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Ein vierschrötiger Kerl versuchte Artax mit der Schulter zu rammen. Der Unsterbliche wich leicht zur Seite aus, sodass der Angreifer ihn nur streifte, und brachte ihn dann seinerseits mit einem Stoß aus dem Gleichgewicht. Kurz war er versucht, einen Fausthieb folgen zu lassen, beherrschte sich aber. Datames sollte sich Regeln für dieses Spiel ausdenken, die verhinderten, dass es in eine wilde Schlägerei ausartete.

Sein Angreifer wich zurück. Drei oder vier der Bauern lagen am Boden. Seine Zinnernen waren ganz offensichtlich weniger zimperlich gewesen, was das Austeilen von Fausthieben anging. Er entdeckte auch Narek unter den Gestürzten. Der Bauer hatte die Hände um den Bauch geschlungen und wimmerte herzerweichend. Volodi bückte sich nach ihm.

Artax atmete scharf ein, doch der Drusnier erkundigte sich nur, ob alles in Ordnung sei. Narek brachte ein Nicken zustande.

Von den Ufern waren vereinzelte Buhrufe zu hören. Der Angriff der Bauern war ganz und gar gescheitert. Diejenigen, die wieder auf den Beinen waren, zogen sich zu Ashot zurück und versuchten ihn gegen den unvermeidlichen Gegenangriff zu schützen.

»In Boden stampft sie sich!«, rief Kolja gut gelaunt und stürmte den Bauern entgegen. Die Zinnernen stießen einen wilden Schlachtruf aus und folgten ihm. Artax ließ sich von der Begeisterung seiner Männer mitreißen. Zugleich war der Unsterbliche überrascht, mit welchem Mut sich die Bauern um Ashot scharten. Keiner lief davon. Im Gegenteil! Sie empfingen seine Leibwache mit einem grimmigen Lächeln.

Artax blockte einen Fausthieb mit dem Arm und versetzte seinem Gegenüber einen Schwinger. Er war wieder an Lamgi geraten. Der hagere Lastenträger drehte den Kopf zur Seite, sodass der Fausthieb ihn nur streifte, und antwortete mit einem Aufwärtshaken, der Artax am Rippenbogen traf.

Artax konterte mit einem Kopfstoß. Seine Stirn schlug gegen die Nase Lamgis. Der Lastenträger taumelte zurück und stürzte über einen Mann, der hinter ihm zu Boden gegangen war.

»Hab ihn, sich Schlauch!«, schrie Volodi und hielt den Ziegenlederbeutel triumphierend hoch. Die Mehrzahl von Ashots Männern lag am Boden.

»Zurück!«, rief Kolja. »Aber wir gehen uns langsam. Wird nicht nix folgen uns Pack von Staubfressern.«

Kaum waren die Worte über die Lippen des Faustkämpfers gekommen, da erscholl das Horn. Auch Datames schien begriffen zu haben, dass diese zweite Runde entschieden war. Es gab niemanden mehr, der seine Zinnernen aufhalten könnte.

Als Artax zurückblickte, entdeckte er Narek an der Seite seines Hofmeisters. Der Bauer hielt einen Lederschlauch hoch und grinste breit.

Verblüfft sah Artax zu Volodi, der ebenfalls zu Narek hinüberstarrte.

»Ihr nicht nix gewinnen«, äffte Ashot die beiden Drusnier nach.

»Was …?«, begann Artax.

»Ist sich klar«, grollte Kolja und packte Ashot.

»Lass ihn!« Artax trat an die Seite des Faustkämpfers.

»Ich brauche niemanden, der für mich spricht!«, sagte Ashot kämpferisch, obwohl auf einen Blick deutlich war, wie aussichtslos ein Kampf gegen Kolja war.

»Hast du dich Wasserschlauch vertauscht und mit sich zwei gespielt?«

Ashot runzelte kurz die Stirn. »Das könnte man sicherlich schöner sagen, aber darauf läuft es hinaus.«

Kolja brach in schallendes Gelächter aus und ließ den Bauern los. »Bist sich Mann mit Ohr im Schlitz! Sehr gut! Wenn du dich überlebst Schlacht, dann zu mir kommen. Nangog macht sich Männer wie dich reich. Gehen wir zusammen hin. Kann mich dich gut brauchen dort.«

Ashot war sichtlich überrascht von dieser Wendung.

Artax atmete auf. Und von den Ufern brandete Jubel für die Löwen von Belbek, die gezeigt hatten, dass ein paar Bauern die Leibwache des Unsterblichen zu besiegen vermochten.

Das verwunschene Tal

Bamiyan stocherte mit einem verkohlten Ast in der Asche der Feuerstelle. Hier war seit vielen Tagen kein Essen mehr zubereitet worden.

