Kurunta nickte beiläufig, ganz darauf bedacht, sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. »Erstaunlich geschickt, diese jungen Reiter.«
»Nicht wahr? Die Heere der Stadtstaaten vom Seidenfluss waren größer als meine Armeen, aber wir besiegten sie jedes Mal, wenn sie sich hinter ihren Mauern hervorwagten.« Madyas sprach in leichtem Plauderton, aber die Botschaft war bei Kurunta angekommen. Der Feldherr musste an sich halten. Sich von so einem verlausten Steppenhund beleidigen zu lassen … Wie tief war er doch gesunken, dass er vor diesem kleinen, dicklichen Kerl buckeln musste!
Der Unsterbliche hatte ein hartes Gesicht mit breitem, männlichem Kinn. Doch wirkte er stets ungepflegt. Stoppeln wucherten auf seinen Wangen, die tiefliegenden Augen wurden von struppigen Brauen verborgen, und ungebändigte Haarsträhnen hingen ihm in die Stirn. Im Gegensatz zu den Würdenträgern, mit denen er sich umgab, trug er keine Seide, sondern eine speckige Weste, die seine Arme nicht bedeckte. Madyas stellte gern die Wolfstätowierungen und Narben auf seinen Armen zur Schau. Er galt als guter Jäger und ausdauernder Schwertkämpfer. Und er stank, als hätte er in einer Schweinesuhle geschlafen.
Ein weiterer Reiter preschte am großen Palastzelt vorbei, drehte sich mitten im Galopp um, hob seinen kurzen Bogen und schoss einen Pfeil ab, der mit dumpfem Geräusch in die Scheibe aus geflochtenem Stroh schlug, die gut dreißig Schritt entfernt stand.
Kurunta griff nach dem klebrigen Honiggebäck, das auf einem großen Silberteller neben ihm auf dem Boden stand. Obwohl ein Junge mit einem Federfächer den Teller hütete, klebten schon mehrere Fliegen auf dem Honig. Erstaunlich, mit welcher Begeisterung sich diese Tiere in den Tod stürzten.
Der Gesandte griff eine der honigtriefenden Kugeln aus goldgelbem Gebäck, zupfte die dicke, grün schillernde Fliege herunter und zerdrückte sie zwischen seinen Fingern, während ein weiterer Bogenschütze vor dem Zelt vorbeipreschte und seine Kunstfertigkeit zur Schau stellte. Einen Herzschlag lang war Kurunta versucht, mit dem Gebäck nach dem Schützen zu werfen. Er stellte sich vor, wie der junge Krieger den Bogen verriss und sein Pfeil einen der stinkenden Kerle traf, die Madyas vor dem Zelt versammelt hatte. Die meisten seiner Höflinge waren in Seide gekleidet. Angeber! Es hieß, dass er jeden Mond tausend Seidenballen als Tribut empfing, dazu prächtige Gewänder, Kisten voller Perlen, Gewürze und Weihrauch. Das meiste davon verschenkte er mit vollen Händen unter seinem Gefolge. Aber was half es, in einem perlenbestickten Seidengewand zu stecken, wenn man dazu Stiefel voller Pferdedung trug, auf denen sich die Fliegen paarten.
»Ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn ich der Prinzessin Shaya einmal von Angesicht zu Angesicht begegnen könnte. Natürlich in Eurer Anwesenheit, huldvoller Madyas.«
Der Unsterbliche sah ihn verärgert an. »Ich soll die schönste meiner Töchter der Frühlingssonne aussetzen? Das würde deinem Herrn nicht gefallen.«
»Mein Herr erwartet, dass ich ihm vom Liebreiz der Prinzessin berichte. Es wäre von Vorteil, wenn ich sie einmal gesehen hätte.«
Madyas strich sich über die Bartstoppeln auf seinen Wangen. »Sie hat einen Hintern wie das Mädchen, das dir gestern Nacht geschickt wurde.«
Kurunta blickte missbilligend zu der Hure an seiner Seite. Er hatte nicht viel Spaß an ihr gehabt. Er mochte keine Weiber mit kleinen Brüsten und schmalem Hintern. Sie war erfreulich unterwürfig gewesen. Allerdings hatte sie sich so viel Mühe gegeben, ihm vorzuspielen, wie begeistert sie von seinen Liebeskünsten war, dass ihm jeglicher Spaß vergangen war. Vielleicht hatte sie das absichtlich getan. Sie hatte kluge Augen.
Er griff nach dem honiggetränkten Gebäck und nahm das einzige Stück, auf dem zwei Fliegen klebten. Mit einem kurzen Stups mit seinem Fuß brachte er das Mädchen dazu, sich zu ihm umzudrehen. Demütig blickte sie zu ihm auf. Ohne zu zögern, öffnete sie den Mund, als sie das Gebäck sah. Er schob es über ihre rot bemalten Lippen und sah lächelnd zu, wie sie gehorsam kaute und schluckte.
