»Geh zu deinen Kameraden, Ashot aus Belbek, und rede mit ihnen.«
Artax sah ihm nach. Narek ging an Ashots Seite und redete aufgeregt auf ihn ein. »Er kannte meinen Namen! Hast du das gehört? Er kannte meinen Namen! Du wirst das bestätigen müssen, sonst wird das niemand im ganzen Dorf glauben, wenn ich erzähle, dass der Unsterbliche Aaron mich, Narek aus Belbek …«
»Hör auf zu schwätzen«, sagte Ashot und klang dabei für seine Verhältnisse erstaunlich warmherzig.
Artax fühlte plötzlich eine große Leere in sich. Er beherrschte ein riesiges Reich, aber es gab nichts, was ihm die Abende mit Ashot und Narek ersetzte.
Du hättest ein paar unserer Haremsblumen mitnehmen sollen. Die Säfte eines Mannes geraten durcheinander und vergiften den Verstand, wenn er zu lange nicht bei einem Weib liegt. Wärest du noch klar im Kopf, würdest du nicht irgendwelche Bauernbesäufnisse vermissen.
Artax seufzte. Aaron hatte keine Ahnung. Vermutlich hatte sein Quälgeist nie in seinem Leben richtig gute Freunde gehabt. Er wandte sich zu seinen Männern um. Volodi, Kolja und sieben andere seiner Zinnernen hatten ihre Waffen und Rüstungen abgelegt. Sie trugen nur noch Lendenschurz und Sandalen. Selbst so sahen sie noch furchteinflößend aus. Narbenbedeckt, muskulös und mit hartem Blick. Artax überkamen Zweifel, ob es gut war, erfahrene Krieger auf ein paar Bauern loszulassen.
»Ihr werdet sie nicht zusammenschlagen. Es ist nur ein Spiel. Verstanden?«
Kolja bedachte ihn mit einem furchteinflößenden Lächeln. »Datames hat sich verklärt uns alles.«
»Erklärt«, zischte Volodi und warf Kolja einen verwunderten Blick zu. »Ist sich Sprache von Aram, durcheinander zu sehr«, entschuldigte er sich bei Artax. »Ist sich schwer für Männer aus Drus.«
Auch Artax betrachtete Kolja erstaunt. Eigentlich beherrschte der Faustkämpfer die Sprache Arams besser. Was ging da vor sich? Er deutete auf die lederne Armprothese. »Ich hoffe, da drin ist kein Messer versteckt.«
»Doch, ist sich. Aber keine Sorgen haben. Kann sich nicht nix kommen heraus aus Versehen. Muss sich verschieben Verschluss.« Er löste eine Schnalle und zog eine dicke Lederlasche zur Seite, die über dem abgerundeten Ende der Prothese lag. Darunter kam ein schmaler Schlitz zum Vorschein. Kolja bewegte den Arm ruckartig zur Seite, und eine zehn Zoll lange Klinge schnellte hervor.
Halsabschneider! Du hast eine Leibwache aus Halsabschneidern, du Bauerntrottel. Du kannst dich darauf verlassen, eines Tages wird dir das leidtun.
»Lass die Klinge verschwinden! Ich hoffe, du weißt, was das bedeutet, wenn ich dir sage, dass das hier nur ein Spiel ist.«
Kolja nickte ernst. »Klar ganz! Habe mich viele Jahre in Arena gespielt. Spiel zu Ende, wenn steht sich nicht mehr auf einer.«
»Er macht sich Scherz!«, beeilte sich Volodi zu sagen und bedachte Kolja mit einem finsteren Blick.
»Und warum redet er so verquer?«, wollte Artax wissen. »Er spricht doch sonst ganz ordentlich.«
»Heute bin ich mich viel böses, großes Barbar. Und böses Barbar spricht sich böse falsch dumme Sprache von Aram. Das erwarten sich Bauern von uns«, feixte der Faustkämpfer gut gelaunt. »Das mach ich mich immer so.«
Artax konnte Volodi ansehen, dass dieser das nicht annähernd so komisch fand wie Kolja.
»Wie nehmen die Herausforderung an«, rief Ashot ihnen zu.
Kolja lächelte.
Datames führte sie hinab zu dem ausgetrockneten Flussbett, an dem ihr Lager lag. Dort war eine Strecke von etwas mehr als siebzig Schritt von Steinen und Geröll freigeräumt. Der Boden war sandig. Die sanft ansteigenden Ufer lagen etwa dreißig Schritt auseinander.
Artax nahm mitten auf dem Platz Aufstellung. Die Zinnernen gruppierten sich rechts und links um ihn. Kolja und Volodi besprachen etwas in ihrer Muttersprache.
Als Volodi seinen besorgten Blick bemerkte, hob er beschwichtigend die Hände. »Nichts Sorgen. Weiß sich Kolja, ist dies nicht Spiel wie Arena.«
Artax blickte zu den Ufern, die dicht bevölkert von Schaulustigen waren. Hoffentlich wusste Datames, was er tat. Es durfte keinen zweiten Unfall wie bei dem Schaugefecht mit den Streitwagen geben.