Nachdenklich betrachtete er die armseligen Besitztümer des heiligen Mannes. Man musste wahrlich von den Göttern berührt worden sein, wenn man es aushielt, freiwillig unter solch erbärmlichen Verhältnissen zu hausen. Wie ein Tier in einer Höhle!

Der Wanderstab des Wunderheilers lehnte am Eingang der Höhle. Drinnen hatte Bamiyan Essensvorräte gefunden und eine dünne Wolldecke. Es sah nicht so aus, als habe der Heiler das Tal verlassen. Aber ohne Zweifel war er auch seit vielen Tagen nicht mehr bei seinem Lagerplatz gewesen. Das waren schlechte Nachrichten.

Der junge Jäger warf den verkohlten Ast in die Feuerstelle und sah sich um. Er lauschte auf das Geräusch des Wasserfalls. Etwas an diesem Tal war unheimlich. Er hatte keine Tiere gesehen. Es war ungewöhnlich still. Manchmal hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden.

Bamiyan blickte die Felswände empor. Er konnte die Sonne nicht entdecken. Der hintere Teil des Tals, dort, wo der Wasserfall rauschte, lag bereits im Halbdunkel.

Wo konnte der Heiler nur stecken? Hatte ihn hier etwas so sehr erschreckt, dass er einfach davongelaufen war, ohne irgendetwas von seinen kümmerlichen Habseligkeiten mitzunehmen? Je länger er hier war, desto besser konnte Bamiyan sich das vorstellen. Er wäre selbst am liebsten gegangen. Aber er hatte sich geschworen, noch bis zum Einbruch der Dämmerung nach dem Heiler zu suchen. Bei Nacht allerdings würde er hier nicht bleiben. Um keinen Preis der Welt!

Ein kleiner Stein rollte klackernd über einen Hang. In dem engen Tal klang das Geräusch unnatürlich laut. Bamiyan legte die Hand auf den Griff des langen Bronzedolches an seinem Gürtel. Er war kein Feigling, aber dieser Ort hier machte ihm zu schaffen. Seit seiner Kindheit hatte er unzählige Geschichten über das Tal gehört. Ein böser Geist hauste hier. Aber in jeder Geschichte wurde er anders beschrieben. Mal war es eine Gestalt, so schrecklich, dass das Herz aufhörte zu schlagen, wenn man sie erblickte. Mal eine wunderschöne Frau, die Wanderer verführte, zu ihr ins Wasser zu steigen, um die Arglosen dann zu ertränken. Dann wieder eine Hexe, die einen mit einem magischen Schlummer belegte und alle Lebenskraft raubte, während man verstrickt in sinnliche Träume dem Tod entgegenschlief. Sein Großvater hatte behauptet, der Geist würde jeden mit eisigen Händen packen, der es wagte, unter den Wasserfall zu treten. Die Unvorsichtigen wurden gegen den Wasserstrom die Felswand hinaufgezerrt, und dann, wenn sie ganz oben angelangt waren, lösten sich die Hände aus kaltem Wasser auf, und man stürzte sich zu Tode.

Bamiyan ging dem Rauschen des Wasserfalls entgegen. Er musste den Kopf weit in den Nacken legen, um die Stelle zu sehen, an der das Wasser über den Rand der Klippe stürzte. Böiger Wind zerrte Geister aus weißer Gischt aus dem tosenden Nass. Der Anblick ließ den jungen Jäger frösteln. Manche Geschichtenerzähler behaupteten, dass der Geist, der hier hauste, überall sei. In jedem Fels, jedem verdorrten Grashalm, selbst in der Luft, die man atmete.

Bamiyan dachte an seinen toten Bruder. Masud hätte über die Geistergeschichten gelacht. Sein Bruder hatte keine Angst gekannt. Er wünschte, er wäre noch hier. Vorsichtig, halb geduckt, jederzeit bereit zur Flucht, näherte sich Bamiyan dem See. Da war es wieder, das Gefühl, angestarrt zu werden. Jetzt wusste er sogar, wo der Beobachter war. Hinter dem Schleier des Wasserfalls. Sehen konnte Bamiyan ihn nicht. Aber er spürte, dass die Blicke von dort kamen. Ganz sicher!

Er sollte jetzt gehen. Er war kein Schamane und kein heiliger Mann. Er war nicht dafür gewappnet, sich mit einem Geist anzulegen. Aber wenn er jetzt floh, dann würde er sich den Rest seiner Tage fragen, was mit dem Wunderheiler geschehen war. Und schlimmer noch, er würde im Innersten seines Herzens wissen, dass er ein Feigling war, wenn es darauf ankam.

Bamiyan presste die Lippen fest aufeinander und ging entschlossen auf den Teich zu. Sein Herz raste. Schweiß perlte von seiner Stirn. Der eisige Hauch des Sprühwassers wehte ihm entgegen. Die Hand, die seinen Dolchgriff umklammerte, zitterte. Aber er ging weiter!