Unverständliche gurgelnde Laute ausstoßend, richtete er sich auf und stürzte bei dem Versuch, zur Tür zu gelangen, hart zu Boden.
Die Beine verweigerten ihm ebenso den Dienst wie jedes andere Körperteil; selbst sein Hirn entglitt seiner Kontrolle, er brabbelte wirr, lachte, keuchte und schrie vor Angst und Schmerzen, wälzte sich auf den Platten und kroch auf allen vieren durch sein Schlafgemach, eine rote Spur hinter sich herziehend.
Dabei spürte er genau, wie der Nebel sich in jeder Faser seines Leibes ausbreitete; er schob und drückte sein Fleisch, wühlte in seinen Eingeweiden, folterte seine Männlichkeit und gewährte ihm keinen Lidschlag lang eine Pause von der Qual.
Dann endete sein Leiden abrupt.
Japsend lag Nudin auf dem kühlen Marmor und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Die Benommenheit wich einer Klarheit, einer ungewohnten Schärfe in seinem Denken.
Mühsam stemmte er sich auf die Füße. Das Blut klebte an ihm, und es roch nach Exkrementen. Angewidert von sich selbst, eilte er durch die Flure seines Palasts und sprang in den erstbesten Brunnen, um sich den Schmutz vom Körper zu waschen. Das kalte Wasser brachte seine Lebensgeister zurück, der Magus fühlte sich erfrischt und hellwach.
Es ist an der Zeit für eine Probe. Er versuchte, sich an die Zauberformel von vorhin zu erinnern. Es gelang ihm auf Anhieb, und nicht nur das: Er wusste, wofür sie taugte, er kannte alle notwendigen Handbewegungen, jede einzelne Silbe und die exakte Betonung, obwohl er sie zum ersten Mal aus seiner Erinnerung abrief.
Genau genommen war es nicht seine Erinnerung, nicht sein Wissen, auf das er zurückgriff, aber das störte ihn nicht.
Wie im Rausch dachte er an das Gesehene und sah es, schmeckte es, roch es. Die Ebene bekam einen eigenen Geruch, den er wieder erkannte, er wusste, welche Lieder die Vögel dort sangen, er erinnerte sich, dass der idyllische Flecken Pajula genannt wurde und wo er auf der Landkarte lag, auf einer Landkarte, die er erst zeichnen musste, weil sich die Ebene fern der Grenzen des Geborgenen Landes erstreckte.
Nudin lachte vor Begeisterung und planschte im Wasser des Brunnens herum.
Bist du zufrieden?, hauchte eine Stimme in seinem Kopf. Versprach ich dir zu wenig?
»Nein …«, sagte der Magus laut und stockte. Nein, dachte er dann. Es scheint, als hättest du die Wahrheit gesagt, was das Wissen anbelangt. Er entschied sich zu einem entscheidenden Experiment. Ich möchte, dass du meinen Körper wieder verlässt.
Sofort verspürte er ein unangenehmes Brennen, eine eisige Kälte, und ein Gefühl von Einsamkeit, Verlassenheit breitete sich in ihm aus. Der Nebel bereitete sich darauf vor, aus ihm zu entweichen. Nudin fürchtete sich davor, die durchlittenen Schmerzen ein weiteres Mal ertragen zu müssen.
Nein, dachte er hastig, bleib. Ich wollte nur sehen, ob ich dir auch darin vertrauen kann.
Du wirst mir vertrauen müssen, so wie ich dir meine Erfahrung, mein Wissen anvertraue. Aus zweien ist eins geworden.
»Aus zweien ist eins geworden«, murmelte der Zauberer und verließ den Brunnen, um sich einen Spiegel zu suchen. Sein Bild verriet ihm nichts Neues, seine äußere Gestalt hatte sich nicht verändert, und doch saß das Hemd, das er sich aus einem seiner Schränke nahm, ein wenig eng, die Ärmel waren etwas zu kurz.
Ich wählte gut, sagte die Seele des Toten Landes, die mit dem Anblick ebenso zufrieden war. Nein, sorge dich nicht. Du begehst keinen Verrat.
Du kennst meine Gedanken?, wunderte er sich und fühlte sich ertappt, da er immer noch einen letzten Hauch von Argwohn hegte.
Wir sind eins.
Warum verstehe ich dann deine nicht?
