Nyr schüttelte den Kopf. »Nein, kein Schmiedename. Das ist nicht das Richtige für einen Königssohn.«
»Draupnir, der Tröpfler. Das passt doch gut zu einem Windelscheißer«, schlug Galar vor.
»Ich finde, sein Name sollte etwas aussagen«, griff Hornbori die Idee auf. »Tröpfler nennen wir ihn natürlich nicht. Wie wäre es mit … Frar, der Voranschreitende. Den Zwergenvölkern stehen schwere Zeiten bevor. Das wäre ein Name, der Hoffnung in sich trägt.«
»Ich finde den Namen gut.«
»Man merkt, dass Schönschwätzen dein Geschäft ist«, brummte Galar.
»Er braucht auch einen Heldennamen. So was wie Bluttrinker!« Nyr hob den Jungen begeistert hoch. »Frar Bluttrinker. Das ist ein Name, der seine ganze Kindheit in sich trägt.«
Hornbori räusperte sich. »Ich will ja nicht mosern, aber findest du nicht, dass man das falsch verstehen kann?«
Nyr sah ihn indigniert an. »Inwiefern?«
»Bluttrinker hört sich irgendwie nach einem Tyrannen an. Wie wäre es mit … Drachenhammer … oder Drachen …«
»Drachentod!«, rief Nyr. »Frar Drachentod, König der Tiefen Stadt.«
Hornbori wiederholte den Namen ein paar Mal, schmeckte ihn auf der Zunge und stellte sich vor, wie man ihn in den Hallen von Ishaven und anderen Zwergenstädten rief. »Hört sich gut an«, stimmte er zu. Natürlich würde der Kleine niemals ein König werden. Er, Hornbori, würde einmal herrschen. Aber der Junge mochte ein nützliches Werkzeug auf dem Weg zum Thron sein.
Nyr hielt ihn hoch. »Wir werden dich retten, Frar Drachentod. Und du wirst dereinst alle Zwergenvölker retten.«
Es tröpfelte aus der Windel auf das Gesicht des Richtschützen.
Galar lachte spöttisch. »Ich finde immer noch, Draupnir wäre der richtige Name für ihn.«
Gegen jede Vernunft
Gonvalon strich über den rauen Sandstein. Er hatte eine ungewöhnlich blassrote Farbe. Der Stein war weich. Er hatte sich gut bearbeiten lassen, aber er würde auch schnell verwittern. Kein halbes Jahrhundert und Wind und Regen hätten Nandalees Züge weicher werden lassen können. Wahrscheinlich geschah das deutlich schneller, als das Leben Nandalee veränderte.
Er hatte sie nach dem Gespräch mit den Meistern alleine gelassen. Obwohl sie so viele Rätsel barg, begann er zu spüren, wann sie etwas mit sich allein ausmachen musste.
Er wickelte die Lumpen von seinen Händen und begann die Werkzeuge einzusammeln, die er achtlos hatte fallen lassen, während er den Stein geformt hatte. Erste Konturen für die Skulptur waren angelegt. Es sollte eine Büste werden.
Je länger er den bearbeiteten Stein betrachtete, desto deutlicher erkannte er, ein wie unvollkommener Künstler er war. Die Proportionen stimmten. Er hatte keine groben Fehler gemacht. Auch hatte er den Stein richtig eingeschätzt. Er war nicht gerissen, und es gab keine Unregelmäßigkeiten. Aber die Büste würde nicht das Herz des Betrachters berühren, wenn sie vollendet war, das wusste er schon jetzt. Nicht wie die Skulpturen aus Licht und Wasser, die Eleborn erschuf, oder eines der Lieder Lyviannes. Er würde nur ein Abbild erschaffen, kein Kunstwerk.
»Der Stein sieht aus wie ich.«
Gonvalon fuhr herum. Sie machte sich einen Spaß daraus, sich an ihn anzuschleichen.
Nandalee grinste und biss in einen Apfel, den sie mitgebracht hatte. Die Wut und Verzweiflung, die sie ausgestrahlt hatte, als sie die Besprechung mit den Meistern verlassen hatte, waren wie weggewischt.
Sie trug das weiße Kleid einer Novizin. Schmucklos, ohne Stickerei und doch elegant. Es war maßgeschneidert, modellierte ihren schlanken Körper nach. Es saß so eng, dass Gonvalon nicht verborgen bleiben konnte, dass sie außer dem Kleid nichts trug.
»Wirst du mir wieder erzählen, dass dieses Bild von mir schon immer in diesem Stein gesteckt hat und du es nur noch befreien musstest?« Sie grinste ihn frech an.
»Ich glaube, ich werde mit jemandem, für den auch das Bogenschießen zur Kunst zählt, nie wieder ernsthaft über den Schaffensprozess eines Bildhauers reden. Und übrigens ist das eine Skulptur von dir und kein Bild.«
»Und warum nennst du dich dann Bildhauer?« Sie biss noch ein Stück aus dem Apfel und legte ihn dann auf den behauenen Stein. Nandalee trat dicht vor ihn und lächelte ihn auf ihre unvergleichliche Art an. Unschuldig und doch sinnlich.
