Er steckt nicht allein dahinter, warnte es ihn. Er wird im Auftrag seines Magus handeln. Er gab ihm Bücher, in dem unser Geheimnis verborgen steht. Sie trachten nach deiner Macht und deinem Wissen. Lass nicht zu, dass sie uns auseinander reißen. Wir sind eins, Nôd’onn!
Ich werde die Albae schicken, ihn zu verfolgen. Sie werden mir die Bücher bringen und ihn bestrafen, sagte er und dachte an den Tod des Zauberschülers.
Sein Tod wird die anderen aufschrecken. Vernichte sie alle, raunte es ihm zu.
Nein, widersprach er. Ich werde zuerst mit ihnen reden, wie du mit mir geredet hast. Ich habe die Hoffnung, dass sie Einsicht zeigen, denn wenn wir die Macht der Sechs besäßen, könnten wir an vielen Orten gleichzeitig sein und unseren Freunden zu einem noch schnelleren Sieg verhelfen.
Das Wesen hielt seinen Einfall nicht für gut. Da es jedoch fürchtete, der Magus könnte sich bei seinen Widerworten von seinem Einfluss befreien, sagte es fast nichts. Du wirst erkennen, dass du dich in ihnen täuschst, mein einziger und wahrer Freund.
»Ich hoffe, dass ich mich nicht in ihnen irre«, sagte Nudin leise und wandte sich einem Buch zu, das er schon kannte und auswendig wiederholen konnte, denn es gab nichts mehr in seiner Bibliothek, was ihn mit Neuem reizte.
Ein Blutstropfen klatschte in die aufgeschlagene Seite, deckte vier Buchstaben zu und machte sie unleserlich. Es rann aus seiner Nase, aus seinen Augen, zuerst langsam, dann wie ein unhaltbarer Bach.
Nôd’onn wusste, was ihm bevorstand. Eilig stand er auf und begab sich auf die Liege. Seine Knochen knackten, der Schädel krachte, knisterte, die Haut spannte sich schmerzhaft, als sein Leib einen weiteren Satz in die Höhe machte.
Er schrie und brüllte, biss sich die Lippen blutig, wälzte sich so sehr, dass er von der Schlafstelle fiel und besinnungslos wurde.
Als er erwachte, schienen die Qualen niemals gewesen zu sein, und es verlangte ihn wie immer nach einem opulenten Mahl. Das hatte dazu geführt, dass er immens an Gewicht zulegte, die Schneider mussten seine Garderobe wöchentlich neu anlegen.
Wann hört es auf, wehzutun?, fragte er seinen Freund, während er das Gesicht und die Hände vom Blut reinigte.
Bald, wisperte es. Dein Wissen ist zu groß für deinen kleinen, menschlichen Körper, es schafft sich Platz. Sei unbesorgt, du stirbst nicht daran. Wir sind eins.
Hungrig ging er in den Speisesaal und ließ das Essen auffahren, das seine Bediensteten ihm auf die lange Tafel stellten und von dem eine ganze Familie hätte satt werden können. Dieses Mal reichte es nicht für ihn, der Koch musste zwei weitere knusprig gebratene Hähnchen bringen, ehe sich der Magus voll gefressen erhob. Die Ärmel, das stellte er im Hinausgehen fest, waren schon wieder zu kurz geworden.
Eine Albin betrat den Raum und hielt eine Nachricht für ihn in der Hand …
Zweiter Teil
I
Tungdil war von der Handlung völlig vereinnahmt; er wusste nicht einmal mehr zu sagen, was ihm seine Einbildungskraft dazudichtete und was die Schauspieler auf dem Podest unter ihm wirklich zeigten.
Aber seine Aufmerksamkeit wurde durch eine flinke Hand abgelenkt, die sich von hinten durch den Logenvorhang schob, den Riemen des Rucksacks griff und ihn vorsichtig zu sich heranzog.
Das alles sah er natürlich nicht, doch er bemerkte das Schleifen in seinem Rücken, als der Dieb zu gierig an dem Lederstück riss. Als er sich umwandte, sah er gerade noch den Arm des Langfingers, der mitsamt seinem Gepäck durch den Vorhang verschwand.
»He! Halt!«, schrie der Zwerg erzürnt. »Diebe! Haltet ihn!« Er packte die Axt und rannte auf den Brettergang hinaus, dass die harten, genagelten Sohlen seiner Stiefel nur so rumpelten. »Dir schlage ich gleich Respekt vor dem Eigentum anderer Leute in den Schädel!«
Hätte seine drohende Stimme nicht ausgereicht, den Schleier der Illusion im Theater zu zerreißen, so schaffte es das Poltern. Empörte Rufe wurden laut, die sich weniger gegen den Dieb, sondern mehr gegen den Beraubten richteten.
