Narmora kuschelte sich in den Armen von Furgas, Rodario hatte sich am schwach brennenden Feuer zusammengerollt und lag mit dem Gesicht in den Schuppen der Schleie.
Boëndal betrachtete die drei ganz genau, fand aber keinen Hinweis darauf, dass sie einen Scherz mit ihm trieben. Sein wild pochendes Herz erholte sich langsam von dem Schrecken, und er schwor sich, nie mehr eine abfällige Bemerkung über die Frau zu machen.
Er schaute nach Goïmgar, der auf dem Bruchstück sitzen und Wache schieben sollte. Der erhöhte Platz war leer. Fußspuren führten nach draußen, doch die Ponys und Pferde standen noch dort, wo sie angebunden worden waren.
Er wird doch nicht so verrückt sein, im Schneesturm flüchten zu wollen? Der Zwerg machte ein paar Schritte ins Freie. Sogleich stürzte sich der Schnee auf ihn, die Flocken versuchten, ihn niederzuringen. Er entdeckte eine Gestalt auf dem verschneiten Boden.
»Goïmgar!«, rief er und eilte zu ihm, doch der schmächtige Zwerg rührte sich nicht. Blut sickerte aus einer schmalen Wunde an der Stirn. Boïndil trug ihn in die Ruine, legte ihn neben das Feuer und warf zwei Scheite nach.
»Ich …«, sagte er Zähne klappernd, »bin hingefallen.«
Der Krieger legte ihm zwei Decken um. Beim Pissen beinahe erfroren, dachte er und behielt die Worte lieber für sich, um ihn nicht vollends zu entwürdigen. Ihm war es rätselhaft, wieso Tungdil ausgerechnet dieses Gemmenschneiderlein mitgenommen hatte, wo die Auswahl doch so groß gewesen war. Vraccas wird sich etwas dabei gedacht haben, dachte er bei sich, während er das Häuflein Elend betrachtete, das nach und nach auftaute. Eis und Schnee schmolzen aus Bart, Haaren und Augenbrauen.
Er beugte sich vor. »Goïmgar, wolltest du etwa da draußen sterben?«
»Nein«, kam es langsam.
»Pass besser auf dich auf. Du bist wichtig für unsere Mission.«
»Wichtig für den Hochstapler, um auf den Thron zu kommen, der ihm nicht gebührt«, erwiderte der bibbernde Zwerge feindselig.
Boëndal sparte sich seinen Atem; Goïmgar hatte es noch immer nicht begriffen, dass es um mehr ging als um das Amt des Großkönigs, und das trotz aller gut gemeinten Predigten Tungdils. So etwas Uneinsichtiges. Er verschließt sich nur aus Trotz der Einsicht und dem Verständnis für die Verantwortung, die auf uns lastet.
Goïmgar hatte aufgehört zu zittern und schaute an ihm vorbei in den rückwärtigen Teil des Raumes, in dem die Statuen standen. Er schluckte. »Wie viele?«, raunte er.
»Was?«
»Wie viele Statuen standen bei unserer Ankunft hier?«
Der Kämpfer überlegte. »Sieben. Drei kleine und vier größere.«
Goïmgar schloss die Augen. »Es sind acht«, flüsterte er, »davon fünf größere. Was machen wir jetzt?«
»Welche ist die neue?« Boëndals Finger fassten den Griff des Krähenschnabels, und sein Körper spannte sich.
»Es müsste die dritte von rechts sein …«
»Ich schlage gleich zu und schreie dabei laut, damit die anderen erwachen. Du nimmst deinen Schild und stehst mir bei, bis Boïndil an meiner Seite ist.«
»Ich?«
»Wer sonst?«
Seine Arme rissen die schwere Waffe urplötzlich in die Höhe und beschrieben eine halbkreisförmige Bewegung. Die lange Spitze hielt genau auf den Punkt etwas oberhalb der Hüfte zu. An dieser Stelle gab es keine Knochen, welche den Krähenschnabel aufhalten konnten, die Wunde würde tief und tödlich. Wie eine kleine, dünne Fahne folgte der Zopf seiner Bewegung.
»Vraccas!«, dröhnte sein Kampfruf.
Klirrend barst die Statue unter der Wucht des Schlages. Wie eine Spitzhacke fuhr der Krähenschnabel in das porös gewordene Gestein und brachte es zum Splittern. Das Kunstwerk, das einst von einem Bildhauer zu Ehren eines Menschengottes geschaffen worden war, zersprang in viele kleine Stückchen.
»Nein, von mir aus rechts«, korrigierte Goïmgar unglücklich, doch da war es bereits zu spät.
Die riesige, bis dahin leblose Gestalt erwachte zum Leben. Hinter dem Visier glommen violette Augen auf.
