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»Hauptmann?«, fragte Ilmari verwirrt.

»Du gehst mit dem, der über den Adlern schreitet, und weißt nicht einmal, wen du begleitest?«, zischte eine der Gestalten im Halbdunkel der Gasse.

»Er wirklich nicht wissen«, beruhigte Volodi den Zinnernen und bedauerte, dass er sich nun wieder der Zunge Arams würde bedienen müssen. Der Drusnier wollte nicht, dass noch mehr über ihn gesprochen wurde. Er wollte geheim halten, wer er war und was er hier tat. Wenn bekannt würde, dass der Unsterbliche Aaron gezwungen war, seine Krieger aus Nangog abzuziehen, um die Reihen seiner Heerscharen auf der Ebene von Kush zu verstärken, würde der Herrscher sein Gesicht verlieren. Es ließe ihn schwach aussehen, und niemand konnte wissen, was geschehen würde, wenn sich herumsprach, dass die Besitzungen Arams auf Nangog nicht mehr verteidigt wurden.

»Wir müssen in den Untergrund«, erklärte der Zinnerne und schob den Dolch in seinen Gürtel. »Kolja ist überaus erfreut, dass du gekommen bist. Genau im richtigen Augenblick!«

Mit Rücksicht auf Ilmari verkniff sich Volodi zu fragen, was das heißen sollte. Sollte Kolja zu der Ansicht gelangen, dass sein ziegenbärtiger Führer zu viel über die Verwicklung der Palastwache Arams in den Kampf um die Hurenhäuser der Goldenen Stadt mitbekommen hatte, würde Ilmari in den Abgründen der Stadt verschwinden.

»Hier entlang!« Der Krieger winkte ihn zu dem Hauseingang, aus dem er so unvermittelt aufgetaucht war. »Was machen wir mit dem Kerl?« Er nickte knapp in Ilmaris Richtung.

»Hat sich getan, was war sich zu tun«, kämpfte sich Volodi durch die verwickelte Grammatik der Sprache Arams und schnippte Ilmari das versprochene Silberstück zu. »Du solltest zusehen, dass du so schnell wie möglich so weit wie möglich von hier fortkommst«, fügte er in seiner Muttersprache hinzu. Dabei klopfte er dem kleineren Mann auf die Schulter. »Wie es aussieht, stecke ich hier bis zum Kinn in der Scheiße, was bedeutet, dass für dich die Luft zum Atmen knapp wird, wenn du weiter mit mir gehst.«

Ilmari biss auf die Silbermünze und schnalzte mit der Zunge. »Viel Glück, der über den Adlern schreitet.« Mit diesen Worten drängte er sich zwischen den beiden Kriegern hindurch, die hinter ihnen die Gasse hinabgekommen waren, und verschwand fliegenden Schrittes in der Nacht.

»Wir hätten dich abgeholt, Hauptmann, wenn du eine Nachricht geschickt hättest«, sagte der Anführer der Söldner und trat in den Hauseingang. Von dort führte eine Treppe in den gewachsenen Fels hinab.

»Wollte ich überraschen Freund Kolja«, sagte Volodi.

»Kolja ist ein Mann, der schwer zu überraschen ist.« Der Krieger nahm eine Blendlaterne auf, die weiter unten auf der Treppe stand. Jetzt sah Volodi zum ersten Mal sein Gesicht. Es war schmal, von Wind und Wetter gegerbt. Auf den Stoppeln seiner Wangen lag schon reichlich Grau. Eine Narbe verlief quer über seine Stirn, die Nasenwurzel und hinab bis auf seine linke Wange. Wache graue Augen blickten zu Volodi auf. Er stand Eurylochos gegenüber, dem einstigen Steuermann auf dem Schiff des Aigolos, jenes Piratenfürsten, den Volodi im Zweikampf getötet hatte.

»Du schon lange träumst davon, mit mir in stillen Keller gehen?«, fragte er ruhig.

Eurylochos hielt seinem Blick stand. Keinerlei Regung spiegelte sich in seinen Zügen. »Nur weil mein Kapitän ein Narr war, bedeutet das nicht, dass auch ich einer bin. Wer fordert ohne Not einen Mann heraus, der die Gunst eines Unsterblichen genießt und der über den Adlern schreitet?«

Volodi lächelte. »Du nicht böse bist, wenn ich bitte dich gehen vor mir.«

Eurylochos lachte. »Würden wir es anders machen, würden wir uns in den Kellern verlaufen.«

Der Mann hatte Humor. Volodi mochte ihn, aber er wusste, dass auch Männer, die gerne lachten, anderen Männern die Kehle durchschneiden konnten. Seine Rechte ruhte auf dem Knauf des Schwertes, als er Eurylochos durch die Katakomben folgte.

Der Steuermann hatte nicht gelogen. Es war ein wahres Labyrinth, das sie durchschritten. Volodi sah Keller voller bauchiger Vorratsamphoren, es roch nach Öl und Wein und frisch geschlagenem Holz. In einem Seitentunnel lag Werkzeug.

