir, um es in meine Hand zu legen. Wenn Euch das gelingt, schenke ich Nandalee das Leben.«
»Nein!«, stöhnte Nandalee. Sie griff nach seinem Fuß, doch er löste sich von ihr. Er würde jeden Preis für ihr Leben zahlen. Mit elegantem Schwung setzte er die Klinge auf seine Brust und schnitt, ohne zu zögern, in sein Fleisch.
»Das genügt.« Das Licht, das den Goldenen umspielte, verlor an Kraft. Seine Stimme klang matt, als er sprach.
Ich habe Euch also verloren, Meister Gonvalon. Nach so vielen Jahren … Es war wie ein letzter Gruß, dem klare, kalte Worte folgten. »Ich entbinde Euch von allen Eiden, die Ihr mir einst geleistet habt. Ihr seid nicht länger ein Drachenelf!« Die letzten Worte hallten laut wie Donnergrollen von den Wänden der Höhle wider, und ein Schmerz fuhr in Gonvalons Rücken, als träfen ihn tausend Nadeln, um seine Haut vom Fleisch zu fetzen. Er schrie auf und brach neben Nandalee in die Knie. Der Schmerz dauerte an, zerrend, tief unter seiner Haut. Staubfeiner Sprühregen benetzte Gonvalon. Blut und Farbe!
»Die Tätowierung, die einst unseren Bund besiegelte, ist gelöscht. Ihr seid frei, Euch ganz und gar der Illusion ewiger Liebe zu ergeben. Ich werde Euch beobachten, Nandalee, die Ihr mit Eurem Jähzorn Eure ganze Sippe ins Unglück geführt habt, und Gonvalon, dessen Liebe stets der Schatten des Todes anhaftet. Wie lange mag eine Liebe währen, auf der so ungünstige Omen lasten? Wie stark werden eure Herzen sein, wenn das Schicksal sie auf die Probe stellt? Oder aber ich.«
Gonvalon legte den Arm um Nandalees Schultern. Sie zitterte vor Schwäche. Er würde sie hier herausbringen, aus diesen verfluchten Tunneln. Würde sie ans Licht tragen und pflegen. Würde alles tun, um sie die Schrecken dieses Tages vergessen zu lassen und ihre Narben an Körper und Seele zu heilen.
Sein Rücken war ein einziger, brennender Schmerz, doch sein Herz war so weit, dass er das Gefühl hatte, dass es vor Glück zerspringen könnte. Er war frei! Er hielt Nandalee in seinen Armen, und vielleicht endete mit seinem Bund an den Goldenen auch das Verhängnis, das bislang stets dem Geschenk seiner Liebe angehaftet hatte.
Nandalee würde die letzte Liebe in seinem Leben sein. Er würde sie schützen mit all seiner Kraft. Entschlossen stand er auf. Ihr Kopf lehnte kraftlos an seiner Brust. Ihre Lippen zitterten, doch wollten keine Worte darüber kommen. Stattdessen rannen heiße Tränen über ihre Wangen, und auch er konnte seine Tränen nicht länger zurückhalten.
Sein Schwert war auf dem Boden liegen geblieben. Es verkörperte das Leben, das in dieser Stunde ein Ende gefunden hatte.
»Wir werden in die Wälder gehen, sobald du zu Kräften gekommen bist. Wir lassen alles hinter uns. Wir werden frei sein!«
Sie blinzelte und sah zu ihm auf. In ihrem Blick lag Angst. Was hatte er Falsches gesagt?
Von Drachen und Elfen
»Was in der Tiefen Stadt geschah, entfremdete nicht nur die Schlangen des Himmels von ihren Schöpfern, den Alben; es veränderte auch die Elfen der Weißen Halle auf immer. Nie waren sie alle gemeinsam in den Kampf gezogen. Jeder, der in die Reihen der Drachenelfen aufgestiegen war, hatte schon ruchlose Bluttaten begangen, doch zu sehen, wozu sie alle gemeinsam fähig waren, war etwas anderes, als auf sich allein gestellt zu morden. Nicht siegestrunken kehrten sie in die Weiße Halle zurück, niedergeschlagen waren sie. Und als die Waffen der Drachen wieder in der weiten Halle aufgehängt wurden, da mussten elf neue Bronzetafeln geschaffen werden, denn so viele von ihnen waren gegangen. Von Eleborn, für den dies die letzten Tage in der Weißen Halle waren, habe ich davon erfahren. Sosehr die Meister der Halle sich auch bemühten, den alten Geist, die Überzeugung, für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen, wieder aufleben zu lassen, gab es etwas, das auch für die Elfen für immer verloren gegangen war: die Gewissheit, dass sie auf Seiten des Lichtes fochten und ihre Klingen die Gerechtigkeit mehrten. Tief in seinem Herzen wusste ein jeder von ihnen, dass die Schlangen des Himmels nicht Recht gesprochen, sondern Rache genommen hatten. Und ihre Rache war noch nicht vorüber. Auf die beschädigten und halb gesunkenen Boote, mit denen die Zwerge einst die Flüsse im Fels befuhren, legten sie einen Zauberbann, auf dass jedes dieser Gefährte die Aufmerksamkeit der Weißen Schlangen auf sich ziehen musste, sollte es instand gesetzt und benutzt werden. Auch ließen sie einige Tatzelwürmer in der Tiefen Stadt zurück, die in den weiten Tunneln ihre neue Heimat finden sollten, und Silberschwingen segelten im kalten Wind über dem Berg, der sich über die Tiefe Stadt erhob, denn nie wieder, so war es der Wille der Schlangen des Himmels, sollte ein Zwerg seinen Fuß in die Tiefe Stadt setzen. Dieser Ort war verflucht bis ans Ende aller Zeiten.
Die Macht böser Taten vermag den Zauber zu verändern, der unserer Welt innewohnt. Ich selbst habe den geisterhaften Wald gesehen, der sich heute über den verfluchten Hallen erhebt. Einen Wald, über den kein Vogel fliegt und in dem keine Maus ein Nest gräbt. Und obwohl die Augen der Zwerge glänzen, wenn sie von den Reichtümern der Tiefen Stadt sprechen, wagt es doch keiner, je wieder dorthin zu ziehen, um nach den verlorenen Schätzen zu suchen.
Ein Gutes jedoch folgte aus diesen Taten, denn ohne es zu ahnen, hatten die Schlangen des Himmels doch den Acker bereitet, auf dem bald schon der Geist der Rebellion erste Früchte treiben sollte. (…)«
Randnotiz: Meliander verbrachte einen Teil seiner Jugend gemeinsam mit seiner Schwester Emerelle in der Obhut von Zwergen. Es ist anzuzweifeln, ob er als ein objektiver Berichterstatter gelten kann. Galawayn, Hüter der Geheimnisse
Das Recht der Steppe
Kurunta war diese verfluchte Zeltstadt ebenso leid wie diesen Palast, der nach Pferdemist stank. Diese Barbaren blieben nie an einem Ort. Sie schufen nichts von Bestand. Er lächelte dem Unsterblichen Madyas zu, als er dessen Blick bemerkte.
»Und? Gefällt dir, was du siehst?« Madyas benutzte die Sprache der Götter. Kurunta war überrascht. Es war das erste Mal, dass der Herrscher der Ischkuzaia ihn in dieser Zunge ansprach. Von einem Steppenbarbaren hätte er nicht erwartet, dass er die Sprache der Fürstenhöfe beherrschte.