»Ich dachte mir schon, dass ich Euch als Ungeheuer einen besseren Dienst erweise denn als Kämpfer. Meine Fechtkenntnisse taugen allenthalben auf der Bühne etwas oder zur Belustigung meiner Gegner. Daher griff ich in aller Eile zu ein paar Utensilien, um den Miniaturbestien einmal etwas zu zeigen, vor dem sie Respekt haben sollten. Alchimie ist etwas Wunderbares.«
»Ich hätte dich beinahe getötet!«, sagte Bavragor fassungslos.
»Demnach sah ich also echt aus?«, schnarrte Rodario und verstand es als Kompliment. Er verbeugte sich tief. »Was denn, verehrte Spectatores? Kein Handgeklapper?«, meinte er enttäuscht, als sich die Zwerge weiterhin darauf beschränkten, ihn verständnislos anzustarren.
»Menschen sind wahnsinnig«, stellte Bavragor trocken fest. »Ich dachte immer, Boïndil wäre durch nichts zu übertreffen, aber der hier schlägt alles, was ich an Verrücktheit gesehen habe.«
»Aber seine Verrücktheit hat uns einen sehr großen Dienst erwiesen«, hielt ihm Tungdil vor Augen. »Ohne sie wärst du vermutlich tot, Bavragor. Eine Bestie aus Papier und Stoff, und wir fallen darauf herein …« Er musste lachen, und die anderen Zwerge stimmten nach anfänglichem Zögern ein.
Der Schauspieler verneigte sich wieder, dieses Mal breit grinsend. »Danke, danke. Auch das ist mir Recht, denn ich höre am Klang der Heiterkeit, dass Euch die Vorstellung gefiel.«
Tungdil hielt den Zeitpunkt für passend und rief die drei Menschen zusammen. »Ich habe mich mit meinen Freunden beraten«, eröffnete er ihnen mit geheimnistuerischer Miene. »Ihr habt Euch als vertrauenswürdig erwiesen, und so sollt Ihr die Wahrheit über uns erfahren. Wir sind auf dem Weg ins Zwergenreich der Ersten, zu den Clans, welche die Westpassage gegen die Eindringlinge beschützen.«
»Ich verstehe. Ihr sammelt Euch, um Euch gegen Nôd’onn zu stellen?«, nahm Rodario voller Eifer an. »War das Gefasel von der Feuerklinge demnach keine Phantasie?« Schon suchte er nach seiner Feder.
»Was wir Euch vorschlagen möchten, ist, dass Ihr uns zu den Ersten begleitet, damit Ihr seht, welche Pracht dort herrscht. Das und die Goldmünzen werden die Belohnung für Euren Beistand sein.« Als Tungdil spürte, dass seine Worte bislang nur den geckenhaften Schauspieler in Beschlag nahmen, schwärmte er über die Pracht, die er selbst noch nie gesehen hatte, erfand für den Techniker Furgas die wunderlichsten Konstruktionen, welche die Zwerge angeblich bauten, und berichtete von Rüstungen und Schmuck, dabei hoffend, die Frau damit locken zu können. Am Ende seiner langen Rede angelangt, wartete er ungeduldig auf die Antwort.
Voller Schrecken bemerkte er, dass Bavragor die Hände am Stiel seines blutigen Hammers hatte und sich offenbar bereit hielt, die drei Menschen anzugreifen, sollten sie den Vorschlag ablehnen. Boëndal wirkte nicht weniger kampfbereit.
»Ich könnte damit ein neues Theater eröffnen«, sinnierte Rodario, an seinem Kinnbärtchen rubbelnd. »Furgas, stell dir vor, was wir an Technik auffahren könnten! Wir werden Dinge sehen, wie sie kein Mensch vor uns sah.«
»Meinetwegen«, stimmte Furgas zu, und nur Narmora wirkte alles andere als glücklich. Rodario gab der Frau einen Kuss und strich ihr liebkosend über den Kopf, doch sie verzog den Mund. »Und sie wird auch einwilligen, stimmt’s?!«
Tungdil betrachtete sie ganz genau. Sie war diejenige, welche die Albin im Curiosum darstellte. Aber ihr Gesicht ist nicht elbenhaft genug. Sie ist eine Frau, die durch einen glücklichen Umstand mehr Schönheit als andere Frauen ihrer Rasse abbekam.
