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Das Geborgene Land, das Zwergenreich des Zweiten, Beroïn, im Herbst des 6234sten Sonnenzyklus

»Dein Reich gehört uns, Gundrabur«, sagte der Alb, der neben dem Bett des Großkönigs stand. Schwärze umspielte ihn und machte ihn beinahe unsichtbar. »Wir nehmen es uns einfach – so wie wir uns schon das Reich der Fünften nahmen.«

»Und du wirst nichts dagegen tun können.« Ein zweites Albgesicht tauchte aus der Finsternis des Zimmers auf und schaute ihn an. Schwarz tätowierte Symbole, die seine fahle Haut noch mehr betonten, prangten in seinem Gesicht und verliehen ihm ein Furcht einflößendes Äußeres. »Du wirst tot sein und in der ewigen Schmiede bei deinem Gott Vraccas sitzen und jammern.«

»Man wird dich vergessen, du schwächlicher alter Zwerg«, prophezeite ihm ein Dritter, der lautlos aus der Dunkelheit erschienen war und nun zu seinen Füßen stand. »Du bist der Großkönig, der in seinen letzten Tagen vieles wollte und nichts davon erreichte.« Er lauschte, die violetten Augen zur Decke gerichtet. Ein helles Pochen ertönte, ein Meißel wurde in Fels getrieben. »Hörst du das, Gundrabur? Das sind die Clans der Zweiten. Sie entfernen deinen Namen, weil du ein schlechter Herrscher warst.« Aus einem Meißel wurden schlagartig tausende; das Klirren und Hämmern fraß sich in Gundraburs Schädel. »Nichts wird an dich erinnern, dein Zeitalter wird das Namenlose Zeitalter genannt werden, dem die Schmach der Niederlage folgte. Durch deine Schuld, Zwerg. Durch …«

»Gundrabur! Gundrabur!«

Die Albae drehten sich zur Tür um, die aufgestoßen wurde. Helles Licht fiel in den Raum.

»Wir sehen uns bald wieder«, verabschiedeten sie sich gleichzeitig und verschwanden in einer Schwärze, die nicht einmal seine Augen zu durchdringen vermochten.

»Gundrabur!«

Der Großkönig schreckte zitternd und mit klopfendem Herzen aus seinem Traum und brauchte lange, bis er sich in der Wirklichkeit zurechtfand. Ächzend fuhr er sich mit der Hand durchs Gesicht.

Auf seinem Bett saß Balendilín; er wischte ihm den kalten Schweiß von der Stirn und wrang ihn in die kleine Schale, die auf seinem Bauch stand und gefährlich ins Wanken geriet. »Du hattest einen Albtraum«, sagte sein Berater beruhigend und drückte seine Hand.

»Sie warten auf mich«, flüsterte Gundrabur erschrocken und sah noch älter aus als sonst – ein uralter Zwerg, der zwischen den Laken zu versinken drohte. »Und sie haben Recht.« Rasch, aber stockend berichtete er ihm von seinem Traum. »Ich werde dieses Bett nicht mehr lebend verlassen, Balendilín«, seufzte er. »Dabei wollte ich im Kampf gegen Nôd’onn sterben oder wenigstens noch einmal in meinem Leben einem Ork den Schädel spalten.« Er lachte und hustete gleichzeitig. »Die Dämonen wissen, woher diese Schwäche kommt.«

Auch Balendilín konnte sich die Ursache für Gundraburs Befinden sehr genau denken. Nach dem Genuss des Bieres, das sie im Anschluss an die Unterredung mit Bislipur getrunken hatten, hatte er sich drei Tage lang unwohl gefühlt, sein Magen hatte gegen jegliches Essen und Trinken aufbegehrt, und er hatte Fieber bekommen. Was er mit seiner gesunden Konstitution einigermaßen gut verkraftet hatte, richtete bei dem betagten Großkönig Verheerendes an.

Inzwischen hate er in Erfahrung gebracht, dass der Bedienstete, der das Essen gebracht hatte, unterwegs mit Bislipur zusammengestoßen war. Bislipur verstand sich auf das Ränkespiel, als wäre er bei den Kobolden in die Lehre gegangen, doch nachweisen ließ sich ihm nichts.

Mit diesem Giftanschlag hat er eine Stufe erreicht, die ihn zu einem Mörder werden ließ. Zu einem Mörder am höchsten Herrscher unseres Volkes. Insgeheim schwor sich Balendilín, ihn bei dem geringsten Beweis für seine verbrecherischen Taten anzuklagen, zu verurteilen und hinrichten zu lassen. Und wenn sein Gegner nicht bald einen Fehler beging, würde er dafür sorgen, dass ihm einer unterlief.