»Du Idiot!«, beschimpfte Boëndal ihn, ehe er zu einem neuerlichen Schlag ansetzte.
Das aber ließ sein titanischer Gegner nicht zu. Schneller, als der Zwerg es ihm wegen der Größe zutraute, war er heran. Die Pranken schlossen sich um seine Oberarme, dann wurde er emporgehoben und befand sich mindestens zwei Schritte über dem Boden. Scheppernd prallte die Waffe auf die gerissenen Platten.
Sein Bruder stand schon auf seinem Lager und erfasste die Lage mit einem Blick. »Lass ihn los!« Er riss die Beile hoch und wollte sich eben auf den übermächtigen Gegner werfen, als ihn ein gleißendes Licht blendete und er sich abwenden musste.
»Zurück, Boïndil!«, befahl ihm eine Frauenstimme. Die grelle Helligkeit wandelte sich zu einem schwachen Schimmern, das ausreichte, den Innenraum zu erleuchten.
Eine Frau in einem scharlachroten Mantel, auf dem die letzten Schneeflocken schmolzen, trat aus dem Schutz einer Statue und stellte sich an die Seite des Giganten; in ihrer Hand schwebte eine Lichtkugel. »Du kannst ihn absetzen, Djerůn. Ich denke, sie haben verstanden, wer wir sind.«
»Andôkai!«, rief Tungdil überrascht und senkte seine Axt. »Also doch!«
Sie schlug die Kapuze zurück, um ihnen ihr Gesicht zu zeigen.
»Die Stürmische?«, hakte Rodario nach, der nicht bemerkte, dass Fischschuppen auf seiner Wange hingen und ihn nicht gut aussehen ließen. »Andôkai die Stürmische? Die Maga? Ich dachte, sie sei tot?« Er betrachtete sie schamlos von oben bis unten. »Nein, sie lebt. Sie lebt! Verdammt!« Er wandte sich zu Furgas und Narmora. »Wir müssen das Stück umschreiben.«
»Stück?« Andôkai begab sich ans Feuer, ließ die Sphäre aus Licht verschwinden und hielt die Hände gegen die Flammen, während ihr Begleiter den Zwerg absetzte. »Von was redet er? Wer ist er überhaupt?«
»Schauspieler«, meinte Tungdil entschuldigend und konnte sich kaum zurückhalten, sie mit Fragen zu überhäufen.
»Oh? Dann wurde ich schon Gegenstand einer Aufführung? Ich hoffe, es ist eine Ehre …«
Rodario setzte zu einer schmeichelnden Erklärung an, wurde aber rüde daran gehindert.
»Was sollte das mit deinem Ungeheuer?«, wollte Boëndal aufgeregt wissen. »Wieso hat er uns bespitzelt? Ich hätte ihn um ein Haar getötet!«
»Er hat euch nicht bespitzelt, er lauerte. Und getötet hättest du ihn sicherlich nicht«, stellte sie herablassend richtig und legte ihren Mantel ab, damit die Wärme des Feuers schneller zu ihr drang. Darunter trug sie ihre Rüstung, dicke Winterkleidung und ihr Schwert. Die Vielzahl der Sachen ließ sie noch breiter wirken, als sie ohnehin schon war. »Er eilte auf mein Geheiß voraus, um die Albae abzufangen, die euch seit Mifurdania verfolgen.«
»Ich wusste es«, stieß Goïmgar unglücklich hervor.
Ingrimmsch lachte. »Das hätte mir noch gefehlt, dass eine Bestie uns vor anderen Bestien rettet.« Seine Finger streichelten die kurzstieligen Beile. »Wir machen sie schon fertig.«
»Wenn ihr sie bis jetzt nicht bemerkt habt, hättet ihr sie auch nicht wahrgenommen, wenn sie in euer Lager gekommen wären«, meinte die Maga ernst. »Djerůn hat zwei von ihnen drei Meilen von hier getötet, zwei weitere entkamen. Weil ich annahm, sie würden sich nicht länger auf eure Verfolgung beschränken, sandte ich ihn voraus.«
»Ich wusste es! Er war es, der mich in Königsstein vor dem Pfeil gerettet hat«, sagte Tungdil.
Andôkai nickte. »Der Alb entkam ihm leider.«
»Ich hätte die Spitzohren nicht entkommen lassen«, grummelte Boïndil. »Mir entkommt kein Gegner, und wenn ich hinter ihm herlaufen muss.«
»Er wurde von ihm angeschossen.« Sie schenkte ihm einen mitleidigen Blick. »Wenn du jedem hinterherrennst, ist es leicht, dich in eine Falle zu locken.«
»Ich lasse mich in keine Falle locken«, widersprach der Zwerg bockig und erklomm den umgestürzten Pfeiler, um seine alte Wachposition einzunehmen.