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Schließlich wurde Volodi hindurchgewunken, ohne dass einer der Krieger auch nur ein einziges Wort mit ihm sprach. Er ging auf das große rote Zelt zu, das auf seinen Stelzen inmitten der Berge von Frachtgut auf dem weiten Platz gleichsam zu schweben schien. Die Lichter in seinem Inneren ließen es wie eine große, rote Laterne strahlen. Die Schatten der Lotsen zeichneten sich auf den Zeltwänden ab. Gelächter hallte zu ihm herüber. Ein breiter, goldener Lichtstrahl fiel vom Eingang des Zeltes auf den Platz hinab. Und inmitten des Lichtes stand ein kleiner Mann von fülliger Gestalt, auf dessen Schulter ein Affe balancierte.

»Volodi, es ist schön, dich zu sehen.«

Der Drusnier schluckte. Mit diesen Worten, so warmherzig gesprochen, war er schon lange nirgendwo mehr empfangen worden. Kolja hatte er nie abgekauft, dass er sich freute, ihn zu sehen. Volodi musste schmunzeln. Nein, sein Waffenbruder konnte ihn hier in Nangog so gut brauchen wie einen Furunkel am Arsch.

Nabor kam ihm entgegen. Das kleine Äffchen hielt sich an einem der goldenen Ohrringe des Lotsen fest und griente frech. »Du hast dir hier heute Nacht keine Freunde gemacht«, sagte Nabor nachsichtig. »Die anderen Lotsen wollen nicht, dass du nach oben kommst. Ihnen gefällt nicht, auf welche Weise du dir hier Zugang verschafft hast. Ich muss gestehen, ich mochte es anfangs auch nicht glauben. Das ist nicht der Volodi, den ich kannte.« Er musterte ihn nachdenklich. »Du hast dich wirklich sehr verändert, Volodi, der über den Adlern schreitet.«

Er wollte ihm erklären, dass dieser Aufzug nur dem Zweck diente hierherzugelangen, doch sein Stolz versiegelte ihm die Lippen. »Wollt ich mich wissen, was ist sich geworden aus Tochter von Übersetzer.«

»Aus Negoshka? Sie hat einen Namen, Junge. Mir gegenüber hat sie jedenfalls diesen Namen genannt. Auf dich ist sie nicht so gut zu sprechen. Sie findet, dass du die Schuld trägst am Tod ihres Vaters.«

Volodi senkte den Kopf. Das hatte er nicht anders erwartet. »Und wie geht es sich ihr? Ist sie sich nicht nix in Palast. Hätte sie haben können gutes Leben dort, wenn sich …«

»Hätte sie? Nur weil für einen gesorgt ist, hat man noch kein gutes Leben, Junge. Es gibt Dinge, die schlimmer sind als Hunger oder Schwielen, die man von ehrlicher Arbeit an den Händen hat. Hast du je darüber nachgedacht, wie man über sie geredet hätte, wenn du sie im Palast untergebracht hättest? Alle dort hätten Negoshka für dein Liebchen gehalten.«

Der kleine Affe keckerte jedes Mal aufgeregt, wenn ihr Name fiel.

»Hab ich sich nie so gesehen«, gestand Volodi zerknirscht.

Nabor hob den Affen von seiner Schulter und tätschelte ihm über den Kopf. »Sie füttert ihn mit Nüssen, deshalb hat er sich ihren Namen gemerkt. Sie ist auf meinem Schiff, und es geht ihr gut. Wenn ich die Starrköpfe dort oben im Zelt überzeugen kann, wird sie vielleicht eines Tages die erste Lotsin an den Himmeln von Nangog sein. Sie kennt meine Karten, und sie versteht sich sehr gut darauf, den Wind einzuschätzen. Sie hat ein Gefühl für das Schiff. Und der Baum weiß um sie.«

»Sie fährt sich über den Himmel?« Volodi traute seinen Ohren kaum. Nach all dem, was geschehen war, hätte er nicht geglaubt, dass sie jemals wieder einen Fuß an Bord eines Wolkenschiffes setzen würde. Schließlich war es ein Wolkensammler, der für den Tod ihres Vaters verantwortlich war!

»Ihr geht es gut, Volodi. Du musst dir keine Sorgen um sie machen.« Nabor lächelte ihn väterlich an. »Mir scheint, unter der prächtigen Rüstung ist doch noch etwas von dem Volodi übrig geblieben, den ich kannte. Und nun erzähl mir von Aaron. Wie geht es dem Unsterblichen? Ich wünschte, er würde mit mir noch einmal über den Himmel fahren. Weißt du, das verändert den Blick auf die Dinge. Alle Fürsten sollten gelegentlich tausend Schritt über dem festen Boden reisen. Das ist gut für den Überblick und lehrt zugleich Demut.«

