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Bavragor kratzte sich am Bart. »Was macht ihr?«

»Was wohl? Ihn suchen«, fauchte er. »Vor euch hätte er nur Angst und würde sich sofort wieder verkriechen.« Er nickte Boëndal zu und lief los.

Gehorsam wanderten die anderen beiden zu der Wirtschaft, traten ein und suchten sich einen Tisch. Hungrig bestellten sie sich etwas zu essen und einen Humpen Bier dazu, um die Wartezeit erträglicher zu machen.

Die Menschen, die sich hier versammelt hatten, starrten die Zwerge, an denen das getrocknete Blut der Orks klebte, unverhohlen an. Doch die beiden schauten nur grimmig zurück und kauten schweigend ihr Mahl.

Boïndil leerte seinen Humpen in einem Zug und nahm Anlauf, die gemeinsame Vergangenheit zu bereinigen. »Hör zu, damals, mit …«

Doch Hammerfaust hob die flache Hand. »Nein, ich will nichts davon hören«, erstickte er den Aussöhnungsversuch im Keim. »Sie hätte sich niemals mit dir einlassen sollen, aber sie wollte nicht auf meinen Rat hören. Deine Schuld wirst du nicht mehr los. Ich vergebe dir jedenfalls nicht. Meinetwegen sollst du bis zum Ende deiner Tage mit deinem geplagten Gewissen leben.« Er langte nach seinem Becher und schüttete das Bier in sich hinein, danach rülpste er laut. »Je mehr ich mich daran erinnere, umso weniger möchte ich mit dir an einem Tisch sitzen.« Er stand auf und schritt zu Tür. »Wenn Tungdil auftaucht, sage ihm, ich bin ein Pony kaufen gegangen.«

Der zurückgelassene Zwerg kniff die Lippen zusammen. Wortlos stellte ihm der Wirt ein frisches Bier vor die Nase.

Die beiden anderen trennten sich, um die Gassen und Straßen Mifurdanias zu durchstöbern. Tungdil erklomm einen Wehrgang der Stadtmauer und verschaffte sich einen ersten niederschmetternden Überblick.

Die Zahl der Häuser war riesig; dicht an dicht schmiegten sich die Dächer aneinander, und nur wo sich Heiligtümer und Plätze befanden, riss die ansonsten beinahe geschlossene Fläche aus Ziegeln und Stroh auf. Für einen Zwerg, der sich vor Prügel und einer unfreiwilligen Rasur verbergen wollte, boten sich hier tausende Möglichkeiten.

Alles Seufzen half nichts, Tungdil musste ihn finden und zu den anderen zurückbringen. Ehe er sich wieder in das Gassenlabyrinth begab, warf er einen Blick über die Wehrbauten, um nach den Orks zu schauen. Die Bestien hatten sich bis in den Wald zurückgezogen und errichteten Lager; offenbar sollte die Stadt umzingelt werden.

Wir sitzen in der Falle. Er folgte der Gasse, durch die Goïmgar gerannt war, und rief immer wieder seinen Namen, bis ihn die Bewohner verwundert angafften und er es vorzog, lieber im Stillen weiterzusuchen.

Die Flucht des Zwergs bildete für ihn den traurigen Höhepunkt der Streitigkeiten innerhalb seiner Gruppe. Vraccas, lass mich ihn finden, betete er zum Gott der Zwerge und spähte in jede noch so kleine Gasse und jeden winzigen Hof, ohne eine Spur des Vermissten zu entdecken.

Auf einem größeren Platz entdeckte er einen bunt gekleideten und mit Glöckchen behangenen Marktschreier, der auf einem hohen Podest stand und mit lauter Stimme die Menschen herbeilockte.

»Kommet, werte Spectatores, kommet und sehet die Wahrheit über Nudin den Wissbegierigen, der sich unter so grauenvollen Umständen zu Nôd’onn dem Zweifachen wandelte und das Geborgene Land ins Unglück stürzet!«, rief er mitreißend. »Das Theater Curiosum mit seiner Schauspielgröße, dem Unglaublichen Rodario, und dem Magister technicus Furgas entführt sie in eine Welt, in der sich alles zum Guten wendet!«

Der Mann nahm einen Schluck aus einem kleinen Fläschchen, griff sich die Fackel und sandte einen Schwall Feuer über die Köpfe der Bürger hinweg.

