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Zu ihren Stiefeln lag der Dieb, der ihn bestohlen hatte. Aus einem Dutzend Stichwunden sickerte sein Blut auf das Kopfsteinpflaster; der Mann, der den Gauner zur Strecke gebracht hatte, wühlte neugierig in dem Rucksack herum.

Der Zwerg fühlte sich gar nicht wohl. Die Statur passte nicht zu einem Menschen, wohl aber zu einem Alb. Vraccas, stehe mir in dieser Prüfung bei, bat er leise.

Der neue Besitzer des Rucksacks schloss die Lasche, fasste den Trageriemen mit der Linken und barg ihn unter seinem Umhang, um ihn mitzunehmen, während der Dieb sich ächzend auf den Rücken wälzte und sich vor Schmerzen krümmte. Die Gestalt schlenderte die Gasse entlang, als wäre sie nicht für das Leid des Mannes verantwortlich.

»Verzeiht, aber das ist mein Rucksack«, rief Tungdil.

Der Mann wirbelte herum, der Mantel flatterte auf, sodass er zunächst nichts von dessen Gesicht erkannte, dann spürte er zwei harte Schläge gegen seine Brust. Die geworfenen Messer prallten von seinem dicht gewobenen Kettenhemd ab und fielen klirrend auf das Pflaster.

Während Tungdil sich noch von seiner Überraschung erholte, rannte der heimtückische Angreifer schon die Straße hinunter und verschwand um die nächste Biegung. Gegen die langen Beine kam er nicht an, und als er um die Ecke bog, sah er weit und breit nichts von dem Mörder.

Keuchend lehnte er sich an eine Wand, die im Schatten lag, und rang nach Atem. Das Glück lässt mich allzu oft im Stich. Habe ich Vraccas verärgert?

Da legte sich ein Arm von hinten um seinen Hals. Ein dünnes Messer funkelte vor seinen Augen und berührte seine ungeschützte Kehle.

»Es ist dein Rucksack, Zwerg? So musst du Tungdil sein«, sagte eine gedämpfte Stimme zu ihm. »Wir haben dich an einem ganz anderen Ort vermutet. Mein Freund ist ganz versessen darauf, dich zu finden, seit du in Grünhain warst und seine Gefährtin umbrachtest.«

Tungdil versuchte, den Arm zu heben, doch die Klinge drückte sich fester in sein Fleisch.

»Nein, halt still. Du wirst mir ein paar Fragen beantworten«, verlangte der Unbekannte.

»Nein«, widersprach Tungdil trotzig und war sich sicher, auf einen Alb Nôd’onns gestoßen zu sein.

»Nein? Wir werden sehen.« Der Angreifer schleifte ihn rückwärts zu einem Torbogen, der zu einem Hauseingang führte und unter dem es stockdunkel war. »Wohin wolltest du mit dem Artefakt?«

Der Zwerg schwieg starrköpfig.

»Möchtest du sterben?«

»Du tötest mich sowieso, Alb. Warum sollte ich dir über meine Mission berichten?«, erwiderte er.

»Weil ich dir einen schnellen Tod und kein qualvolles Ende versprechen würde«, lachte er. »Versuchen wir es ein weiteres Mal. Bist du allein unterwegs?«

Schritte näherten sich ihnen, das Klirren von Kettenhemden erklang. Zwei Personen liefen die Gasse entlang, und der Alb verstummte.

Das Schicksal musste einen grausamen Sinn für Scherze haben, denn es brachte Goïmgar und Boëndal dazu, in genau diesem heiklen Augenblick an dem schattigen Versteck vorbeizugehen.

Boëndal redete beschwichtigend auf den Edelsteinschleifer ein und erklärte, dass weder Boïndil noch Bavragor es wirklich ernst mit ihren Drohungen meinten und er ihn notfalls vor ihrem Übermut schützen würde. Dann waren sie um die nächste Biegung verschwunden.

»Also fünf«, raunte der Alb ihm ins Ohr. »Fünf Zwerge auf dem Weg wohin?«

»Dich und deinesgleichen samt eurem Meister aufzuhalten«, sagte Tungdil laut und entschloss sich, den Alb abzuschütteln. Er packte den Arm mit dem Messer und warf sich mit Schwung nach hinten, um seinen Angreifer gegen die Mauer zu rammen, doch sein Gegner wich aus, Tungdil prallte gegen die Steine und musste schwer gegen die Kraft der Messerhand kämpfen.

Der Lärm genügte, um die beiden Zwerge aufmerksam werden zu lassen. Eilig rannten sie herbei.

»Gelehrter? Bist du das?« Der Krieger stand breitbeinig vor der Nische, den Krähenschnabel bereit haltend. Goïmgar hielt Abstand und verschmolz mit seinem Schild.

