Koljas vernarbtes Gesicht erstrahlte in furchteinflößendem Lächeln. »Es ist immer eine Freude zu erleben, dass die Vernunft siegt. Dann lass mal hören. Was ist diese Bedingung?«
»Du kommst mit. Und du bist es, der Aaron erklären wird, wie wir an diese Krieger gekommen sind.«
Das Lächeln war wie weggewischt. »Ich kann hier nicht fort. Ich bin der Kopf von allem. Hier bricht alles zusammen, wenn …«
»Das ist ein Grund, warum du mit mir kommen sollst«, entgegnete Volodi kühl. »Wenn hier alles allein auf dich zugeschnitten ist, sind wir zu verwundbar. Wir werden viel stärker sein, wenn es mehr als einen Mann gibt, der unser kleines Imperium der Freuden führen kann. Wir werden immer Feinde haben, denn hier lässt sich viel Gold machen. Und unsere Feinde werden irgendwann wissen, dass hier alles mit dir steht und fällt. Eine solche Schwäche kann ich im Interesse unserer Kameraden nicht dulden. Erinnerst du dich, was du mir gesagt hast? Dies hier soll das Paradies jener ausgedienten Krieger werden, die keiner mehr braucht und die in der Gosse verrecken würden, wenn wir nicht mit unser aller Gold diesen Ort erschaffen, an den sie kommen können. Du gehst mit mir, Kolja! Das ist mein letztes Wort. Du suchst deinen besten Mann aus und überträgst ihm deine Geschäfte. In einer Stunde brechen wir auf.«
Wasser
Kolja sah sich in dem großen Zimmer um, das er zu seinem Audienzsaal gemacht hatte. Selbst auf den Sitzbänken an den Wänden lagen kostbare Felle. Alles hier war aus Gold und Silber gefertigt oder dem seltenen, schwarzen Holz, das aus den Dschungeln südlich der Glaswüste kam. Nangog hatte ihn einen Arm gekostet, aber es hatte ihn auch reich gemacht. Aber nichts davon würde er mitnehmen können. All das war in einer einzigen Nacht wieder verloren gegangen. So war es ihm schon immer in seinem Leben ergangen. Mal lebte er einige Monde in Palästen und war der Bettgefährte einer intriganten Satrapenwitwe oder eines gelangweilten Kaufmannsweibs, das sich mit ihm die Zeit versüßte, solange ihr gehörnter Gatte in irgendeiner Provinz am Ende der Welt seinen Reichtum mehrte. Und dann landete er über Nacht wieder in der Gosse.
Kolja nahm einen Schluck Wein. Er hatte einen ekelhaften Geschmack im Mund, ganz so, als habe er brackiges Wasser getrunken. Wieder ließ er den Blick über all seine Schätze wandern. Die Götter liebten es, mit ihm zu scherzen! Er hätte sich nicht träumen lassen, in dieser Nacht alles zu verlieren. Jetzt ging es also wieder steil bergab. Er lachte bitter. Mit Volodi brauchte er nicht zu verhandeln. Er kannte diesen goldhaarigen Mistkerl gut genug, um zu wissen, dass er nicht davon abzubringen wäre, ihn mit auf die götterverfluchte Hochebene von Kush zu nehmen. Ihm war auch klar, dass Volodis Argumente mit dem Schutz ihrer Interessen nur vorgeschoben waren. Das Fürstensöhnchen wollte nicht, dass er, Kolja, hier zu mächtig wurde. Wie man dieses Spiel spielte, hatte Volodi sicher schon mit der Muttermilch aufgesogen. Einzig und allein deshalb musste er nun all das hier aufgeben.
Kolja nahm noch einen tiefen Schluck Wein. Es war müßig, mit dem Schicksal zu hadern. Wenigstens gab es diesmal einen Ort, an den er zurückkehren konnte. Kush und Muwatta würden ihn nicht umbringen, da war er sich ganz sicher. Wahrscheinlich würde er ein paar neue Narben abbekommen, aber daran war er gewöhnt. Er war schwer umzubringen. Das war das Einzige, worauf er sich in seinem Leben wirklich verlassen konnte. Alles andere änderte sich unentwegt, egal wie sehr er sich anstrengte, es zu bewahren.
Kolja hatte nicht viel zu packen. Er nahm den neuen Bronzepanzer, der eigens für ihn gefertigt worden war, und sein Eisenschwert. Dazu noch einen Lederschlauch mit dem Roten, den er hier so sehr zu schätzen gelernt hatte. Vielleicht war es nicht ganz schlecht, wenn er für ein paar Monde nach Kush ging. Das gute Leben hier hatte ihn weich gemacht. Zu viele Weiber, zu viel Wein und kein Kampf, der eine Herausforderung gewesen wäre. Sich mit Luden herumzuschlagen war nicht seine Sache. Er betrachtete die lederne Prothese an seinem linken Arm. Ein Messerstich hatte eine Schramme darauf hinterlassen. Kolja grinste. Seine erste Narbe, die nicht schmerzte. Mehr hatte er im Kampf auf der Straße nicht abbekommen. Ziemlich ungewöhnlich für ihn.