Volodi berichtete ihm von den Vorbereitungen auf die Schlacht, und je mehr er erzählte, desto tiefer wurden die Falten um die Augen des alten Lotsen, bis Nabor ihm schließlich mit einem Kopfschütteln Einhalt gebot. »So eine Verschwendung«, murmelte er verdrossen. »Diese Schlacht auszufechten ist Mord! Ich wünschte, ich könnte ihn sprechen und ihm das ausreden. Dieser Krieg wird Wasser auf die Mühlen Tarkon Eisenzunges sein.«

»Denke ich mich, Mühlräder von einem Toten stehen still. Ist sich gleich, wie viel Wasser darauf läuft.«

»Ich bin Männern begegnet, die mir geschworen haben, dass sie Tarkon gesehen haben.«

»Sind sich Lügner!«, entgegnete Volodi aufgebracht. Er selbst hatte gesehen, wie der Unsterbliche Aaron Tarkon erschlagen hatte und wie der Leichnam des Himmelspiraten von einem Wolkensammler verschlungen worden war.

»Einige dieser Männer sind dort oben.« Nabor nickte in Richtung des roten Zeltes. »Aber mit dir werden sie nicht sprechen.«

»Will ich nichts hören von ihren Lügen!«

»Urteile nicht vorschnell, Volodi. Ich kenne sie seit Jahren. Wer so viel von dieser Welt gesehen hat wie der Lotse eines Wolkenschiffes, der weiß, dass hier Dinge geschehen können, die auf Daia undenkbar sind.«

Der Alte schien durch ihn hindurch in weite Ferne zu blicken. Sosehr er Nabor mochte, er konnte nicht akzeptieren, dass Tote ins Leben zurückkehrten. Als Geister vielleicht wie seine Ahnen, deren Stimmen an stürmischen Tagen in den Blättern der Wälder Drusnas flüsterten. Aber niemals kehrten sie in Fleisch und Blut zurück. Das war gegen die Gesetze der Götter.

»Tarkon hat mehr Anhänger denn je«, sagte Nabor leise. »Sie reden davon, dass Nangog die Unwürdigen und Fluchbeladenen abschütteln wird. Und jedes Mal, wenn die Erde bebt, glauben ihnen mehr. Überall in der Stadt kannst du das Zeichen der Grünen Geister sehen.«

Volodi waren die verwaschenen, grünen Kreideflecke an einigen Häuserecken bereits aufgefallen. Allerdings hatte er sich bislang keine Gedanken über deren Sinn gemacht.

»Wir müssen diese Welt in unser Herz schließen«, sagte Nabor voller Leidenschaft. »Dann wird sie uns als Gäste aufnehmen. Aber was tun wir stattdessen? Wir rauben sie aus. Es wird der Tag kommen, da wird Nangog sich gegen uns wenden. Tarkon mag ein verblendeter Fanatiker sein, aber nicht alles, was er sagt, ist falsch.«

»Malst auch du dich mit Kreide an Ecken von Haus?«

Nabor antwortete darauf nicht, und Volodi, der das eigentlich nur im Scherz gesagt hatte, wurde unwohl bei dem Gedanken, dass die Lotsen vielleicht langsam von Tarkons Worten vergiftet wurden. Sie führten die Schiffe über die Himmel Nangogs. Ohne sie würde der Handel zusammenbrechen, und es würde in den großen Städten Daias zu Hungersnöten kommen.

»Du musst mit Aaron reden«, sagte der Alte schließlich. »Es ist wichtig, dass der Unsterbliche hierher zurückkehrt. Er hat einen wacheren Verstand als die meisten, und er hat die Macht, etwas zu verändern. Er kann diese Welt auf einen besseren Weg führen, bevor sie sich gegen uns wendet.«

»Was kann sich Nangog tun?« Volodi hielt den Gedanken, dass eine Welt sich wehrte, für dumm. Götter, die musste man fürchten, aber nicht die Erde, auf der man stand. »Haben sich keine Macht, Grüne Geister. Aber haben wir Macht. Du hast gesehen, als Daimonenkinder gekommen sind, war sich gekommen auch Devanthar mit Eberkopf, um zu schützen uns.«

»Tarkons Leute behaupten, dass die Göttin dieser Welt schläft. Noch haben wir von ihrer Macht fast nichts zu spüren bekommen. Aber du erinnerst dich daran, als die Wolkensammler gekämpft haben? Sie können tödliche Feinde werden, wenn sie ihr friedfertiges Wesen verlieren. Und es heißt, auch die Grünen Geister werden das Geschenk der Macht erhalten, wenn die Göttin erwacht. Auch habe ich einmal von ferne den Meerwanderer gesehen, der ein Sohn der Göttin sein soll. Jetzt ist die Zeit, die Zeichen zu sehen und unseren Weg zu ändern, Volodi. Deshalb ist es so wichtig, dass der Unsterbliche Aaron hierher zurückkehrt. Du musst ihm von unserem Gespräch berichten.«

Volodi nickte, hatte jedoch Zweifel, dass Aaron ihm zuhören würde. Nicht bevor die Schlacht um Kush geschlagen war. »Was ist sich Meerwanderer?«