»Ich habe keine Nachkommen und deshalb dich zu meinem Nachfolger ernannt«, sagte Gundrabur schwach. »Du wirst die Clans der Zweiten führen und ihnen ein besserer König sein, als ich es war.«

Balendilín tupfte ihm die Schweißperlen von der hohen Stirn. »Du bist ein guter König gewesen«, widersprach er, »und du bist es immer noch.«

Gundraburs Augen wurden feucht. »Ich möchte zur Hohen Pforte, wo ich meine besten Schlachten focht.«

»Das ist kein guter Gedanke. Der Ausflug kann dich in deiner Verfassung umbringen.«

»Dann ist es Vraccas’ Wille, und der Platz wird frei für dich!« Er stellte die Schüssel zur Seite und richtete sich auf. »Meine Axt, meine Rüstung«, befahl er und erhielt mit jedem Stück der Rüstung, das er anlegte, mehr von seiner früheren Stattlichkeit zurück. Lederwams, ein leichtes, knielanges Kettenhemd, steinschmuckbesetzte Metallverstärkungen für den Hals, die Schultern und die Brust, dazu kamen der Helm und die Handschuhe, eisenverstärkte Stiefel und Lederhosen. Schließlich nahm er seine Axt, deren Stiel bis zur Hüfte reichte, und schritt zum Ausgang.

Die bittenden Worte seines Beraters bewirkten nichts, der Großkönig hatte sich zu seinem Vorhaben entschlossen und war durch die zwergische Beharrlichkeit nicht mehr davon abzubringen.

Gemeinsam marschierten sie durch die Gänge des Zwergenreiches. Balendilín stützte den Großkönig unterwegs und bei all den kleinen Pausen, die sie nach ein paar Treppenabsätzen einlegen mussten. Endlich gelangten sie an den Damm, den ihre Vorfahren gegen die Flut der Orks und anderen Bestien errichtet hatten, und stiegen auf den höchsten Wehrgang.

Aufstöhnend setzte sich Gundrabur auf das niedere Steinstück zwischen zwei Zinnen. Der Schweiß stand in seinem Gesicht, die Hände und Arme zitterten, aber er machte ein glückliches Gesicht. Als der Südwind mit seinen weißen Haaren spielte, die durchsichtig wie dünne Wolle waren, schloss er die Augen.

»Bislipur hat etwas in das Bier getan, was mich schwächt, das denkst du sicher«, sprach er. »Und ich denke, dass du damit Recht hast. Aber auch wenn er mit allen Mitteln kämpft, werde nicht wie er, Balendilín, um ihn zu besiegen, sonst wirst du ebenso schlecht und niederträchtig.«

Balendilín trat neben seinen Herrn und betrachtete ihn. »Was soll ich sonst gegen ihn tun? Bekämpft man Feuer nicht mit Feuer?«

»Er wird sich verraten, und dann musst du zur Stelle sein, um seine Falschheit allen vor Augen zu führen, damit selbst seine besten Freunde von ihm abfallen. Aber vorher bewahre Schweigen, sonst werden dich die Clans des Vierten einen Schreihals nennen. Wasser löscht das Feuer gründlicher und hinterlässt keine verbrannten Stellen, wie es ein Gegenfeuer tun würde.« Die trüben Augen Gundraburs richteten sich auf ihn. »Sei dieses Mal wie das Wasser, Balendilín, dem Wohl der Zwerge willen.« Sein Blick schweifte über den breiten Graben, in dem die verrotteten Gebeine zahlloser Bestien lagen. »Kein Ork kam während meiner Regentschaft auf diese Seite«, murmelte er, und ein wenig Stolz schwang in seiner Stimme mit. »Wir haben das Geborgene Land vor den Ausgeburten Tions bewahrt. Nun retten wir es vor der Bedrohung von innen heraus.«

Er schwieg eine Weile, ließ den Anblick der majestätischen Felsen auf sich wirken und sog den Abendwind prüfend ein.

»Hast du sie mir geschickt, mein treuer Freund?«, raunte er dankbar. »Wolltest du mir die Gelegenheit geben, wie ein Krieger zu sterben?« Er hob die Axt und prüfte ihre Schärfe mit dem Daumen.

Im gleichen Moment schlugen die Wachen auf den Zinnen Alarm: Die sich nähernden Ungeheuer waren bemerkt worden. Dröhnende Hörner riefen die Zwerge zu den Waffen, die Türen der Festung flogen auf, die am Wall stationierten Krieger verließen ihre Unterkünfte und eilten die Treppen zu den Wehrgängen hinauf.

Balendilín betrachtete das immer jünger wirkende Gesicht seines Königs. Der Geruch der verhassten Orks trug das Feuer in seine Lebensesse zurück, machte die Hand um den Griff fest und die Augen klar. Ein Wunder!

»Lass die Brücke ausfahren«, befahl Gundrabur und sprang auf. Die Beine, die eben noch unter der Last des Kettenhemds gezittert hatten, trugen ihn mit Leichtigkeit, und er schien um einige Fingerlängen gewachsen zu sein. »Ich möchte sehen, ob die Orks immer noch so wenig taugen wie zu meinen großen Zeiten und ob sie ein alter Zwerg in die Flucht schlagen kann.«