Der Eunuch, der aufrecht stand, stieß unartikulierte Laute aus.
»Den Auserwählten, denen es gestattet ist, mein Zelt zu betreten, schneiden wir die Zungen heraus, damit sie nichts weitererzählen können, sollten sie einmal Zeugen eines Gesprächs geworden sein, das nicht für ihre Ohren bestimmt war.«
Kurunta beobachtete interessiert, wie den beiden Männern breite Lederbänder um die Fuß- und Handgelenke geschlungen wurden. Einer Vierteilung hatte er noch nie beigewohnt.
An den Lederbändern wurden Hanfseile befestigt, sodann führte man acht Pferde herbei, von denen ein jedes wie ein Ackergaul aufgezäumt war. Je zwei Pferde wurden an eines der Gliedmaßen geschirrt. Dem Eunuchen, der sein Schicksal würdig nahm, wurde die Ehre zuteil, als Erster an die Reihe zu kommen.
Der Scharfrichter, ein kleiner, buckliger Mann, der ein gebogenes Messer in seinem Gürtel trug, streifte dem Verurteilten den Wickelrock ab. Anschließend überprüfte er alle Seile.
»Es erfordert eine erstaunliche Kraft, einen Menschen zu zerreißen«, erklärte Madyas gut gelaunt. »Manchmal muss der Scharfrichter ein wenig nachhelfen.«
Kurunta fragte sich, was der Bucklige wohl tun konnte, wenn die Kraft der Pferde versagte. Der Kerl sah nicht sonderlich kräftig aus. Er hob seinen Arm und gab ein lautes Kommando. Die Seile spannten sich. Der Eunuch wurde mit einem Ruck von den Beinen gerissen und schwebte, von den Seilen gehalten, etwa einen halben Schritt über dem zerstampften Boden.
Atemlose Stille herrschte. Der ganze Hofstaat verfolgte gebannt das Spektakel. Einige der Krieger hatten ihre Söhne in die vorderste Reihe geschoben, damit sie besser sehen konnten und ihnen nichts entging.
Der Eunuch bäumte sich auf. Seine Hände hatten sich um die Seile geschlossen, und er kämpfte gegen die Kraft der Pferde an.
»Guter Mann«, murmelte Madyas. »Er nimmt es tapfer. Was glaubst du, Kurunta? Wird er zuerst einen Arm oder ein Bein verlieren?«
»Reißen ihm wirklich alle vier Gliedmaßen ab?«, fragte der Gesandte, ohne seinen Blick von dem Schauspiel abzuwenden. Jeder Muskel des Eunuchen war nun angespannt. Er war ein kräftig gebauter Mann. Schweiß rann über seinen Leib. Das Gesicht war eine Grimasse aus Schmerz und Zorn.
»Es reißen nur drei Gliedmaßen ab. Das vierte Pferd zieht mit dem davon, was übrig geblieben ist. Es …«
Ein deutlich vernehmliches Knacken unterbrach Madyas. Der Eunuch schrie auf. Sein rechtes Bein war unnatürlich verdreht.
»Es beginnt!«, erklärte Mayas begeistert. »Zuerst werden Arme und Beine ausgekugelt. Die Gelenke sind der schwächste Punkt. Dann beginnen Haut und Muskeln zu reißen. Zuletzt die Sehnen.«
Stallburschen zerrten am Geschirr der Pferde und ließen Peitschen über ihre Köpfe knallen. Die Tiere stemmten die Hufe in den weichen Boden und zogen mit aller Kraft. Die Seile waren zum Zerreißen gespannt.
»Mein Hofarzt behauptet, dass die Anspannung selbst die Bauchmuskeln zerreißt und die inneren Organe. Er hat einmal den Leichnam eines Gevierteilten aufgeschnitten und näher untersucht.«
Kurunta konnte sehen, wie ein Ruck durch das verdrehte Bein lief. Risse bildeten sich in der Haut des Oberschenkels. Noch immer hielt der Eunuch die Seile umklammert, die an seinen Handgelenken befestigt waren.
Ein weiterer Ruck. Blut quoll aus der Lendengegend. Das Muskelfleisch zerriss. Kurz hing das Bein noch an blutigen Fasersträngen, dann wurde es ganz abgetrennt. Der Eunuch warf in seiner Pein seinen Kopf hin und her, schrie aber nicht mehr.
Die drei anderen Gespanne zerrten noch weiter, während der Boden vom Blut des Beinstumpfes durchtränkt wurde.
Die Hände des Eunuchen lösten sich von den Seilen. Fast augenblicklich war ein Knacken zu hören, als ihm der linke Arm ausgekugelt wurde. Der Eunuch keuchte. Dies und das Schnauben der Pferde waren die einzigen Geräusche, die sich vernehmen ließen.