Der Hofmeister gab Ashot den sandgefüllten Lederbeutel und zog sich auf das Steilufer zurück. Ein Hornsignal erklang. »Das Spiel beginnt!«, rief Datames mit wohltönender Stimme. »Möge der Bessere gewinnen.«
Die Bauern hatten sich um Ashot geschart. Sie wirkten nervös.
»Gehen vorwärts«, sagte Volodi ruhig.
Kolja nickte und winkte den Männern vorzugehen.
Wirklich beeindruckend, deine Führungsqualitäten.
Artax versuchte die Stimme zu ignorieren. Er ging mit den Zinnernen vor.
»Zum Angriff!«, rief Narek plötzlich, und alle Bauern zugleich stürmten vor. Aber nicht in einer Linie. Sie kamen auf ihn zugelaufen! Artax stemmte die Füße in den Boden und wappnete sich für den Angriff, als der pummelige Bauer ihn mit der Schulter rempelte.
»Entschuldigung, Allererhabenster«, murmelte Narek mit hochrotem Kopf und rempelte ihn erneut an.
Ein hagerer Kerl sprang vor und umklammerte die Beine von Artax. Noch ein Rempler. Der Unsterbliche stürzte.
»Wir haben ihn!«, schrie jemand. Im selben Moment fiel Narek auf ihn.
Artax kämpfte um Luft und versuchte seinen alten Freund zur Seite zu schieben, als sich noch ein Leib auf ihn warf und noch einer und noch einer … Der blaue Wüstenhimmel verschwand hinter zuckenden Armen.
Jemand über ihm fluchte. Artax versuchte verzweifelt, sich zu befreien. Sein rechter Arm wurde gepackt und zur Seite gezogen. Seine Knie wurden zusammengedrückt. Er konnte sich kaum noch rühren.
Das Signalhorn wurde ein zweites Mal geblasen. »Die Sieger …« Mehr verstand Artax nicht, weil ihn ein Knie am Ohr traf.
Endlich erhoben sich die Männer, die ihn zu Boden gepresst hatten. Als Artax sich leicht schwankend erhob, fühlte er sich, als ob eine Pferdeherde über ihn hinweggetrampelt wäre. Volodi kniete breit grinsend mit dem Lederbeutel auf der Linie der Bauern. Ein Stück vor ihm stand Kolja über Ashot. Der Faustkämpfer hatte dem Bauern in Siegerpose den Fuß in den Nacken gestellt. Auf den Ufern war es still. Keiner jubelte den Zinnernen zu. Artax seufzte innerlich. Dieses Spiel hatte die Stimmung im Heer ganz gewiss nicht verbessert.
»Tschuldigung«, murmelte Narek verlegen und wagte es nicht, ihm in die Augen zu blicken. Mit hängenden Schultern machte er sich davon. Die übrigen Bauern folgten ihm. Als Letzter erhob sich der Kerl, der seine Beine umklammert gehalten hatte. Eine hagere Gestalt mit einem bleichen Hautstreifen unter dem Kinn und frisch rasiertem Schädel.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten«, erklärte er mit theatralischer Verbeugung. Ein fremder Akzent lag in seiner Stimme, obwohl er die Sprache Arams flüssig beherrschte. Ihm schien es nicht viel auszumachen, besiegt worden zu sein.
»Du kommst nicht aus der Gegend von Belbek, nicht wahr?«
Der Mann sah zu ihm auf. War da Furcht in seinem Blick?
Natürlich fürchtet er sich vor dir. Wenigstens dieser eine noch, nachdem du dich vor ein paar tausend Bauern oben auf den Ufern als Tölpel aufgeführt hast.
»Ich habe ein paar Jahre in einem Dorf nahe der Stadt Nari gelebt. Ashot hat mich angeworben. Er fand, dass das genug sei, um mich den Belbeker Löwen anzuschließen.«
»Belbeker Löwen?«, fast hätte Artax aufgelacht. »Was ist das?«
Der Hagere blickte zu seinen Kameraden. »So nennen wir uns. Viele der neuen Kriegergruppen haben sich Namen gegeben.«
»Und wie heißt du?«
»Lamgi.«
Du wirst ihm jetzt nicht auch noch die Hand geben, Bauerntrampel. Du bist der Großkönig!
Artax scherte sich einen Dreck um Aarons Beschwerden und griff nach Lamgis Unterarm, um sich mit dem Kriegergruß zu verabschieden. »Nimm dich in Acht, Lamgi«, sagte er lächelnd. »Das nächste Mal werfe ich dich zu Boden.«
Ashot kam zu ihm herüber. Er ging schief und hielt sich eine Hand auf den Bauch. »Was war das? Keiner Eurer Leibwächter ist Euch zu Hilfe gekommen, erhabener Aaron! Was für Kerle sind das?«