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Der Schamane funkelte den Rotbärtigen wütend an. »Du bist erst zum dritten Mal in dieser Runde, Ormu, und führst schon das große Wort. Du solltest besser sitzen, schweigen, lernen und erfahreneren Männern das Reden überlassen.« Er machte in Bamiyans Richtung eine Geste, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen. »Geh den Hügel hinunter, Junge, bis wir dich wieder rufen. Es ist nicht notwendig, dass du dem Gezänk alter Männer zuhörst.«

Bamiyan war erleichtert, gehen zu können. Der Mond stand hoch am Himmel, sodass er den felsigen Weg vor sich gut sehen konnte. Er führte hinab zu der Höhle, in der Zarud vor langer Zeit gelebt hatte. Es war ein magischer Ort. Zwei Mal war Bamiyan in seinem Leben bereits hier gewesen.

Neben dem Höhleneingang war eine Nische aus dem Fels geschlagen worden. Darin stand eine Statue Russas. Zarud hatte sie mit eigenen Händen erschaffen. Das Bildnis zeigte den Gott der Berge, wie er dem Heiligen erschienen war, als der Blitz ihn traf. Er war ein großer, bärtiger Mann, der einen Bogen vor seiner Brust hielt und ein seltsames Fischschuppenhemd trug. Bamiyan hatte das Gefühl, dass Russas Augen geradewegs auf ihn gerichtet waren.

Ergriffen kniete der junge Jäger nieder und bedankte sich mit einem Gebet voller Inbrunst dafür, dass Russa seine schützende Hand über ihn gehalten hatte, als das Geisterweib die Eissplitter auf ihn niederprasseln ließ.

Der Mond war bis fast zum Horizont gewandert, als Gatha den Hügel hinabstieg. Er hielt ein in Leder eingeschlagenes Bündel in seinen Händen und wirkte verärgert. »Der Steinrat hat entschieden, was zu tun ist«, sagte er mit gepresster Stimme. »Du wirst in das Heerlager von Aaron Geisterschwert reiten und den König bitten, uns zu helfen.«

Bamiyan sah den Schamanen entsetzt an. »Ich? Warum ich?«

»Du hast den Befehlen des Rates zu gehorchen und keine dummen Fragen zu stellen, Junge.«

»Aber König Geisterschwert ist gekommen, um hier eine Schlacht zu schlagen. Das weiß jeder. Er wird nicht in dieses Tal reiten. Ich werde ihn mit meiner Bitte erzürnen, und er wird mir den Kopf abschlagen lassen.«

Gatha sah ihn ohne Mitleid an und kratzte sich am Bart. »Ja, das könnte geschehen. Aber man sagt, er sei in den letzten Monden nachsichtiger geworden. Es besteht Hoffnung für dich. Außerdem kannst du ihm ein Angebot machen, wenn er uns hilft. Wir kommen nicht als Bettler!« Gatha erläuterte ihm die Pläne des Rates, dann drückte er ihm das in Leder eingeschlagene Bündel in die Hand.

Bamiyan tastete über das Leder. »Pfeile?«

»Sie sind von Ormu. Er glaubt auch nicht, dass König Geisterschwert in dieses Tal reiten wird. Er hatte einen … ungewöhnlichen Einfall.«

Die Art, wie Gatha die letzten Worte betont hatte, gefiel Bamiyan gar nicht.

»Wenn der König nicht mit dir kommt, wirst du ihn um Folgendes bitten …«

Bamiyan hörte mit wachsendem Entsetzen zu. »Ich bin ein toter Mann.«

Gatha nickte. »Das habe ich Ormu auch gesagt. Aber der Rat hat entschieden, dass du es versuchen sollst. Und wenn es nicht gut ausgeht, werde ich dafür sorgen, dass dein Leichnam zu den Adlern kommt. Dann wirst du gemeinsam mit deinem Bruder Russa begleiten, wenn er auf dem Sturmwind über die Berge reitet.«

Das Gesicht im Schatten

Gonvalon zog seinen Umhang enger um die Schultern und war sich zugleich bewusst, wie nutzlos diese verzweifelte Geste war. Er war tropfnass, und unablässig prasselte der Regen auf das dichte Laubdach des uralten Waldes, durch den sie seit Tagen irrten. Selten hatte er den Verlust seiner Zaubermacht so bedauert wie in diesen Tagen. Kaum dass eine Stunde vergangen war, seit sie durch den Albenstern getreten waren, hatte dieser verfluchte, eisige Regen eingesetzt und seitdem nicht mehr aufgehört.