Deren Sorgen möchte ich haben. Tungdil kümmerte es nicht, er verfolgte die dunkel gekleidete Gestalt. Seine kurzen Beine hoben und senkten sich rasch und entfachten ein anhaltendes Donnern.
»Würde sich der geschätzte Spectator bequemen, etwas leiser zu trampeln?«, rief der falsche Nôd’onn entrüstet von der Bühne. Die Albin verzog das Gesicht und stemmte die Hände in die schmalen Hüften. Im Gegensatz zum nachgemachten Magus wirkte sie in ihrer schwarzen Rüstung immer noch sehr echt, trotz des geplatzten Gaukelspiels. »Ich versuche hier, die anderen Spectatores zu unterhalten, wenn es recht ist.«
»Dieb!«, antwortete ihm der Zwerg, ohne anzuhalten. »In Eurem feinen Theater wird gestohlen.«
»Sicher. Und zwar von Euch, mein murkeliger Freund. Ihr stehlt nämlich meine kostbare Zeit«, gab der Mime bissig zurück, »und meine unbezahlbare Geduld. Da Ihr sie nun habt, schert Euch zusammen mit Eurer Beute hinaus und lasst mich für die Kenner der Kunst mein Stück zu einem glücklichen Ende bringen, wie es sich gehört.«
Die Besucher applaudierten ihm, Gelächter erklang, der Schauspieler verneigte sich.
Narr. Da war Tungdil schon auf der Gasse und blieb vor dem Eingang des Curiosums stehen, um nach dem dreisten Räuber Ausschau zu halten. Er entdeckte ihn, als er um die nächste Ecke bog. Den Sack hatte er sich auf den Rücken geschwungen, damit er die Hände frei hatte.
»Halt! Gib ihn her!«, verlangte er und heftete sich an die Fersen des Diebes.
Die Verfolgung gelang ihm über drei Straßenzüge hinweg, aber nach der vierten Gasse und dem wohl zehnten abrupten Richtungswechsel verlor Tungdil ihn aus den Augen und stand ratlos vor einem übervölkerten Marktplatz. Die Menschen bildeten einen Blickschutz, hinter dem sein Gepäck verschwand.
Das Stück Sigurdazienholz! Siedend heiß überlief es ihn. Genau das hätte niemals geschehen dürfen. Ich bin doch nicht so weit gekommen, um mich von einem einfachen Gauner beklauen zu lassen, spornte er sich selbst voller Grimm an.
Mit einer Hand fasste er die Axt, mit der anderen schubste und drückte er die Menschen zur Seite, bis er an einem hoch aufragenden Stand mit geflochtenen Weidekörben anhielt und den Stapel erklomm.
Doch von hier oben sah es nicht besser für ihn aus. Ohne die Hilfe der einheimischen Gardisten wäre es ihm unmöglich, sein Eigentum zurückzuerhalten. Aber angesichts der Orks, die vor den Toren lauerten, würde er mit seinem Anliegen sicherlich und sogar mit Recht auf taube Ohren stoßen. Wie könnte er sie auch von der Wichtigkeit überzeugen?
Entschuldigt, aber ich habe ein Stück Holz verloren, mit dem ich die Stadt und das Land vor dem Toten Land bewahren kann … Wer würde mir das glauben?
Als er hinabstieg, um zum Wirtshaus zurückzukehren, wo Bavragor und Boïndil hoffentlich auf ihn warteten, stellte er fest, dass er sich zu allem Überfluss auch noch in Mifurdania verlaufen hatte.
Tungdil kannte nicht einmal den Namen der Herberge, in die er die anderen beiden geschickt hatte. Das Tor bildete seinen einzigen Anhaltspunkt.
Sind wir durch das Nordtor gekommen oder durch ein anderes?
Brummelnd machte er sich auf die Suche und orientierte sich dabei an den nächstgelegenen Wachtürmen der Mauer, die gelegentlich zwischen den Dachgauben hindurchspitzten. Als er an einer dunklen Seitengasse vorbeischritt, hörte er plötzlich ein ersticktes Gurgeln.
Sofort blieb er stehen, nahm seine Waffe in beide Hände und betrat die Gasse. Vorsichtig schritt er um eine Biegung herum und sah eine hoch gewachsene, schlanke Gestalt; die Kleidung wurde von einem dunkelgrauen Umhang verdeckt.