Выбрать главу

»Wo ist er, Erhabener?«, fragte Bessos ungeduldig. »Welche Strafe hast du ihm zugedacht?«

Artax blickte auf den drahtigen, kleinen Mann herab. Bessos war gepflegt. Sein Bart wohlgeölt und sein Haar zu langen, schwarzen Locken gedreht. Er trug ein Seidengewand, das kunstvoll mit stilisierten Adlern bedruckt war und auf das nach Art der Ischkuzaia flache, goldene Amulette aufgenäht waren. Mataan hingegen war in eine schlichte Tunika gewandet und trug dazu allein einen Schwertgurt. Er ging sogar barfuß. Wer ihn nicht kannte, hätte ihn für einen einfachen Krieger gehalten.

»Ich habe ihn für seine Verfehlungen getadelt. Er wird nie wieder einen Erlass von mir verbreiten, bevor ich ihn damit beauftrage. Meine Strafe für ihn wird über diesen Tag hinaus andauern. Er soll weiterhin an der Seite von Bauern einfachste Arbeiten verrichten.«

Bessos schüttelte fassungslos den Kopf. »Das kann doch nicht alles sein!« Seine Augen verengten sich. »Ihr werdet den Bauern wirklich Land schenken, Allweiser Aaron?« Ein Muskel zuckte in seiner Wange. So stark, dass es selbst durch den dichten Bart hindurch zu sehen war.

»Das wird das ganze Königreich verändern«, sagte Bessos. Er beherrschte sich wieder, schaffte es sogar, ihm in die Augen zu blicken. »Das wird nicht gut aufgenommen werden.«

»Wenn ich mich recht erinnere, Bessos, war dein Urgroßvater ein Mann, der zum Steinrat von Garagum gehörte. Ein gottesfürchtiger Mann, der Blumen zur einzig wahren Statue Russas trug. Ein Mann, der gegen alle Aussichten den Kampf gegen eine Bande plündernder Ischkuzaia führte und sich selbst aufopferte, um Frauen und Kinder zu retten, die nicht zu seinem Stamm gehörten. Er wurde sieben Mal in diesem Kampf verwundet und konnte danach nie wieder laufen. Dafür habe ich ihn zum Satrapen gemacht. Er war ein Vorbild, Bessos. Ein Mann, wie selbst ich ihn nur selten treffe. Jetzt erinnere mich daran, womit du dich hervorgetan hast. Es ist mir entfallen.«

»Wenn die Schlacht vorüber ist, wirst du wissen, dass das Blut meines Urgroßvaters stark in mir ist.«

Artax blickte über das Heerlager. So weit sein Auge reichte, hockten Männer an kleinen Feuern und versuchten sich aus ihren schmalen Rationen ein kärgliches Mal zu bereiten. »Weißt du, Bessos, ich bin mir ganz sicher, dass hier unter uns noch einige Männer vom Schlage deines Urgroßvaters sitzen. Diese Bauern und Handwerker, die dem Ruf zu den Waffen folgten, sind hier, obwohl sie nichts zu gewinnen haben. Sie sind meinem Ruf gefolgt, ohne dass ich ihnen je Macht und Reichtümer überlassen hätte, damit sie mir in Kriegszeiten treu zur Seite stehen. Ich weiß das zu schätzen.«

»Ihr werdet sehen, dass ich und meine Brüder nicht zu kämpfen verlernt haben, Allweiser Aaron.« Bessos verneigte sich überschwänglich und bat um Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen.

Artax blickte zum Fischerfürsten, der all dem schweigend zugesehen hatte. »Und was denkst du?«

»Ein Sturm zieht auf«, entgegnete er knapp und ging, ohne um Erlaubnis zu fragen.

Ikuška

Barnaba lag so weich wie schon lange nicht mehr. Auch war es angenehm kühl. Das musste ein Traum sein! Er wollte ihn noch ein wenig hinauszögern. Sobald er die Augen aufschlug, würde er sich in einem kargen, von Menschen gemiedenen Tal wiederfinden.

Wann hatte er sich schlafen gelegt? Er konnte sich nicht erinnern. Er hatte klettern gehen wollen … Vielleicht hatte er es verschoben … Es roch nach Blüten. Was für ein wunderbarer Traum!

Sein selbstgewähltes Asyl begann ihn langsam zu zermürben. Wie lange würde er noch durchhalten? Ob Aarons Mörder ihn immer noch suchten? Er hatte sich sehr verändert, war drahtig und hager geworden. Es wäre schwer, in ihm den Mann zu erkennen, der er einmal gewesen war. Den Vertrauten des Hohepriesters Abir Ataš, der sich gegen den Unsterblichen Aaron verschworen hatte.