»Ist sich neu, dies Mausenest?«

»Wir bauen es weiter aus. Kolja hat den Wunsch, dass jedes unserer Häuser in dieser Stadt auch unterirdisch zu erreichen sein soll. Ich glaube nicht, dass dies zu schaffen ist, aber du weißt ja, wie er ist, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat.«

Das wusste Volodi allerdings. Kolja hatte das Talent, immer ein kleines Stück weiter zu gehen, als gut war.

Das Rumoren vieler Männer ließ den Drusnier aufhorchen. Bald erreichten sie einen langen Keller, in dem sich Dutzende Krieger drängelten. Fast alle von ihnen kannte er. Kolja hatte die Zinnernen versammelt. Fast alle der Kämpfer hier trugen zwei polierte Zinnmünzen auf der Brust. Eingefasst in Leder, trugen sie die Münzen als Ehrenzeichen. Die erste zeigte zwei gekreuzte Schwerter und auf der Rückseite einen Pferdekopf. Sie hatten sie für den Feldzug erhalten, auf dem sie mit ihren Streitwagen weit ins Hinterland Luwiens vorgedrungen waren, um dem Unsterblichen Muwatta das Geheimnis seiner Klingen zu entreißen. Dort hatten sie ihre eisernen Schwerter erbeutet, die sie vor allen anderen Kriegern Arams auszeichneten. Die zweite Münze zeigte einen Wolkensammler, der ein Himmelsschiff trug, und auf der Rückseite das Gesicht einer Daimonin mit langen Ohren. Sie war eine Auszeichnung für die Schlacht über den Wolken gegen den Piraten Tarkon Eisenzunge und den Kampf gegen die Daimonenkinder, den sie tief in den Wäldern Nangogs gefochten hatten.

Etliche der Krieger klopften Volodi freundschaftlich auf die Schulter, als er vorüberging. Sie ahnten ja noch nicht, weshalb er hier war. Er sollte sie zu ihrer dritten Schlacht auf die Ebene von Kush holen. Danach wäre alle Schuld getilgt, die sie als Piraten auf sich geladen hatten. Sie wären freie Männer. Aber Volodi wusste nur zu gut, dass höchstens eine Handvoll von ihnen überleben würde. Er war hier, um sie in den sicheren Untergang zu führen.

»Volodi, mein Bruder!« Kolja brach mit der Gewalt eines Tropensturms zwischen den Männern hervor. Er überragte Volodi um mehr als Haupteslänge. Alles an ihm war größer, er hatte die Statur eines Bären, nein eher einer hochschwangeren Bärin, dachte Volodi, denn er hatte gut angesetzt, seit sie einander zuletzt begegnet waren.

Kolja schlang ihm seinen mächtigen rechten Arm um die Schultern und zog ihn an seine Brust. Sein mit Bronzeschuppen beschlagener Brustpanzer roch nach vergossenem Wein. »Dich schicken die Götter, Bruder. Du lässt wahrlich keinen Kampf aus!« Kolja blickte zu ihm herab, nahm Volodis Gesicht in seine vernarbten Hände und küsste ihn herzhaft auf die Wangen. »Gut, Junge. Wirklich gut!«

Kolja war der mit Abstand hässlichste Kerl, dem er jemals begegnet war. Er hatte große, blaue Augen unter fleischigen Lidern, die jenen, die ihn nicht besser kannten, oft den Eindruck kindlicher Einfältigkeit vermittelten. Sie vermochten es, einen in ihren Bann zu schlagen und das übrige Gesicht vergessen zu machen. Die rote, mehrfach gebrochene Nase, die nur noch ein formloser Klumpen war. Das verwachsene Narbengewebe, das seine Augenbrauen ersetzte. Das linke Ohr, das zu einer unförmigen Kugel geschrumpft war, deren Form an das zur Faust geballte Händchen eines Neugeborenen erinnerte. Kolja war einer der erfolgreichsten Faustkämpfer Luwiens gewesen. Jahrelang war er in allen großen Städten aufgetreten. Es war jene Sorte von Kämpfen gewesen, in denen man mit Bronze beschlagene Lederriemen um seine Fäuste wickelte, um seinem Gegner regelrecht das Fleisch vom Angesicht zu reißen. Kolja hatte dabei nicht durch ausgefeilte Technik geglänzt. Er hielt lediglich mehr aus als jeder andere. Der Preis seiner Siege war ein Gesicht, dem abgesehen von den Augen nur noch wenig Menschliches anhaftete.

Im Kampf gegen die Daimonenkinder hatte Kolja seinen linken Unterarm verloren. Er trug eine Prothese aus gehärtetem Leder, die in einer Faust mündete, um die ein bronzebeschlagener Riemen gewickelt war. Kolja war ein Kämpfer, durch und durch. Man müsste ihm den Kopf abschneiden, damit er eine Schlacht verloren gab.