»Und das ist die Schauspielgröße schlechthin, der Unglaubliche Rodario. Er trägt seinen Titel zu Recht. In jeder Stadt hat er eine Liebschaft, nehme ich an«, erklärte er.
»Das passt. Wer stellte mich dar?«
»Das habe ich nicht mehr gesehen, ich musste einen Dieb verfolgen, ehrenwerte Maga.« Er winkte Rodario zu. »Wir können ihn fragen.«
Der Schauspieler eilte herbei und wurde von der Frau verhört. »Wir haben die besten Schauspieler des Geborgenen Theaters, ehrenwerte Maga, und so gab Narmora Eure Person, da ihre Kampfkünste gut genug sind, die Eurigen darzustellen.« Nach ihrer Aufforderung erzählte er ihr von dem Stück, bis sie ihn unterbrach.
»Wie bist du darauf gekommen, die Geschichte über den Vormarsch des Toten Landes und die Veränderung Nudins auf diese Weise darzustellen?«, wollte sie wissen.
»Ich habe viel darüber gehört, habe mir alte Legenden herausgesucht und das Ganze mit viel künstlerischer Freiheit gemischt«, erklärte er strahlend. »Findet es Euren Gefallen?«
»Es ist erstaunlich dicht an der Wahrheit, jedenfalls was die Veränderung Nudins angeht«, bemerkte Tungdil.
»Oh«, machte Rodario ehrlich verblüfft. »Dann hat die Kunst einmal wieder bewiesen, dass sie einen wahren Kern enthält, nicht wahr?!«
»Danke, du kannst wieder zu deinem Feuer gehen«, schickte ihn Andôkai unfreundlich weg. »Und vergiss nicht, das Stück umzuschreiben, da ich noch lebe.«
»Und wie Ihr lebt, ehrenwerte Maga«, sagte er zuckersüß und schaute in ihre blauen Augen, um ihr Herz zu erobern. »Ein Mann, der Eure …«
»Geh«, befahl sie ihm und schaute zu Tungdil.
Rodarios herrliches Lächeln erlosch abrupt. Fast hatte es den Anschein, das Kinnbärtchen hänge traurig zu Boden »Nur, weil Ihr darauf besteht«, sagte er ohne jeglichen Schmelz in der Stimme.
»Aha, der abgewiesene Pfau packt seine Federn ein und verschwindet«, lachte Bavragor, der die Szene beobachtet hatte. »An der wird er sich die Zähne ausbeißen, der Schauspieler.« Er suchte nach seinem Trinkschlauch, ein Lied vor sich hin summend.
»Wird er nicht«, meinte Furgas zuversichtlich, der sich nach hinten fallen ließ. »Rodario gibt selten auf, wenn er eine Frau haben möchte. Sie reizt ihn mit ihrer Spröde nur noch mehr.« Er gab Narmora einen Kuss und drückte sich eng an sie. »Eines Tages wird er aufhören, mit den Frauen zu spielen.«
»Wenn er nicht vorher von wütenden Ehemännern zu Tode geprügelt wurde«, fügte Boïndil johlend hinzu. »Er muss ein guter Läufer sein, denn kämpfen kann er nicht.«
Nach kurzer Rast bereiteten sie sich auf die Weiterreise vor. Auch Tungdil und die Maga unterbrachen ihr Gespräch. Djerůn trat zu ihr und beugte sich auf ein Knie, sie setzte sich in seine gefalteten Hände. Rodario sah es mit Missfallen, denn jetzt saß er wieder allein auf dem Pferd.
Die kommenden Tage ritten sie durch die Schneeverwehungen Weyurns und hatten Mühe, einen sicheren Weg zu finden. Wo die Pferde bis zum Bauch einsanken, kamen die Ponys gar nicht mehr durch; Djerůn trug seine Herrin, und ihr beider Gewicht zog ihn bis zu den Hüften ins kalte Weiß.
Mehr als einmal mussten sie umkehren und sich einen besseren Pfad suchen, aber das Rote Gebirge konnte ihnen nicht mehr entkommen. Deutlich sichtbar wies es ihnen mit seinen roten Hängen den Weg, und in den seltenen Augenblicken, in denen die Wintersonne durch das Wolkengrau drang, leuchteten sie auf, als stünden sie in Flammen.
Schließlich entdeckten sie den Eingang zu einem schmalen Tal, das sich auf einen tiefroten Berg zuschlängelte. Am Eingang und in allen fünf Biegungen des Tales ragten Mauern auf. Für Feinde gab es hier kein einfaches Durchkommen, die Zwerge vom Stamme Borengar waren vorsichtig.