Die Hirten und Jäger aus den angrenzenden Tälern würden ihn wohl vermissen. Sein letztes Treffen mit ihnen lag schon eine Weile zurück. Für sie war er vermutlich eine Mischung zwischen Heiligem und Wunderheiler. Sie brauchten ihn. Er war überrascht gewesen, wie nützlich seine eigentlich geringen Kenntnisse über die Heilkunst und Kräuterkunde gewesen waren. Vielleicht hatte er ja wirklich heilende Hände. Er lächelte.

Da war etwas, an das er sich erinnern sollte … Heilen. Verletzungen. Er war klettern gegangen. Jetzt erinnerte er sich ganz deutlich. Die Felsen waren heiß gewesen. Er hatte einen neuen, gefährlichen Aufstieg gewählt. Kein Wunder, dass er so tief schlief! Die Kletterei hatte all seine Kräfte aufgezehrt.

Genug des Müßiggangs! Er hatte lange genug geschlafen. Barnaba atmete tief durch. Genoss den wunderbaren Duft nach Blüten und Gras.

Er schlug die Augen auf. Über ihm spannte sich ein blauer Himmel, über den Schafswolken zogen. Es war immer noch angenehm kühl. Überrascht sah er sich um. Er lag auf einer Wiese zwischen Wildblumen. Flaches Weideland umgab ihn. Nirgends war ein Berg zu sehen. Das war unmöglich! Eine solche Landschaft gab es nirgends in Garagum. Er konnte sich nicht erinnern, wie er hierhergelangt war.

Verwirrt setzte er sich auf. Nicht weit entfernt lag ein kleiner, von Bäumen überschatteter Teich. Im Wasser bewegte sich etwas … Eine Frau! Nackt, nur in ihr langes, goldenes Haar gewandet. Sie sah zu ihm hinüber, stieg aus dem Wasser und ging geradewegs zu ihm. Er hatte sie noch nie zuvor gesehen.

Barnaba atmete auf. Er träumte noch immer! Das war eindeutig. Diese Frau … Sie war zu schön. Makellos. Ihre Haut so weiß wie Stutenmilch. Das Haar wie gesponnenes Gold. Sie bewegte sich mit der Anmut einer Tänzerin. In ihrem Antlitz jedoch spiegelte sich Sorge.

Plötzlich war sie neben ihm. Er runzelte die Stirn. Eben noch war sie zwanzig Schritt entfernt gewesen. Ein Traum! Natürlich. Alles nur ein Traum.

»Endlich können wir reden!« Ihre Stimme wurde von einem seltsam melodischen Akzent begleitet, wie er ihn noch nie zuvor vernommen hatte. Die Augen der Frau waren von einem Grün, wie es der Sommerhimmel manchmal kurz vor einem Gewitter annahm. Ein leichter Vanilleduft hing jetzt in der Luft. Was für eine Frau! Wäre sie ihm im wirklichen Leben begegnet, es hätte einen anderen Weg genommen.

»Sprich mit mir«, drängte sie und ergriff seine Hand.

»Du … hast schöne Augen.« Verdammt! So fing man so ein Gespräch doch nicht an. Gut, dass es nur ein Traum war.

»Du auch«, entgegnete sie, offensichtlich nicht verärgert. »Man kann deine Seele in deinen Augen lesen. All deine Liebe und auch deinen Hass.«

Barnaba schluckte. Was sollte das denn? Er liebte das offene Wort, aber das war selbst ihm ein wenig viel des Guten.

»Du musst nun eine schwere Entscheidung treffen. Ich bin so direkt, weil uns nur noch wenig Zeit bleibt, denn du liegst im Sterben.«

»Das genügt! Ich drehe mich um und werde aufwachen. Das ist alles nur ein Traum, das ist …«

»Die Wahrheit! Horche in dich hinein, und du weißt es. Du musst die Schmerzen fühlen können, obwohl ich sie gedämpft habe.«

Barnaba wollte aufstehen, doch sie hielt ihn mit eisernem Griff. Sie war überraschend stark.

»Du wirst mir zuhören. Ich habe dich beobachtet, seit du ins Tal gekommen bist. Es war eine angenehme Abwechslung nach den endlosen Jahrzehnten der Einsamkeit. Ich sah dich die steile Felswand erklimmen, hatte aber an dem Nachmittag andere Dinge im Kopf. Erst am nächsten Tag wunderte ich mich, dass ich dich nicht mehr sah. Ich verlasse meinen Teich nur selten. Und wenn ich es tue, gehe ich nie weiter als ein paar Schritt. Ich musste über zweihundert Schritt tun, um dich zu finden. Am Fuß der Steilwand. Du sahst fürchterlich aus. In deinen offenen Wunden nisteten Maden. Du … Ich habe alles getan, um dich zu retten. Ich bin keine große Zauberweberin. Meine Kraft reichte nicht aus. All die Wunden, die gebrochenen Knochen … Seit Tagen kämpfe ich um dein Leben. Ich werde verlieren, denn du bist zu schwach. Dein Körper vermag sich nicht mehr selbst zu heilen. Deine Wunden haben sich entzündet, und das Gift deines faulenden Fleisches wird dich töten.«