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In die Menge unten kam Bewegung. Einige versuchten zu fliehen und liefen auf die blockierten Straßenenden zu, andere drängten sich dicht an die Häuserfassaden, um Deckung zu finden. All das würde kaum helfen. Volodi sah, dass die Bogenschützen so verteilt waren, dass es für sie kaum einen toten Winkel gab.

»Schießt auf den Hauseingang!«, befahl Kolja. Dutzende Sehnen sirrten. Volodi hörte den Aufschlag der Pfeile in den Leibern, dann setzte das Geschrei ein. Rücksichtslos versuchten die Luden aus der tödlichen Falle zu entkommen. Verwundete wurden niedergetrampelt oder gar als lebende Schutzschilde missbraucht.

»Woran erkennt man einen Luden aus Truria?«, fragte ihn Kolja lächelnd.

Volodi verstand nicht ganz. Was sollte diese Frage?

»Er fängt nur mit einem Messer in der Hand einen Krieg an.« Sein Kamerad verfiel in ein bellendes Gelächter, das die Schreie der Sterbenden übertönte.

Volodi konnte diesen Sinn für Humor nicht teilen. Sein Freund war immer schon ein harter Bursche gewesen, aber das hier war selbst für Koljas Maßstäbe eine neue Dimension.

Der Faustkämpfer nahm sein Schwert. »Sind wir alte Männer, die nur zusehen, wo es Gelegenheit gibt, ein paar Schädel einzuschlagen? Komm, wir mischen mit, bevor es vorbei ist!« Mit diesen Worten schwang er sich über die Brüstung des Balkons und sprang mitten in die Menge der verwirrten Angreifer. Er landete leicht federnd und ließ sein Eisenschwert kreisen. Sofort hatte er Platz.

Volodi zog seine beiden Klingen. Ohne Rückendeckung war Kolja dort unten in Gefahr, ganz gleich, wie gut er kämpfte. »Verdammter Idiot«, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen und sprang ebenfalls. Sein Aufprall war hart. Er knickte ein und musste sich nach vorne werfen, um einem Messerstich auszuweichen.

Die Hand, die die Klinge hielt, purzelte vor seiner Nase auf den Boden. »Jetzt muss ich auch noch auf dich aufpassen«, murrte Kolja und schlitzte dem schreienden Angreifer mit einem Rückhandhieb die Kehle auf. Der Faustkämpfer blockte mit seiner Prothese einen Keulenhieb und trieb einen weiteren Angreifer zurück.

Inzwischen war Volodi auf den Beinen. Ringsherum lagen Tote und Sterbende auf dem Boden. Er musste diesem Massaker ein Ende bereiten! »Die Waffen nieder!«, schrie er aus Leibeskräften. »Lasst sie fallen und legt die Hände auf den Kopf!«

Klirrend fielen Dolche auf das Straßenpflaster. Etliche der Männer knieten demütig nieder und bettelten um ihr Leben.

Kolja bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Das wäre eine gute Gelegenheit gewesen, diese Sache ein für alle Mal zu Ende zu bringen.« Er schwenkte sein Schwert über dem Kopf. »Bogenschützen! Schießt nur noch auf die, die eine Waffe halten. Wer sich jetzt ergibt, den werde ich nicht umbringen.«

Erleichtert sah Volodi, dass niemand so dumm war, noch Widerstand zu leisten. Er ahnte, dass Kolja am liebsten keine Überlebenden gehabt hätte. Niemanden, mit dem es noch über Freudenhäuser zu verhandeln galt.

Der Faustkämpfer rammte sein Schwert in die Scheide. »Komm, wir trinken. Blutvergießen macht mich immer durstig.« Ohne sich noch einmal nach ihm umzublicken, stapfte Kolja über die Leichen hinweg ins Haus.

»Ihr versorgt die Verwundeten und setzt all diese Kerle in einem sicheren Keller fest«, befahl er dem nächststehenden ihrer Männer.

»Jawohl, Hau …«

»Heute Nacht habe ich keinen Namen«, fuhr er den Veteranen an. »Wir alle haben keine Namen. Verstanden?«

»Jawohl!« Der Krieger grinste und zeigte ihm dabei seine braunen Schneidezähne. Eine Narbe lief quer über seine Lippe. Volodi erinnerte sich an ihn. Er war verwundet worden, als sie die Schmiede aus Muwattas Königreich entführt hatten. Der Kerl war ein guter Wagenlenker.

»Vermisst du deine Pferde?«

»Ich weiß es auch zu schätzen, auf Weiberärsche zu starren«, entgegnete er grinsend.

»Aber Weiber gehen selten brav im Geschirr.«

Das Grinsen wurde breiter. »Wohl wahr.«

»Sorg dafür, dass die Gefangenen anständig behandelt werden. Ich verlass mich auf dich. Und nicht vergessen: keine Namen nennen.«

»Jawohl!« Der Krieger salutierte.

Volodi erwiderte den Gruß und ging ins Haus. Er wusste, dass ihm der schwerste Kampf des Abends noch bevorstand.

