Выбрать главу

Tungdil wusste nicht, was er dem Steinmetzen antworten sollte.

Die Geschichte rührte ihn zutiefst. Mitfühlend legte er eine Hand auf Bavragors Arm. »Verzeih, dass ich dich so gequält habe«, sagte er und beließ es dabei.

Die eigenen Erinnerungen an den Verlust von Lot-Ionan und Frala, die er wie eine Schwester geliebt hatte, packten ihn. Ich kann ihn zu einem Teil verstehen.

»Sei’s drum.« Bavragor atmete tief ein und spülte die Erinnerungen mit Branntwein herunter; sein Essen rührte er an diesem Abend nicht mehr an.

Tungdil hob den Kopf und schaute zu Boïndil, der auf seinem Posten saß, die Pfeife zwischen den Lippen, und aufmerksam über ihre Sicherheit wachte. Die blauen Rauchkringel stiegen in den Himmel, und er glaubte das Zischen zu hören, wenn eine Schneeflocke auf den heißen Tabak traf.

»Seine heiße Lebensesse ist ein Fluch«, sagte Boëndal traurig. »Er weiß bis heute nicht, was damals auf der Brücke geschah, und erinnert sich nur daran, wie er Smeralda tot vor sich liegen sah. Er dachte, die Orks hätten ihm seine Liebe genommen, aber als er von Bavragor und den anderen hörte, dass er selbst es gewesen sein sollte …«

»Und wo warst du?«

»Ich war verwundet, und Vraccas weiß, wie sehr ich diesen Umstand bis heute verfluche. Ich bilde mir ein, dass sie noch leben könnte, wenn ich an seiner Seite gewesen wäre.« Er kratzte an einer rostigen Stelle seines Kettenhemds und behandelte sie mit Öl. »Manchmal ruft er ihren Namen in seinen Träumen. Er leidet mindestens so sehr wie Bavragor, das kann ich dir versichern, aber zugeben würde er es niemals, Gelehrter.«

Sie stopften eine zweite Pfeife und wechselten sich mit dem Rauchen ab, während jeder seinen Gedanken nachhing. Durch die zerstörten Fenster beobachtete Tungdil, dass sich der Schneefall verstärkte.

Als Furgas und Rodario zurückkehrten, sahen sie aus wie wandelnde Schneemänner. Der Techniker hatte zwei ausgewachsene Karpfen dazu gebracht, in den Haken zu beißen, während der Schauspieler missmutig eine kleine Schleie entschuppte.

»Ein Pflüger vor den Göttern, aber keine Ahnung vom Fischen haben«, zog ihn Bavragor auf, um sich von den bedrückenden Erinnerungen abzulenken.

»Ja, die Götter«, meinte Rodario nur und schaute über die verblichenen und von der Feuchtigkeit beschädigten Wandbemalungen. »Da, seht, was aus ihnen wird, wenn man sich nicht um sie kümmert. Sie verblassen und verschwinden, weil sie ohne die Sterblichen keinen Grund haben zu existieren.«

»Vraccas braucht keinen Grund«, erwiderte Boëndal voller Überzeugung. »Er erschuf sich auch, weil er wollte, und nicht, weil ihn jemand schuf.«

»Ich kenne die Entstehungslegenden, vielen Dank, und benötige deine Nachhilfe sicherlich nicht, mein Guter«, wehrte der Mime ab und beschäftigte sich weiter mit dem Fisch. »Früher haben wir sie auf der Bühne umgesetzt und Erfolge damit gefeiert. Ich sage es ja immer: Die alten Stoffe sind meistens die besten, auch wenn unsere Nôd’onn-Aufführung aus gegenwärtigem Anlass sehr gut aufgenommen wurde.«

Das erinnerte Tungdil daran, dass er die Mimen nun endlich nach den Kniffen fragen könnte, die sie im Curiosum anwendeten, um die Illusionen täuschend echt zu gestalten.

»Wie das geht?« Rodario wies mit dem schmutzigen Messer auf Furgas. »Da sitzt unser Magister technicus.«

Furgas nahm sich bereits den zweiten Karpfen vor, während sein Freund die Schleie mehr malträtierte als entschuppte. »Ich habe mich viel mit Alchimie beschäftigt. Damit schaffen wir den ganzen Rauch, den wir benötigen«, erklärte er. »Ich kann ihn schwer machen oder leicht, mal rot, mal schwarz. Die Lehre von den Elementen ist faszinierend.«

Tungdil wusste, dass Lot-Ionan Alchimie unterrichtet hatte, und er kannte verschiedene Zutaten vom Schleppen. »Aber wie ging es, dass die Kerzen alle auf einen Schlag verloschen?«

»Magie«, wisperte Rodario und zog eine Fratze. »Ich bin in Wahrheit der letzte noch lebende Magus des Geborgenen Landes.« Er näherte sich dem Zwerg, fummelte an seinem Ohr herum und hielt eine Goldmünze in der Hand. »Was sagst du nun?«

»Sie gehört mir«, antwortete Tungdil und schnappte sie sich, doch ein kurzer Biss darauf genügte, um den Schwindel auffliegen zu lassen. »Blei mit minderwertigem Blattgold«, lautete seine Einschätzung, und er warf die Scheibe zurück. »Dein Zauber taugt nichts.«

»Ein Taschenspielermagus, mehr ist er nicht«, lachte Boëndal und wies mit dem Mundstück der Pfeife auf ihn.