Das Knie des Albs traf den Nasenschutz von Tungdils Helm. Das Metallstück drückte sich schmerzhaft gegen sein Riechorgan, und die Tränen schossen ihm aus den Augen. Er bekam noch einen Stich in den linken, ungeschützten Unterarm, ehe der Gegner alles daran setzte zu entkommen.

Der bleibt hier. Geistesgegenwärtig griff Tungdil nach dem Rucksack und erwischte die Lasche. Knurrend klammerte er sich daran fest und hackte nach der Hand des Albs.

Seine Axt schlug ins Leere. Der Räuber war ausgewichen, aber dafür schlitzte die Klinge den Rucksack auf, die Lasche riss, und Tungdil fiel zu Boden.

»Ich habe, was ich wollte.« Die Lage wurde dem Alb zu brenzlig, und so zog er die Flucht vor. Er wollte an dem Zwilling vorbeihuschen, aber der erfahrene Kämpfer Boëndal ließ sich von der angetäuschten Bewegung nicht übertölpeln und schlug zu. Die Spitze der verheerenden Axt perforierte die Lederrüstung und drang tief in den Körper ein.

Der Getroffene stolperte, fluchte unverständlich und geriet in einen einzelnen Sonnenstrahl, der aus seinen eben noch dunkelblauen Augen zwei schwarze Löcher machte.

Und noch Unheimlicheres geschah mit dem Alb. Dünne, feine Linien zeichneten sich auf seinem blassen Gesicht ab. Mit einem Mal waren sein Gesicht und der Hals übersät mit zackigen Linien, die wie Risse aussahen. Er presste die Hand auf die Wunde und rannte die Gasse entlang; der Rucksack hüpfte auf seinem Rücken auf und nieder.

»Dich kriege dich.« Der Zwilling wollte sich an seine Fersen heften, aber Tungdil rief ihn zurück.

»Nein, lass. Wir wissen nicht, ob er uns nicht am Ende in eine Falle locken will.«

»Aber er hat den Rucksack!«

Tungdil wischte sich das Blut unter der Nase weg. Stolz hob er das Stück Sigurdazienholz. »Nur das ist wichtig. Und ich habe es wieder.«

»Wie hast du es verloren, Gelehrter?«, wunderte sich Boëndal.

»Das erzähle ich euch unterwegs.« Er nickte Goïmgar zu. »Sei unbesorgt. Die anderen beiden Griesgrame werden dir nichts anhaben.«

»Ich habe wirklich gesagt, dass sie erst nach euch die Tür schließen sollen«, sagte er leise.

»Lass es gut sein«, meinte Tungdil, obwohl er sich nicht sicher war, dass er dem Gehörten Glauben schenken sollte. Er vertraute ihm nicht mehr und beschloss, ihn zu keiner Zeit mehr allein zu lassen, bis Goïmgar verstanden hatte, um was es bei ihrer Reise ging.

»Wir sollten den Gardisten Bescheid sagen, dass wenigstens ein Alb in den Mauern Mifurdanias sein Unwesen treibt«, sagte Boëndal. »Er wird einen Verrat planen, um die Einnahme der Stadt für die Orkhorden zu erleichtern.«

»Und er weiß, dass wir hier sind«, fügte Goïmgar zaudernd hinzu. »Werden sie uns nun jagen?«

»Das haben sie wohl schon die ganze Zeit über getan«, antwortete Tungdil ehrlich, »aber leider haben sie herausgefunden, wo wir sind. Wir müssen so schnell wie möglich in die Tunnel. Solange sie davon nichts erfahren, sind wir vor den Albae sicher.«

Hastig durchquerten sie die Straßen, bis sie zum nahen Südtor gelangten, wo Tungdil dem Wachhabenden berichtete, dass er einen Alb gestellt habe. Dann machten sie sich auf den Weg zur Herberge, wo Bavragor und Boïndil hoffentlich ausharrten.

Als sie sich der Kaschemme näherten, hörten sie die wilden Schreie Ingrimmschs. Holz barst krachend, und darunter mischten sich laute, aufgeregte Rufe von Menschen.

»Bei Vraccas! Die Albae haben sie gefunden!«, rief Boëndal grimmig und rannte los, um seinem Bruder beizustehen.

Da flog ein Mann in hohem Bogen durch das kleine geschlossene Fenster und landete in einem Scherbenregen auf dem Pflaster. Der Nächste fiel mitsamt der aus den Angeln gerissenen Tür auf die Straße, rappelte sich auf und suchte blutend das Weite.

Die drei Zwerge stürmten in die Schenke, in der ein Wirbelsturm gehaust haben musste. Nichts befand sich mehr an seinem angestammten Platz, Tische und Bänke waren umgeworfen oder zu Bruch gegangen. Stöhnende Gäste lagen umher, manche arg, andere weniger verprügelt.