Er hob sie aus dem Wasser und brachte sie zu ihrem Lager. Sie war wie ausgewechselt. Diesmal überließ sie sich ganz ihm. Sie liebten sich lange, zärtlicher als beim ersten Mal. Er zögerte den letzten Augenblick hinaus, bis es zu süßer Qual wurde.
Danach lagen sie lange eng umschlungen und blickten durch das schwarze Astwerk zum Sternenhimmel hinauf, vereint, in beredtem Schweigen.
Er war fast eingeschlafen, als sie sich vorsichtig aus seinen Armen löste. Gonvalon hielt seine Augen geschlossen. Er spürte, wie sie über ihm verharrte und ihn lange anblickte, sich dann tief vorbeugte und einen Kuss zu ihm hinabhauchte, ohne dass ihre Lippen die seinen berührten.
»Verlässt du die Weiße Halle sofort oder erst im Morgengrauen?« Er schlug die Augen auf. Sie wirkte überrascht, ertappt, verlegen.
»Sag nichts.« Er lächelte und stand auf. »Ich wusste, dass du gehen wirst.«
»Ich muss …« Sie schlug die Augen nieder. »Ich kann die Meinen nicht den Trollen überlassen.«
»Ich werde mit dir kommen. Alles ist vorbereitet. Ich werde dich nicht aufhalten. Waffen, Kleider und Ausrüstung liegen dort vorne im Gebüsch versteckt.«
Sie sah erschrocken aus. Entschieden schüttelte sie den Kopf. »Das geht nicht! Wenn du mit mir gehst, wirst du aus der Weißen Halle verbannt. Ich will dein Leben nicht zerstören. Ganz gleich, was du sagst, ich weiß, du bist gerne hier, und du …«
»Ich werde nicht zurückbleiben, um vor Sorge um dich zu vergehen.«
»Aber ich werde …«
»Du wirst dich ganz allein in den Königssitz der Trolle schleichen und vermutlich selbst bei dem Versuch umkommen, die letzten Überlebenden deiner Sippe zu retten.«
Ihr Antlitz verhärtete sich. Sie schob herausfordernd das Kinn vor, bereit, mit ihm zu streiten. »Hört sich nicht sonderlich vernünftig an, wenn man dich reden hört. Deshalb werde ich alleine gehen.«
»War es vernünftig, sich zwischen dich und den Goldenen zu stellen?«
Sie schluckte. »Du kannst nicht …«
»Gewöhne dich besser daran, dass ich von nun an immer an deiner Seite sein werde. Ich bin kein Drachenelf mehr. Mein Band mit den Himmlischen ist für immer gelöst, und ich werde auch die Weiße Halle verlassen. Aber ich bin immer noch ein Mörder. Eine schlechte Wahl für einen Hofball in Arkadien, aber genau der Mann, den du an deiner Seite brauchen wirst, wenn du in die Höhlen der Trolle hinabsteigst.«
Sie sah ihn qualvoll lange an, ohne ihn ahnen zu lassen, was sie dachte. Nun war es an ihr zu entscheiden. Er würde nicht noch einmal darum bitten, von ihr erwählt zu werden.
Eine einzelne Träne rann über ihre Wange. Wortlos streckte sie ihm ihre Hand entgegen.
Nebel stieg vom Waldboden auf, als sie sich schweigend ankleideten und ihre Waffen nahmen. Der Wald hüllte sich in feuchte Schleier. Vertrautes wurde fremd.
Gonvalon hatte nun endgültig mit allem gebrochen, was ihm in seinem Leben etwas bedeutet hatte. Es gab nur noch Nandalee. Und noch nie hatte er sich so frei gefühlt wie in dieser Nacht inmitten des Nebels, als er ihr gen Norden folgte, um gegen jede Vernunft das Schicksal herauszufordern.
Zweites Buch
Die Windgängerin
Bei Nacht und Nebel
Bidayn schlug das Herz bis zum Hals. Sie wusste, was mit ihr geschehen würde, wenn sie erwischt wurde. Sie stand mitten auf dem Flur, und jede einzelne Bodendiele schien sich gegen sie verschworen zu haben. Tagsüber war kaum ein Geräusch zu vernehmen, wenn sie hier entlangging, aber jetzt wurde jeder ihrer Schritte von einem Knarren begleitet, das ihr laut wie ein Donnerschlag vorkam. Noch könnte sie umkehren. Wenn sie hier auf dem Flur erwischt würde, wäre es ein Leichtes, sich eine Ausrede auszudenken.