»Gefällt dir die kleine Hure, Kurunta? Sie war einmal eine Prinzessin in einer der Städte am Seidenfluss. Prinzessinnen gibt es dort so viele wie Fliegen im Hochsommer hier im Grasland.«
Kurunta überlegte, was wohl mit ihr geschehen würde, wenn er schlecht von ihr sprach. Er betrachtete die Reste der Fliege, die er eben zwischen seinen Fingern zerdrückt hatte. »Sie hat mir eine Erfahrung ganz neuer Art beschert.«
Madyas fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Wirklich? Erzähl!«
»Nun …« Kurunta hüstelte. »Sie schaffte es, dass ich meinen Liebesakt nicht zur Vollendung brachte. Und ich kann Euch versichern, Unsterblicher, dass diese Erfahrung singulär ist und nicht in der Verantwortung mangelnder Hingabe meinerseits lag.« Der Gesandte hielt die Sklavin im Blick. Sie wirkte völlig unbeteiligt. Sie konnte die Göttersprache ganz offensichtlich nicht verstehen.
»Ich hoffe, du hast dies nicht als eine gezielte Beleidigung aufgefasst, Kurunta. Man hat mir versichert, dass dieses Mädchen sehr gefügig ist.«
»Gefügig ja, aber uninspiriert. Es war, als habe ich ein billiges Hurenhaus aufgesucht, um meine Geilheit an irgendeiner Schlampe abzuarbeiten, für die ich an diesem Tag der zehnte Kunde bin.«
Madyas bedachte die Sklavin mit einem vernichtenden Blick. »Sie ist also so nutzlos wie ein zerbrochenes Schwert in einer Schlacht.«
»Schlimmer«, sagte Kurunta gut gelaunt. »Sie zerbricht das Schwert eines Kriegers, bevor die Schlacht geschlagen ist.«
»Mir war bislang verborgen geblieben, dass sich ein Poet unter der rauen Schale des Feldherren Kurunta verbirgt«, sagte Madyas in der Sprache seines Volkes und applaudierte. Sofort reagierten die Höflinge rings herum und begannen ebenfalls zu klatschen. Sogar die kleine Sklavin, deren Leben durch seine Lügen wohl bald ein vorzeitiges Ende nehmen würde, applaudierte ihm.
Madyas hob die Hände, und der Applaus verebbte. »Nun, da unser Gast die Geschicklichkeit unserer Krieger bewundern konnte, soll er sehen, wie wir mit jenen verfahren, die sich gegen die Gesetze der Steppe vergehen. Bringt die Verurteilten!«
Kurunta warf dem Unsterblichen einen besorgten Blick zu. Was sollte damit demonstriert werden? War das eine Drohung?
Madyas wandte sich ihm zu. »Ich habe gehört, dass es ein bartloser Eunuch war, der die Schönheit aus deinem Gesicht brannte. Datames, der Hofmeister des Unsterblichen Aaron. Ich verstehe nicht, warum Aaron diesem Hund nicht die Haut abziehen ließ. Ich finde, wenn man einem Mann den Schwanz abschneidet, verliert er unwiederbringlich auch ein Stück seines Verstandes. Solche Geschöpfe kann man nicht mehr verstehen. Allein harte Strafen halten sie im Zaum. Du sollst sehen, wie ich mit solchen Halbmännern umgehe, wenn sie mich enttäuschen.«
Kurunta hasste es, auf den Zwischenfall bei der Himmlischen Hochzeit des Unsterblichen Muwatta angesprochen zu werden, als ihn der tölpelhafte Hofmeister in einem Zweikampf verstümmelt hatte. Er war nie besiegt worden! Durch einen Unfall war ein Feuer ausgebrochen, und sein Gesicht und noch viel mehr waren zum Opfer der Flammen geworden. Seitdem verzehrte er sich danach, Datames in seine Hände zu bekommen. Kein Tag verstrich, an dem Kurunta seine Brandnarben nicht peinigten. Sein einziger Trost war, sich auszumalen, was er Datames antun würde. Der Hofmeister würde einen sehr langsamen Tod sterben.
Zwei große, ein wenig weibisch wirkende Männer wurden auf dem Platz vor dem Palastzelt vorgeführt. Beide hatten ein Bild auf die Stirn tätowiert, das Kurunta an eine sich windende Eidechse erinnerte. Einer der beiden versuchte sich zu Boden zu werfen, doch die Wachen des Unsterblichen hielten ihn fest. Schwarze Tränen rannen über die Wangen des Mannes. Er war geschminkt. Der Zweite hielt sich besser. Er stand aufrecht und bedachte den Unsterblichen mit wütenden Blicken.
»Diese beiden Eunuchen haben einer meiner Haremsdamen ein Perlenarmband gestohlen«, erklärte Madyas und lachte. »Man muss wohl Eunuch sein, um ein Armband so sehr zu begehren, dass man dafür sein Leben riskiert.«