»Wir bieten den werten Spectatores die noch nie dagewesene Unterhaltung in unserem großartigen Theater, und das alles für drei bescheidene Münzlinge!«, redete er weiter. »Heute gibt es die Vorstellung zum Sonderangebot, geschätzte Spectatores, weil die Orks vor den Mauern liegen und wer weiß, ob wir morgen noch spielen?! Ohne Kopf?!« Der Ausrufer zog eine Grimmasse, einige der Bürger lachten. »Also, frisch auf und nicht länger gezögert.« Er deutete auf den Eingang des Hauses. »Die Bühne ist bereitet, die Schauspieler warten! Hurtig, hurtig! Lasst euch aus euren Sorgen entführen!«

Tatsächlich strömten die Menschen durch die breiten Türen, der Bedarf nach Ablenkung war groß.

Tungdil erklomm das Podest des Marktschreiers. »Verzeiht, aber habt Ihr einen wie mich gesehen?«, fragte er.

»Einen wie dich?«, lachte ihn Mann an. »Oh, daran würde ich mich erinnern …« Er rollte mit den Augen, schielte plötzlich und schaute dann wieder völlig normal. »Ha! Sicher! Ein bisschen schmaler? Ein bisschen mehr Bart?« Der Zwerg nickte. »Der Kleine rannte geradewegs ins Curiosum«, behauptete er, und schon sprang Tungdil vom Podest und reihte sich in die Menschenmenge, um ein Billet zu erstehen.

Er kaufte sich einen Platz in einer der Logen, um einen besseren Überblick zu haben. Was Goïmgar ausgerechnet jetzt in einer Theatervorstellung suchte, war ihm schleierhaft. Vielleicht glaubt er, in der Menge unentdeckt zu bleiben und den Schlägen von Bavragor und Boïndil zu entgehen!

Tungdil betrat den Innenraum, der rund angelegt war, sodass man von allen Seiten auf die Bühne schauen und das Geschehen verfolgen konnte.

Das Theater war vollständig aus Holz gebaut. Die Bretter und Balken knarrten unter dem Gewicht der Zuschauer, aber sie hielten der Belastung tapfer Stand.

Schweiß und Parfüm lieferten sich in der Nase des Zwergs einen erbitterten Kampf. Dazu gesellte sich der Geruch der Petroleumleuchter, die an den Streben angebracht waren und ein wenig Licht in den dunklen, fensterlosen Raum brachten. Die Unterhaltungen der Menschen mischten sich zu einem lauten Geschnatter, das dem von Gänsen nicht unähnlich war.

Wo kann er stecken? Tungdil suchte sich eine Loge. Es war ein enger Verschlag mit dünnen Seitenwänden und einer harten Bank, die so niedrig stand, dass er die riesige Bühne nicht sehen konnte, wenn er saß, daher nahm er auf der Rückenlehne Platz und stellte die Füße auf das Polster.

Seine braunen Augen fahndeten nach dem bekannten Gesicht des vermissten Zwerges, entdeckten ihn in der Menge jedoch nicht.

»Wo bist du, Goïmgar?« Eine Hoffnung blieb ihm jedoch noch. Einen Teil des Innenraums konnte er nicht überblicken, die langen, dunkelroten Vorhänge, die von der Decke herab rings um die Bühne hingen, versperrten ihm die Sicht, bis der Sichtschutz sich hob und die Vorstellung begann. Geduldig wartete er ab.

Auf einen Schlag erloschen die Lampen, das Geschnatter des Publikums wurde zu einem Wispern und erstarb ganz, die Spannung stieg.

Eine Musikkapelle, die in irgendeiner Etage des Zuschauerraums hockte, begann mit ersten, leisen Tönen und stimmte die Menschen auf das Kommende ein. Winden verrichteten quietschend ihre Arbeit, die Stoffbahnen zogen sich nach oben und gewährten einen Blick auf die Bühne, auf der die Kulisse einer kargen Steppenlandschaft nachempfunden worden war.

Tungdil wunderte sich, weil das Gras wie echt wirkte, er meinte sogar, den Wind zu spüren und die Erde zu riechen.

Hoch über den Köpfen der Spectatores ging die Sonne auf, indem Helfer des Curiosums die Abdeckungen von den Glasplatten auf dem Dach nahmen. Die Scheiben waren so angeordnet, dass das Licht nur auf das große Podest in der Mitte fiel und die Szene beleuchtete. Der Zuschauerraum und die Hinterbühne blieben in schummrigem Halbdunkel.

Die an die Finsternis gewöhnten Augen des Zwerges glichen das Zwielicht aus; endlich konnte er die andere Seite des Raumes beobachten und nach dem Vierten Ausschau halten.

Derweil begann das Geschehen auf der Bühne, das Tungdil aber nur am Rande wahrnahm. Ihm stand der Sinn sicherlich nicht danach, verkleideten Menschen bei einer Kinderbeschäftigung zuzusehen. Angestrengt hielt er nach Goïmgar Ausschau, doch er fand ihn nicht.