Sei geduldig mit dir. Es erfordert Übung, die du erhalten wirst, Nudin der Allwissende. Wir werden gegenüber den anderen Stillschweigen über unseren Pakt bewahren, bis die Zeit gekommen ist, uns ihnen zu offenbaren. Deine Aufgabe wird sein, mir die Zeit zu verschaffen, die ich benötige, um die Mutter für die Reiche zu werden. Triff deine Vorbereitungen, arbeite im Verborgenen und lass dir nichts anmerken, denn sie würden dich in der Tat für einen Verräter halten, der du nicht bist, mein Freund, mein einziger Freund, mein geliebter Freund. Die wispernde Stimme verhallte und ließ den Mann allein.
Nudin schritt zum Fenster und blickte über das schlafende Porista, über dem bald die Sonne stehen würde, dann drehte er sich um und betrachtete die zahllosen Buchrücken der Werke, die in seinem Zimmer standen.
In seinem Kopf ruhte mehr Wissen als in all seinen Folianten, Kompendien und Lehrbüchern zusammen, und er war glücklich, erfüllt, wissend. An was er auch dachte, sein Verstand hielt die Antwort parat und sättigte seine Neugier, ohne dass er dafür forschen, Bücher wälzen, Reisen unternehmen oder Experimente durchführen musste.
Plötzlich überkam ihn Langeweile, denn es gab nichts mehr für ihn zu tun. Die einzige Herausforderung, die mir blieb, ist die Rettung meiner Heimat. Die werde ich mir nicht nehmen lassen.
Nudin war von seiner Aufgabe besessen, er schmiedete Pläne und gelangte zu der Einsicht, dass er es nicht allein seinem Freund mit den wunderbaren Erinnerungen überlassen durfte, die Reiche des Geborgenen Landes zu schützen. Er wollte seinen Anteil dazu beisteuern und den Kampf gegen das Grauen aufnehmen, das in seiner Vorstellung von allen Seiten auf die schützenden Berge um seine Heimat einstürzte.
Das Wissen um die neuen Formeln und Zauber war schön und gut, aber nicht ausreichend. Um sie umzusetzen, benötigte er Macht, noch mehr Macht.
Der Magus wusste, wie er an diese Magie gelangen, wie er sie in sich aufnehmen und speichern konnte. Bei einer der nächsten Beschwörungen, um die hindernden Fesseln um das Tote Land zu erneuern, würde er sich die Energien aneignen und die übrigen Zaubergelehrten vor die Wahl stellen, ihn zu unterstützen oder ihm nicht länger im Weg zu stehen.
Er konzentrierte sich auf nichts anderes mehr, verbarg sich in seinen Laboratorien und suchte sich aus der Schar seiner Famuli diejenigen heraus, die ihm treu ergeben waren; sie würden seine Gefolgsleute sein.
Die Albae besuchten ihn heimlich, berichteten von ihren Erkundungszügen in den Bergen Urgons, in den Ebenen Gauragars und in den sanften Hügeln Idoslâns, erzählten von den Orks im Reich Tilogorns, die bereit waren, ihm zu folgen, wenn er es verlangte.
Nudin fürchtete Verrat an seiner Sache, die er als Verrat am Geborgenen Land betrachtete. Jeglicher Widerstand durfte nicht toleriert, sondern musste sofort gebrochen werden, um das Unterfangen nicht zu gefährden.
In ganz seltenen Augenblicken beschlichen ihn Zweifel, ob er das alles selbst tat und wollte oder ob er auf die stillen Befehle des Wesens in ihm hörte.
Doch seine Besorgnis schwand so unerklärlich schnell, wie sie ihn überfiel. Gelegentlich sprach sein Freund zu ihm, riet ihm Dinge, gab ihm neue Einfälle, die ihn voranbrachten und die er in seinem Plan übersehen hatte.
Wir sind eins, dachte er dankbar. Wir bringen den Menschen Sicherheit.
Und dennoch wurdest du hintergangen, raunte es.
Wie?
Dein Famulus Heltor sprach mit einem Mann namens Gorén, einem einstigen Famulus Lot-Ionans. Meine Freunde haben sie gehört, als sie sich während der Ratssitzung vor den Toren des Palastes trafen. Er glaubt zu wissen, was mit uns geschah und wie man uns voneinander trennen kann.
Trennen? Niemals! Wie sollte das möglich sein?, dachte Nudin erstaunt. Ich muss es verhindern.