Kolja hörte Schritte auf der Treppe. Er legte seinen Brustpanzer aufs Bett. Wenn man unter Gesindel lebte, war es besser, seine Hände frei zu behalten, wenn Besuch kam. Seine Hand, verbesserte er sich in Gedanken. Manchmal juckte sie, obwohl sie gar nicht mehr da war. Noch so ein Scherz, den die Götter mit ihm trieben.
Eurylochos trat ein. Irgendwann hatte einmal jemand versucht, dem ehemaligen Steuermann das Gesicht durchzuschneiden. Eine eindrucksvolle Narbe verlief quer über dessen Stirn und reichte hinab bis auf die linke Wange. Kolja mochte Männer mit Narben, auch wenn Eurylochos, verglichen mit ihm, immer noch verdammt gut aussehend war. Der Steuermann hielt seine Hände so, dass Kolja sie gut sehen konnte. Er wusste, dass er einem misstrauischen Mann gegenüberstand, und er stellte nur sehr wenige Fragen. Mit ihm konnte man etwas anfangen.
»Ich möchte, dass du unsere Geschäfte hier auf Kurs hältst, solange ich in Kush bin, um mich für Aaron zu schlagen. Wirst du das hinbekommen?«
Eurylochos beobachtete ihn mit wachen, grauen Augen. Sollte er von dem Angebot überrascht gewesen sein, so hatte er sich nichts anmerken lassen.
»Als Erstes musst du dich um unsere Gäste im Keller kümmern«, sagte Kolja nach einer Weile. »Ich habe Volodi versprochen, dass ich nicht Hand an sie legen werde. Und weil er nicht dumm ist, hat er mich ein wenig später versprechen lassen, dass keiner von uns Hand an sie legen wird.«
Eurylochos lächelte. »Wollen die Zapote die anderen nicht auch haben?«
»So leicht wird es leider nicht. Die haben nur Interesse an Blonden. Aber komm mal mit ans Fenster. Die Lösung liegt ganz nahe.«
Der Steuermann hob verwundert die Brauen. Einen Herzschlag lang zögerte er, als habe er Angst, mit ihm am Fenster zu stehen. Wahrscheinlich hatte er irgendeine kleine Betrügerei laufen und fürchtete, dass er ihm auf die Schliche gekommen war. Unter anderen Umständen hätte Kolja ihn vielleicht wirklich auf Verdacht aus dem Fenster gestoßen. Aber jetzt war Eurylochos der beste Mann, den er hier hatte. Er würde großzügig mit ihm sein, bis er aus Kush zurückkam.
»Was macht man bei dir zu Hause, wenn man ein Loch voller Ratten findet?«
»Ausgraben«, entgegnete der Steuermann beklommen und trat an seine Seite.
»Wir ersäufen sie.« Kolja deutete die Straße hinauf. »Siehst du dort oben das Wasserreservoir? Ich finde, die Mauer sieht verdammt brüchig aus. Könnte sein, dass die einfach so in sich zusammenbricht. Was meinst du?«
»Könnte sein.«
»Und dann würde das Wasser wie ein Sturzbach die Straße hinabschießen, und uns würde bis unter die Decke der Keller volllaufen.«
Eurylochos nickte zögernd. »Ja, das würde wohl passieren.«
»Man muss immer darauf achten, dass man nichts Wertvolles im Keller hat. Wenn man vorbereitet ist, kann man von solchen kleinen Unglücken manchmal sogar einen Nutzen haben. Meistens sind dann alle Ratten ersoffen.«
»Die Mauer des Reservoirs sieht wirklich sehr brüchig aus.«
Kolja lächelte. »Es ist immer schön, wenn man sich versteht. Du wirst dich hier um alles kümmern, solange ich fort bin. Hör dich nach Leon um. Mir ist ein Rätsel, wie es dieser trurische Drecksack geschafft hat zu entkommen. Lass ihn suchen und umbringen. Vor Truriern hat man erst Ruhe, wenn man sie begraben hat. Vorher begreifen die einfach nicht, dass sie verloren haben.«
»Ich bin mir sicher, dass ich ihn finden werde.«
Kolja ließ seinen Blick ein letztes Mal durch das prächtige Zimmer schweifen. So kurz hatte all das gewährt. »Du kannst das hier haben. Ich richte mich neu ein, wenn ich zurückkehre.« Kolja nahm seinen Bronzekürass vom Bett. Jetzt, wo er nichts mehr besaß, fühlte er sich erleichtert.