Er fand Kolja im offenen Innenhof des Hauses. Das prächtige Löwenmosaik auf dem Boden war mit Blut verschmiert. Ein halbes Dutzend der Angreifer war durch die geborstene Tür bis hierher vorgedrungen. Auf der umlaufenden Galerie im ersten Geschoss hatten Bogenschützen sie erwartet.

Kolja drehte die Toten um und blickte in ihre Gesichter.

»Wen suchst du?«

»Leon, verdammt noch mal!« Kolja blickte ihn mit hochrotem Gesicht an. »Du … Komm! Wir reden nicht vor den Männern. Komm!« Er führte ihn über den Hof in ein kleines, luxuriös eingerichtetes Zimmer, das von einem riesigen Bett beherrscht wurde. Auch hier stand eine Karaffe mit Wein auf dem Tisch.

Kaum hatten sie die Kammer betreten, als Kolja die Tür zuknallte. Die Halsadern des Hünen zeichneten sich deutlich als dunkle, pochende Stränge unter seiner Haut ab. »Du wirst dich nie, nie wieder einmischen, wenn ich eine Schlacht führe!« Er machte hinter jedem Wort eine kurze Pause, offensichtlich darum bemüht, nicht loszuschreien.

»Ist dir klar, was wir heute Nacht getan haben? Wir haben ein Rattennest ausgehoben! Hast du schon mal ein Rattennest ausgegraben? Das sind listige Biester. Man lässt keine von ihnen laufen! Die fressen die Kornspeicher leer und bringen Hungerwinter. Verdammter Narr! Dieser Krieg hätte heute Nacht enden können. Jetzt wird er weitergehen, und unsere Leute werden für deinen Edelmut bluten.«

»Das wird nicht geschehen«, entgegnete Volodi ruhig.

»Nicht? Glaubst du, die Geister unserer Ahnen schützen uns? Eine Schlacht wie heute wird es nicht mehr geben. Diese Ratten haben gelernt. Sie werden uns einzeln auflauern in den Gassen. Und sie werden hinter unser Geheimnis kommen.«

»Nein, denn ich habe Befehl vom Unsterblichen, euch alle nach Kush zu holen. Seine Lage ist verzweifelt. Er braucht jedes Schwert.«

»Bockmist! Dort kämpfen fünfzigtausend. Es macht keinen Unterschied, ob wir dort sind oder nicht. Wir sind zu wenige, um die Schlacht wenden zu können.«

»Aber wir haben einen Eid geschworen«, beharrte Volodi. »Wir müssen gehen, wenn er uns ruft. Wir kämpfen um die dritte Zinnmünze. Danach sind wir frei.«

Kolja stieß einen Seufzer aus und griff nach der Weinkaraffe. Diesmal machte er sich nicht mehr die Mühe, einen der prächtigen Pokale zu füllen. Er setzte die Karaffe an den Mund und nahm einen tiefen Schluck, wobei der Wein in Strömen von seinen Mundwinkeln hinab auf seine Brust floss. Als er absetzte, stieß er einen lauten Rülpser aus. »Ich mag dich, Volodi. Wirklich. Wenn diese Welt ein Ort ohne Gestalten wie mich oder Leon wäre, würden Männer wie du herrschen. Aber so ist diese Welt nicht. Vielleicht … werde ich dich eines Tages umbringen müssen.« Er sagte das ganz ohne Zorn. Eher mit Bedauern.

Volodi überlief es kalt. Er wusste, dass Kolja nicht scherzte.

»Wir haben Aaron einen Eid geschworen, aber du hast auch eine Verantwortung gegenüber den Männern. Wie viele werden die Schlacht in Kush überleben? Weniger als hundert? Und dann haben wir noch Glück gehabt. Es kann auch sein, dass Muwatta uns alle hinrichten lässt. Er hat gewiss nicht vergessen, wer ihm die Schmiede entführt hat und das Geheimnis der Eisenverhüttung nach Aram brachte. Ist es unser Wort, das wir Aaron gegeben haben, wert, all diese wunderbaren Männer dort draußen zu opfern? Wenn es wenigstens eine Aussicht gäbe, in der Schlacht zu gewinnen … Ich weiß, wie die Stimmung im Heer und im Königreich ist. Niemand glaubt an einen Sieg. Warum schlägt Aaron eine Schlacht, die er nicht gewinnen kann? Du kommst, um uns auf dem Altar seiner Arroganz zu opfern. Und nun sag mir: Wer von uns beiden ist der Schlächter?«

»Und was, glaubst du, geschieht, wenn wir uns den Befehlen Aarons widersetzen?«, entgegnete Volodi aufgewühlt. Die Worte seines Gefährten hatten ihn tief getroffen. Nicht die Morddrohung – das war Kolja, wie er ihn immer schon kannte –, es war der Vorwurf, seine Kameraden bedenkenlos dem Ehrgeiz des Großkönigs zu opfern, der ihm zu schaffen machte. Kolja hatte nicht unrecht. »Ein Wort vom Unsterblichen Aaron, und wir sind nicht mehr seine Leibwache, sondern Geächtete. Glaubst du, du könntest deine Freudenhäuser hier führen, wenn Aaron einen Preis auf deinen Fleischkopf aussetzt?«