Madyas erhob sich. »Der Mann hat gut gekämpft«, rief er. »Mag er auch ein Dieb gewesen sein, er hat seine Ehre wiederhergestellt. Mach es ihm leichter zu gehen, Buckliger.«
Beifälliges Gemurmel begleitete seine Worte. Kurunta fand es inkonsequent, eine Bestrafung abzuändern, weil der zu Bestrafende sich tapfer zeigte. Zeigte man dadurch nicht, dass man sich bei der Verurteilung geirrt hatte? Gnade war für die Zögerlichen! Ein wirklicher Herrscher stand zu den Entscheidungen, die er getroffen hatte. So wie der Unsterbliche Muwatta.
Der Scharfrichter zog das Messer aus seinem Gürtel. Mit einem tiefen Schnitt durchtrennte er Sehnen und Muskeln der linken Achsel. Fast augenblicklich gab der Arm der Kraft des ziehenden Gespanns nach und wurde abgerissen.
Der Eunuch schien ohnmächtig geworden zu sein. Er reagierte nicht mehr, als der Bucklige auch bei seinem rechten Arm einen Schnitt setzte, der das Schauspiel beendete. Der Kadaver wurde von jungen Pferdeknechten eingesammelt. Der Scharfrichter verkaufte einem hageren Höfling den Wickelrock des Toten.
Acht neue Pferde wurden vor das Palastzelt geführt.
Madyas legte Kurunta die Hand auf die Schulter. »Komm mit mir, ich möchte dich meiner Tochter Shaya vorstellen, damit du und dein König mich nicht für einen Rosstäuscher halten. Du wirst sehen, sie ist eine der edelsten Blumen, die je auf der Steppe erblühten.«
Kurunta war überrascht vom plötzlichen Sinneswandel des Unsterblichen. Er stützte sich auf die kleine Sklavin und kam mit einem Schnaufen auf die Beine. In den Monden, die er darniedergelegen hatte, um sich von den Verbrennungen zu erholen, die ihm der Hofmeister des Unsterblichen Aaron beigebracht hatte, war er fett geworden. Er brauchte dringend einen Feldzug, um sich die überzähligen Pfunde vom Leib zu schwitzen. Bald würde er wieder an der Seite seines Herrschers stehen und ihm helfen, die Heerscharen Arams auf der Ebene von Kush zu zerschmettern.
»Für den winselnden Lumpen dort unten gibt es keine Gnade, Scharfrichter«, rief Madyas mit lauter Stimme. »Und wenn du mit ihm fertig bist, dann richtest du diese kleine Hure hier!« Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Sklavin an Kuruntas Seite. »Sie hat unseren Gast beleidigt und unserem Hof Schande gemacht. Ihr Blut soll diesen Makel von uns waschen.«
Die Kleine drehte sich um. Mit weit aufgerissenem Mund stierte sie Kurunta an. Dann spuckte sie vor ihm aus.
Madyas lachte. »Ganz ohne Feuer scheint sie doch nicht zu sein.«
Kurunta versetzte ihr eine Ohrfeige, die sie zu Boden schmetterte. Seine Ringe hatten blutige Male auf ihrer Wange hinterlassen. »Mögen die acht Hengste reichlich Vergnügen an dir haben.«
»Auf jeden Fall sind sie mehr Mann als du, Rundauge!«
Madyas schnalzte mit der Zunge und winkte nach seinen Wachen. »Sorgt dafür, dass sie schweigt, bevor sie noch mehr Dinge über unseren Gast erzählt, die eigentlich keiner wissen möchte.«
»Diese Hure lügt!«, empörte sich Kurunta, wurde zugleich aber rot.
»Natürlich«, beschwichtigte ihn Madyas lächelnd. »Wir alle wissen doch, dass Huren lügen, wenn sie nur das Maul aufmachen.«
Der Gesandte biss sich auf die Lippen. Ihm war klar, dass, ganz gleich was er noch sagte, seine Schande nur wachsen würde. Das Klügste war es zu schweigen, und so folgte er Madyas in den Schatten der Sternenjurte.
Inmitten des großen Zeltes erwartete sie eine zierliche Frau in einem langen, weißen Kleid. Ihr schwarzes Haar war mit goldenen Kämmen hochgesteckt. Sie wandte sich zu ihnen um, als sie das Zelt betraten. Ihre Augen waren schwarz wie die Nacht und wirkten riesig. Schön war sie nicht, dachte Kurunta, aber man musste nur in ihre Augen blicken, um zu erkennen, dass sie zum Herrschen geboren war.
»Dies ist Shaya, meine siebenunddreißigste Tochter, Stolz meines Herzens und Sonne meiner Tage.«
Kurunta verneigte sich vor der Prinzessin. Sie wirkte herrisch und hart. Der Unsterbliche Muwatta würde nicht viel Freude an ihr haben. Gerüchten zufolge hatte sie als Kriegerin die Truppen Ischkuzaias auf Nangog befehligt und in drei Schlachten gegen die Himmelspiraten des Verräters Tarkon Eisenzunge gekämpft.