Sie dachte an Nandalee, die jetzt irgendwo im Wald auf sie wartete. Sie konnte ihre Freundin nicht im Stich lassen! Ohne ihre Hilfe konnte Nandalee nicht zum Albenhaupt gelangen. Beim Gedanken an den vereisten Gipfel, auf dem sich die Drachenelfen vor ihrem Angriff auf die Tiefe Stadt versammelt hatten, überlief sie ein Schauer. Nandalee wollte in die Wälder, die sich von den Flanken des verwunschenen Berges bis zu den Grenzen der Snaiwamark erstreckten. Wen oder was sie dort suchte, hatte sie ihr nicht verraten wollen. Von dort waren es noch Hunderte Meilen bis zum Königsstein.
Schritt um Schritt pirschte Bidayn vorwärts, die Stiefel in der Hand. Die Dielen waren unangenehm kühl. Es hing ein leichter Geruch von Waffenfett in der Luft. Noch ein paar Schritte bis zur Treppe, die hinab in die Halle der Schwerter führte. Sie hatte es fast geschafft.
Ein lautes Knarzen ließ sie innehalten. Stumm verfluchte sie den Holzfußboden. Sie könnte einen Zauber weben, der alle Geräusche um sie herum verschlang. Aber das wäre töricht! Hier inmitten der Weißen Halle nach den Kraftlinien zu greifen, würde noch weit mehr Aufmerksamkeit erregen als ihr stümperhafter Versuch, lautlos über diesen verfluchten Flur zu schleichen. Sollte jemand anders gerade einen Zauber weben, würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit bemerken, dass sie nach dem magischen Netz griff. Einem Zauber des Verbergens, mitten in der Nacht gesprochen, würde jeder Meister der Weißen Halle nachgehen.
Bidayn machte einen weiteren Schritt. Diesmal waren die Dielen auf ihrer Seite. Noch zwei lautlose Schritte, und sie erreichte das Geländer der Galerie, die die Halle der Schwerter einfasste. Nur ein einzelnes Licht brannte unten. Eine Kerze, deren Flamme sich geisterhaft in einigen der Schwertklingen an den Wänden spiegelte.
Bidayn wollte auf die Treppe treten, als unten eine Tür knarrte. Sie verharrte mitten im Schritt. Waren da Stimmen? Bidayn duckte sich. Das Geländer bot kaum Deckung. Aber es war dunkel. Wer nicht genau hinsah, würde sie nicht entdecken.
»Ich wette, wir sehen sie nie wieder«, sagte eine hohe Stimme.
»Sollen die Trolle sie fressen«, entgegnete ein knurriger Bass. »Sie hat es tausendmal verdient. Wisst ihr noch, wie sie meine Hose in Brand gesetzt hat, nur weil ich den verdammten Vogel auf ihrem Tisch fressen wollte?«
»Hab dich nie wieder so gut tanzen sehen«, sagte ein Dritter kichernd.
Drei Kobolde traten in die Schwerthalle. Sie hatten dunkle, ledrige Haut, lange, spitze Nasen und übergroße Münder. Ihr strähniges Haar verbargen sie unter roten Kappen. Sie reichten einem Elfen nicht einmal bis zum Knie. Bidayn wusste nicht, wie viele es von ihnen in der Weißen Halle gab. Üblicherweise beachtete sie die Kobolde kaum. Wie in den Palästen Arkadiens verrichteten sie auch hier die niederen Dienste. Für sie gab es hinter den Wänden verborgen eigene Wege, sodass sie die meiste Zeit über unsichtbar blieben. Wo tagsüber viele Elfen anzutreffen waren, erschienen sie bevorzugt bei Nacht.
Zwei der Kobolde waren mit kleinen Eimern und Putzlappen ausgerüstet. Der dritte trug lediglich eine langstielige Pfeife. Für einen Kobold war er ungewöhnlich korpulent. »Da vorne bei der Tür«, kommandierte er mit Bassstimme. »Die treten sich nie die Füße ab. Soll der Fleischschmied sie alle holen, verdammte Elfenbande.«
Bidayn traute ihren Ohren nicht. Sie hatte noch nie Kobolde belauscht. Zwar wusste sie, dass manche als aufsässig galten, aber dass es sich so anhörte, hätte sie nie gedacht.
»Der Fleischschmied ist zu gut für diese Nandalee«, sagte der mit der hohen Stimme, während er sich niederkniete und damit begann, den Boden am Eingang aufzuwischen. »Elf in Honigkruste gebraten, das ist das passende Ende für die. Die hat mir Pickel an den Arsch gehext, dieses verdammte Miststück, als sie gemerkt hat, dass ich jeden Morgen in den Wasserkrug gespuckt habe, den ich ihr aufs Zimmer brachte.«
»Sie war die Einzige hier, die sich unsere Namen gemerkt hat«, bemerkte der zweite Kobold, während er sich hinhockte und zwei Bürsten unter seine nackten Füße schnallte.
»Um uns besser verhexen zu können, du hirnloser Kürbisschädel«, polterte der Dicke mit seiner Bassstimme los und blies eine Wolke Tabakrauch zur Galerie hinauf. Bidayn duckte sich tiefer. Hatte er sie gesehen?