»Wir haben es geschafft«, freute sich Tungdil. Erschöpft rieb er sich über den Bart, und das dünne Eis, das sich in den Haaren unter der Nase gebildet hatte, löste sich. Seine Haut fühlte sich kalt an, seine Füße spürte er fast nicht mehr, und wenn er sein Kettenhemd länger mit bloßer Hand berührt hätte, würde sie festfrieren. Ein gutes Bier wird die Kälte aus meinem Körper vertreiben. »Da vorne liegt der Eingang!«, rief er laut.
Die Kriegerzwillinge blickten skeptisch auf die sechs Hindernisse, die zu überwinden waren. »Ich frage mich, warum sie diese vielen Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben«, machte Boëndal sein Unbehagen angesichts der vielen Mauern deutlich. Er hatte seinen Zopf wie einen Schal um den Hals gewickelt, um sich vor der Kälte zu schützen. »Man könnte meinen, dass die Kreaturen Tions von dieser Seite und nicht von Westen gegen den Durchgang anrennen.«
»Können wir darüber nachdenken, wenn wir im Warmen angelangt sind?«, bat Rodario zähneklappernd. »Meine Zehen lassen sich nicht länger hinhalten und drohen zu erfrieren.« Auch bei ihm hingen kleine Eiszapfen unter der Nase.
»Schauspieler sind wie kleine Mädchen«, meinte Bavragor abschätzig, »oder wie Schimmerbart. Was überhaupt keinen Unterschied macht.«
»Trink doch noch etwas von deinem Branntwein, damit du besoffen in den Schnee fällst und stirbst«, zischte Goïmgar wütend.
»Du wirst mit deinen zittrigen Händen nicht einen einzigen Widerhaken für die Klinge passend fertigen, das spüre ich.«
»Was du spürst, das ist Drücken zwischen deinen Backen, weil du ständig die Hosen voll hast, mein Kleiner«, gab er zurück und würdigte ihn nicht mal eines Blickes.
Boëndal wies sie an, in einer kreisförmigen Formation zu reiten. Vorsichtig und mit gezückten Waffen bewegten sie sich durch das Tal und näherten sich schließlich dem ersten verwitterten Bollwerk, das vierzig Schritte vor ihnen in den Winterhimmel ragte. Ein eisernes, runenverziertes Tor versperrte ihnen das Weiterkommen. Die Ersten kümmerten sich nicht sonderlich um das Verzieren der Steine, sondern hatten einfache Quader aufeinander geschichtet.
Tungdil las die alten Zeichen laut vor, das Portal blitzte auf, die Flügel schwenkten zurück und erlaubten ihnen den Eintritt. »Wenn nur alles so einfach wäre wie Lesen und Schmieden.« Der Tross setzte sich in Bewegung.
»Für dich ist es einfach. Wissen lohnt sich zuweilen, Gelehrter«, meinte Boëndal lachend und deckte ihnen den Rücken. »Du beweist es mir immer wieder. Ohne dich …« Die Ringe seines Panzerhemds klingelten leise. Er verstummte abrupt, und seine Augen weiteten sich. »Was, bei Vraccas …«, stammelte er und langte hinter sich.
Ein schwarzer Pfeil ragte aus seinem Rücken, und schon zischte ein zweiter heran, durchbohrte seine Hand und die Rüstung und verschwand in seinem Leib. Das Geschoss flog mit solcher Wucht, dass die Spitze vorn wieder austrat. Ächzend rutschte Boëndal aus dem Sattel.
»Halt!«, rief Rodario voller Schreck, um die anderen aufmerksam zu machen, und zügelte sein Pferd. Er hörte, wie etwas gefährlich nahe an seinem Hals vorbeiflog und statt ihn das Tier in den Nacken traf. Wiehernd brach es zusammen, und der Schauspieler verschwand in einer weißen Schneestaubwolke.
Djerůn wandte sich um und erhielt ebenfalls einen Treffer. Mit einem seltsamen Geräusch durchschlug der lange Pfeil die Rüstung knapp neben Andôkais Brust, doch selbst jetzt hörte man hinter dem Helm keinen Laut hervordringen. Sofort drehte er sich um, damit seine Herrin nicht von einem der Geschosse getroffen wurde.
Die Maga fluchte laut und wirkte einen Zauber.
»Was ist?«, rief Furgas und wendete wie alle anderen der Gruppe.
»Da!«, machte Narmora sie auf die hoch gewachsene Gestalt mit den langen blonden Haaren am Eingang des Tales aufmerksam. Der Alb legte soeben den nächsten Pfeil auf die Sehne des langen Bogens. Das Geschoss flog heran und hielt geradewegs auf Tungdil zu.
Er wollte aus dem Sattel springen, um dem gefiederten Tod zu entkommen, verhedderte sich dabei aber in den Steigbügeln, sodass er nicht mehr rechzeitig ausweichen konnte. Leise sirrend flog der Pfeil heran, um eine Fingerlänge vor ihm regungslos in der Luft zu stehen, die Spitze genau auf sein Herz gerichtet. Er erschauderte.