Nandalee hob das Eichhörnchen an, das sie vor ein paar Stunden erlegt hatte. »Willst du nicht doch etwas? Es ist jung und zart.«

Gonvalon schüttelte den Kopf. Rohes Eichhörnchen! Bis er so weit war, würde er noch etliche Tage hungern müssen. Misstrauisch sah er sich um. Die Dämmerung ließ den Wald in Schatten versinken. Sie lagerten dicht beim Stamm einer alten Eiche. Ihr Laubdach hielt einen Teil des Regens ab. Aber ein angenehmer Lagerplatz war es deshalb noch immer nicht. Wenn sie wenigstens ein Feuer machen könnten! Aber Nandalee war strikt dagegen. Der Wald zu Füßen des Albenhauptes war das Land der Maurawani. Hier galten ihre Gesetze, und die waren so verdreht und unerbittlich, wie es dieses Elfenvolk war.

Soweit Gonvalon wusste, war nie ein Maurawan unter die Novizen der Weißen Halle aufgenommen worden. Sie waren zu unbeugsam und undiszipliniert, um in den Dienst der Himmelsschlangen treten zu können. Auch verließen sie nur ungern für längere Zeit ihren Wald. Ein jeder Maurawan hatte dort ein Revier, so wie Wölfe. Sie hüteten den Wald und alles, was darin lebte. Und da Feuer ihren Bäumen schaden könnte, mochten sie es nicht, wenn Reisende ein Lagerfeuer entzündeten. Nicht einmal auf Felsboden, wo es im Umkreis von zehn Schritt keine Wurzel gab.

Der Schwertmeister seufzte. Er hatte sich seine Reise mit Nandalee anders vorgestellt. Romantischer.

Sie setzte sich an seine Seite und legte ihren Arm um ihn.

Wieder seufzte er. Sie beschützte ihn! Was für eine verdrehte Welt!

»Lass uns meine Wärme teilen«, sagte sie mit diesem anzüglichen Lächeln, das er so sehr mochte. Sie öffnete die Brosche seines Umhangs.

Gonvalon tastete hinter sich. Keine Wurzeln. Nur feuchter Waldboden. Wenigstens war der weich.

Nandalee küsste ihn stürmisch. Es waren Küsse, die nach Eichhörnchenblut schmeckten.

»Verhalte dich ganz natürlich«, flüsterte sie, als sie zwischen zwei Küssen Atem holte.

»Was …«

»Leise«, hauchte sie und biss in sein Ohrläppchen. »Wir werden beobachtet.«

Schon wieder, dachte er verzweifelt. Es war das siebte oder achte Mal, dass sie behauptete, jemand sei in der Nähe. Er hatte nie einen der Maurawan zu sehen bekommen. Ihr Talent, in einem Wald fast unsichtbar zu bleiben, war legendär. Deshalb wurden sie auch gerne als Späher für die Blaue Halle rekrutiert. Doch keiner blieb je länger als zwei oder drei Monde. Aber die Blaue Halle war anders. Sie passte sich in ihren Vorschriften an ihre Novizen an. Sie hatten sogar versucht, Nandalee anzuwerben, als sie wegen ihrer verrückten Eskapaden um ihren Bogen im Streit mit den Meistern der Weißen Halle gelegen hatte.

»Etwas mehr Leidenschaft könnte nicht schaden«, flüsterte sie.

Gonvalon fragte sich, ob sie ihn zum Narren hielt. Sollte sie nur. Er griff unter ihr Wams nach ihren Brüsten und erwiderte ihre Küsse übertrieben stürmisch. Sie drückte ihn nach hinten in das feuchte Laub des Vorjahrs. Der würzige Duft halb vermoderter Blätter umfing ihn. Sie saß auf ihm. Das tat sie gerne.

Ganz unbefangen streifte Nandalee ihr Wams ab. Würde sie das tun, wenn es wirklich Beobachter gab?

»Stören wir?«, erklang eine Stimme irgendwo aus den Schatten der Bäume.

»Nur wenn ihr mitmachen wollt«, entgegnete Nandalee keck.

Gonvalon stieg die Schamesröte ins Gesicht. Das durfte doch nicht wahr sein! Er versuchte sich aufzurichten, doch sie drückte ihn sofort wieder zurück. »Bleib liegen. Die beiden haben Bögen«, zischte sie. »Ich kann sie nicht genau erkennen. Ich glaube, es sind die, die ich erwarte.«

Ein Elf erschien neben ihnen, so plötzlich, als sei er aus dem nassen Laubboden gewachsen. Er war ganz und gar in helles Leder gekleidet. Gonvalon war schleierhaft, wie es der Kerl schaffte, damit im Wald unsichtbar zu bleiben. Nicht ein einziges nasses Blatt haftete an seinen knielangen, weichen Stiefeln. Er hielt den Bogen gesenkt, hatte aber den Pfeil nicht von der Sehne genommen.