Rodario hob den Zeigefinger. »Aber das Entscheidende ist, dass die Zuschauer darauf hereinfallen. Und das taten selbst die kleinen, hässlichen Bogglins. Ich nenne so etwas einen Erfolg.«

»Also sind eure Kniffe Fingerfertigkeit, Geschwindigkeit und Alchimie?«, fasste Tungdil zusammen.

Furgas nickte und warf einen kurzen Blick zu der hoch gewachsenen Frau. »Und Schminke«, fügte er hinzu. »Sie macht viele Einbildungen wahr. Narmora verwandelt sich durch sie in eine Albin, vor der sich die jüngeren Spectatores auch schon mal fürchten und zu ihren Eltern flüchten.« Er lachte. »Und wir lieben es natürlich, wenn dergleichen geschieht.«

»Seid froh, dass der Wahnsinnige nicht in eurem Theater war«, meinte Bavragor finster. »Er hätte die Bühne gestürmt.«

»Sie sieht wirklich fast aus wie ein Spitzohr«, meinte Boëndal abwesend. »Die Natur hat es nicht gut mit ihr gemeint.«

Für diese Bemerkung erntete er böse Blicke von Narmora und ein breites Grinsen der Männer. Tungdil und Bavragor mussten so laut lachen, dass Goïmgar aufschreckte und hinter seinem Schild hervorschaute.

»Oh, verzeih, ich habe es nicht so gemeint«, entschuldigte sich Boëndal schnell, und man sah ihm die Verlegenheit an.

»Vielleicht bin ich ja eine Albin und bringe euch heute Nacht einen Albtraum?«, erwiderte Narmora mit einem erbosten Funkeln in den fast schwarzen Augen. »Wundert euch nicht, wenn ihr schreiend erwacht.« Sie stand auf, richtete ihr Kopftuch und verließ die schützende Ruine. Sogleich verschmolz sie mit der Dunkelheit.

»Ihr Götter, ist sie gut in ihrer Rolle!«, rief Rodario entzückt. »Sie glänzt ganz ausgezeichnet darin, findet ihr nicht auch? Aber sagen würde ich es ihr niemals. Am Ende verlangt sie noch mehr Lohn.« Begeistert wandte er sich den Zwergen zu, die seine Meinung stumm teilten. Boëndal machte sich ernsthaft Sorgen über das, was er in seinem Schlummer erleben würde.

Die Männer kümmerten sich weiter um ihren Fang, und bald roch es nach gebratenem Fisch. Hungrig langten die Reisenden zu.

»Eines muss ich noch wissen. Wie habt ihr das alles auf der Bühne entstehen lassen?«, erkundigte sich Tungdil bei Furgas. »Den Wald, den Palast … Es sah so echt aus.«

»Behältst du es für dich?«

»Ja.«

»Wirklich und ehrlich?«

»Sicher!«

»Schwörst du es bei deiner Axt?«

Tungdil schwor es. »Und?«

»Magie«, sagte Furgas, blinzelte ihm heiter zu und wischte sich über den Oberlippenbart.

»Ach«, machte der Zwerg enttäuscht und ärgerte sich, auf die vorgetäuschte Geheimnistuerei hereingefallen zu sein.

Als Boëndal aus seinem Traum aufschreckte, gab er sich alle Mühe, nicht aufzuschreien. Zugleich war er froh, seinen wirren nächtlichen Phantastereien entkommen zu sein.

Der nächste Schreck aber ließ nicht lange auf sich warten. Als er zur Sicherheit nach dem Krähenschnabel griff, war die Waffe verschwunden, und eine feingliedrige Hand schloss sich fest um seine.

Der Zwerg wandte sich um und schaute geradewegs in das schmale, grausame Gesicht einer Albin, die in voller Rüstung neben ihm hockte und ihn aus kalten schwarzen Augen anstarrte. Das kann nicht sein! Ich träume immer noch!

»Lass es dir eine Lehre sein«, raunte sie drohend, und schon fielen ihm die Lider zu, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte.

Als er geraume Zeit später wieder aufwachte, sprang er keuchend auf die Füße und schaute sich um. Seinen Krähenschnabel fand er dieses Mal sofort und ergriff ihn hastig.