Sie strich ihm mit ausgestrecktem Zeigefinger über die Brust. »Ich mag es noch immer, wenn du verschwitzt und voller Steinstaub bist.« Ihr Finger wanderte tiefer, bis zu seinem Lendenschurz. »Seit wann arbeitest du nicht mehr nackt?«
»Wenn ich mit Besuch rechne, versuche ich ein züchtiges Verhalten an den Tag zu legen. Das bin ich meinem Rang als Meister der Weißen Halle schuldig. Es könnte eine Novizin vorbeikommen …«
»So züchtig …« Sie lächelte. »Dabei dachte ich, Ihr genießt einen gewissen Ruf, gerade was Novizinnen angeht.«
»Und Ihr wagt Euch hierher, obwohl Ihr um meinen Ruf wisst.« Er legte seinen Arm um ihre Hüften und zog sie an sich. Sie roch nach Wald, als sei sie lange unter den Bäumen gewandert, bevor sie hierhergekommen war.
»Ihr ruiniert mein Kleid«, protestierte sie lächelnd.
»Nun, wie ich hörte, erwarten die Kobolde, die es waschen werden, ohnehin nur das Schlimmste von Euch.«
»Wollt Ihr damit andeuten, dass ich keinen guten Ruf genieße?« Ihre Hand fuhr unter seinen Lendenschurz.
»Dann passen wir wohl gut zusammen.« Lachend nahm er sie auf den Arm und trug sie zu dem Lager aus Moos und Blütenblättern, das er vorbereitet hatte. Er hatte gewusst, dass sie kommen würde.
Ihr warmer Atem streichelte seine Haut.
»Ich brauche dich«, flüsterte sie.
»Sind wir jetzt beim Du, holde Dame?«, neckte er sie.
Ihre Antwort war ein langer, leidenschaftlicher Kuss auf seinen Hals. Eine Welle heißer Glut verschlang ihn. Er ging in die Knie, legte sie ins Gras und begann die seidenbespannten Knöpfe ihres Kleids zu öffnen.
»Nun trägst du mein Zeichen«, sagte sie und strich über seinen Hals. »Damit die anderen Novizinnen nicht auf dumme Gedanken kommen.« Noch während sie sprach, löste sie seinen Lendenschurz.
Er gab den Kampf mit den Knöpfen auf und schob ihr Kleid hoch.
Nandalee zog ihn zu sich herab, küsste ihn erneut. Ihre Zunge strich über seine Lippen, drang tiefer. Sie presste sich gegen ihn, nahm ihn in sich auf. Ihre Hände krallten sich um seine Schultern. Er stöhnte auf, genoss ihre wilde Liebe. Sich ihr hinzugeben war eine Offenbarung. Sie war eine erfahrene Liebhaberin. Mal sinnlich lasziv, mal ungezügelt und fordernd. Nicht sehr romantisch. Ihre Liebe war wie ein wilder Bergbach, der einen erbarmungslos mit sich zu Tal riss, wenn man hineinstürzte. Und so, als sei er über Meilen durch Stromschnellen über ein felsiges Bachbett gezogen worden, fühlte er sich auch, als sie nach einem letzten Schrei auf seine Brust sank. Zerschlagen, voller blauer Flecke, tauchte er auf aus dem Fluss der Leidenschaft, der ihn alles andere hatte vergessen machen.
Er strich zärtlich durch ihr Haar. Sie war eingeschlafen. Ihr Atem ging schwer. Er mochte es, ihr Gewicht auf sich zu spüren, ihre warme, blütenzarte Haut.
Gedankenverloren blickte er zum Nachthimmel und wünschte, dieser Augenblick würde ewig währen. Er zog ihr dünnes Kleid über sie, um sie zuzudecken. Es war voller Grasflecken. Es würde nie mehr so weiß wie frisch gefallener Schnee erstrahlen.
Nandalee erwachte viel zu schnell. Sie gingen schwimmen, schreckten eine Entenfamilie auf, die kein Verständnis für nächtliche Liebende hatte.
»Es ist ungewohnt, dich ohne deine Tätowierung zu sehen«, sagte sie plötzlich und strich über seinen Rücken. »Das Schwert und der Drache … sie passten gut zu dir.«
Er drehte sich um, nahm sie in die Arme und küsste sie. »Ich habe jemanden gefunden, der viel besser zu mir passt.«
Plötzlich war ihr Blick voller Melancholie, voll unausgesprochenem Schmerz, der sein Herz berührte.
»Liebe mich noch einmal«, flüsterte sie und schlang die Arme so fest um ihn, als wolle sie ihn nie wieder loslassen.