»Darf ich fragen, wo Ihr gelernt habt, auf diese Weise zu kämpfen?«, fragte er sie unbekümmert. Er hob den Arm und deutete auf ihre Waffen, die in schmalen Lederhüllen am breiten Gürtel hingen. »Wie nennt man das? Ich habe dergleichen noch nie gesehen.«
»Sie heißen Halbmond und Sonnenstrahl. Ich habe sie mir ausgedacht.«
»Ihr?«
Furgas gab ihr einen neuerlichen Kuss. »Sie stellt die Albin in unserem Stück dar, und wir dachten uns, dass wir den Albae Waffen geben sollten, wie man sie seltener sieht«, erklärte er strahlend und stolz auf den Einfallsreichtum seiner Gefährtin. »Es dauerte lang, bis wir einen Schmied fanden, der sie anfertigen konnte.«
»Das glaube ich Euch gern«, meinte Tungdil und gab sich mit der ersten Auskunft zufrieden. Er deutete auf den Steilpfad. »Wir gehen da hinauf, ehe die Bogglins ihren Mut wieder finden.«
Doch Tungdil dachte sich seinen Teil. Solche Waffen denkt man sich nicht einfach aus, und schon gar nicht beherrscht man sie dann so gut wie Narmora.
In den Gesichtern von Boëndal und Bavragor las er, dass sie ebenso dachten wie er. Diese Frau, glaubten sie, war eine echte und herausragende Kämpferin, die sich aus irgendwelchen Gründen lieber auf einer Bühne als auf dem Schlachtfeld aufhielt.
Der Zwerg sah Zärtlichkeit in den Augen Furgas’, als er die Frau in die Arme schloss. Hat die Liebe zu dem Mann bewirkt, dass sie dem Krieg den Rücken kehrte?, grübelte er. Bei Gelegenheit würde er sie danach fragen. Sicherlich ist sie eine Söldnerin in Idoslân oder für Königin Umilante gewesen. Aber dafür sieht sie noch sehr jung aus.
Furgas und Narmora halfen dem Schauspieler, aus der überlangen Hose zu steigen. Goïmgar kümmerte sich um seine verschreckten Ponys, die während des Kampfes erstaunlicherweise nicht Reißaus genommen hatten; Boïndil lag noch immer schnarchend über dem Rücken des kleinen Pferdes und schlief seinen Rausch aus.
»Hört euch den an«, meinte Bavragor. »Er sägt den Hain nieder.«
»Ich freue mich schon auf sein Gesicht, wenn er hört, dass er ein Scharmützel verpasst hat«, sagte Boëndal voller Schadenfreude. »Er wird aus Gram kein Bier mehr anrühren.«
Wie in einer kleinen Prozession stiegen sie hinauf zum Plateau, von wo aus sie Mifurdania und die Umgebung sehen konnten. Dichter Rauch hing über der Stadt, kleine schwarze Punkte wimmelten um sie herum. Es sah nicht so aus, als könnten die Verteidiger einen Sieg gegen die Horden Nôd’onns erringen. Der bedrückende Anblick verdunkelte sogar das sonnige Gemüt des Schauspielers. Narmora stand unbeteiligt am Rand der Steinplattform und betrachtete aufmerksam den Wald unter ihnen, während Furgas zusammen mit den Zwergen zum Wasser ging, um sich das Blut der Bogglins von den Fingern zu waschen.
»Wohin gehen wir jetzt?«, erkundigte er sich, als er bemerkte, dass es hier oben keinen weiteren Weg mehr gab.
»Wieder hinunter, sobald wir etwas aufgeladen haben«, antwortete ihm Tungdil. »Ehe wir nach Mifurdania gingen, haben wir die Geschenke für die Ersten versteckt. Sie liegen in einer kleinen Höhle hinter dem Wasserfall.«
»Sollen wir Euch helfen?«, bot Furgas sich an.
»Nein, nicht nötig«, wehrte der Zwerg ab, um zu verhindern, dass sie das Geheimnis der Stollen erkundeten. »Rastet ein wenig, damit Ihr später Wache halten könnt, wenn wir uns ausruhen.« Er nickte ihm zu und kehrte zusammen mit Goïmgar, Bavragor und Boëndal in den Schacht zurück.
Es wurde eine elende Plackerei. Sie schufteten Stunde um Stunde, bis die Barren aus Gold, Silber, Palandium, Vraccassium und Tionium nach oben geschafft waren. Die Anstrengungen der Schlacht und der Schlepperei sorgten dafür, dass sie bei Einbruch der Dunkelheit müde gegen den Fels sanken und einschliefen.
Boïndil war kurz vor ihrer Nachtruhe aus seinem Rausch erwacht und schämte sich sehr – nicht, weil er so viel gesoffen hatte, sondern weil er so wenig vertrug, wie ihm Bavragor unmissverständlich klar machte.
Die Schauspielertruppe betrachtete er mit äußerstem Misstrauen und zog es vor, nur wenige Worte mit ihnen zu wechseln. Da er die Schlacht gegen die Bogglins verpasst hatte, konnte er ihren Kampfgeist nicht einschätzen, und bis sie ihn nicht ebenso überzeugten wie die anderen, behielt er es sich vor, unfreundlich zu sein. Rodarios Charme prallte wirkungslos an ihm ab.