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Da drangen Goïmgars verzweifelte Schreie an sein Ohr. »Verzeih«, sagte er verlegen und stemmte sich auf, um nach ihm zu sehen.

Der schmächtige Zwerg pendelte wimmernd an der Mauerkrone. Die Hände suchten auf der glatten Oberfläche verzweifelt nach Halt, doch das Gewicht seines Rucksacks und der Rüstung zogen ihn unnachgiebig nach unten. »Tut doch was! Ich stürze ab!«

Tungdil rannte los. Bavragor lag wenige Schritte von Goïmgar entfernt auf der Brüstung, erhob sich brummend und hielt sich den Schädel. »Es muss ein Oger gewesen sein, der mir hinterrücks einen Tritt verpasst hat.« Erst jetzt bemerkte er den Kampf des Gefährten, warf sich nach vorn und griff nach dessen Arm.

Zu spät.

Goïmgars entsetztes Gesicht verschwand, sie hörten sein gellendes Aufschreien, das leiser und leiser wurde.

»Bei Vraccas!«, war alles, was der Steinmetz hervorbrachte. Boïndil, Tungdil und Balyndis erreichten die Stelle, nur um hilflos zusehen zu müssen, wie die Gestalt immer kleiner und von der Dunkelheit verschlungen wurde.

»Beiseite!« Plötzlich schnellte Andôkai an ihnen vorbei, sprang mit einem gewaltigen Satz auf die Mauer und stieß sich kraftvoll ab, die Arme wie ein Klippenspringer ausgebreitet. Ihr scharlachroter Mantel wehte wie eine Standarte hinter ihr her, dann tauchte auch sie in die Dunkelheit ein.

Die Zwerge hörten den Stoff flattern und knattern, doch es gab nichts, was sie hätten tun können. Rodario entzündete eine Fackel, doch ihr Schein reichte nicht aus, um die Umgebung ein wenig zu erhellen.

Nach langer Zeit glomm ein winziges hellblaues Licht weit unter ihnen in der Schwärze auf.

»Ist sie aufgeschlagen und geplatzt?«, fragte Boïndil. »Ist das Leuchtende ihre Seele?«

Tungdil schaute zu Djerůn, der statuenhaft wie immer dastand. Seinem Verhalten nach zu urteilen sorgte er sich nicht um seine Herrin, was dem Zwerg wiederum Hoffnung machte. Sie wird wissen, was sie tut, denke ich.

»Das Licht kommt näher!«, rief Balyndis aufgeregt. »Es fliegt nach oben!«

Ein heftiger Wind schoss aus der Tiefe empor und trug zwei Gestalten mit sich. Andôkai und Goïmgar ritten auf der Böe, die sie sanft auf der Brücke absetzte und dann erstarb.

Die langen blonden Haare der Maga hingen ihr zerzaust ins Gesicht, der schimmernde Bart des Zwergs sah aus, als hätte ihn eine Schar Mäuse auf der Suche nach Futter durchwühlt. Sein Gesicht war leichenblass, aber sonst fehlte ihm nichts.

»Das war … unbeschreiblich«, staunte Rodario. »Ich fasse es nicht, ehrenwerte Maga! Wie selbstlos und mutig von Euch, dass Ihr Euer eigenes wertvolles Leben in die Waagschale werft, um ihn zu retten.« Er bedachte Goïmgar mit einem entschuldigenden Blick. »Das soll natürlich nicht bedeuten, dass dein Leben weniger wert ist als ihres.«

»Du solltest nach der Lore sehen«, wies Andôkai Furgas an, als wäre nichts geschehen, richtete ihren Mantel und flocht den Zopf neu. »Kannst du sie flicken?«

Der Mann ging zu dem Gefährt und schüttelte schon von weitem den Kopf. »Die Räder sind verbogen und laufen nicht mehr gerade.« Er bückte sich. »Die Trasse ist bearbeitet worden, wir hatten Glück, dass es uns nicht ebenfalls aus der Spur warf.«

»Das Gold und das Tionium!«, rief Ingrimmsch, der den Wagen umrundete, um nach der Ladung zu sehen. »Sie sind verschwunden!«

Missmutig blickte Bavragor in den Abgrund. »Ich kann dir sagen, wo sie abgeblieben sind. Sie werden irgendwo da unten sein und immer noch fallen, bis sie am Ende der Welt angekommen sind.« Er schaute die Zauberin an.

»Nein«, wehrte sie den stummen Vorschlag ab. »Wir werden eine andere Lösung finden müssen.«

Sie schwiegen. Nun fehlten ihnen zwei wesentliche Bestandteile, um die magische Waffe anfertigen zu können.

»Ich wusste es, dass wir scheitern«, meinte Goïmgar klagend, aber nicht ohne Genugtuung.

»Der kommt mir gerade Recht. Eigentlich können wir ihn wieder hinunterwerfen«, bemerkte Boïndil knurrend. »Jetzt, wo uns die Barren fehlen, brauchen wir auch keinen heulenden Gemmenschneider mehr.«

»Und wenn schon?!«, versuchte Tungdil die gedrückte Stimmung zu heben. »Niemand kann mir weismachen, dass wir in einem Zwergenreich nicht genug Gold und Tionium finden, um die Feuerklinge herzustellen.«

»Und schon haben wir eine Lösung«, nickte ihm Andôkai zu, die mit einem letzten Handgriff den Sitz ihrer Lederrüstung korrigierte.

»Sehr schön. Der Schreck ist überwunden, es geht weiter. Verteilt euch neu auf die Loren«, ordnete Tungdil an und fühlte sich in seiner Rolle als Anführer immer wohler. »Wir wechseln uns mit Schieben ab, bis wir zur nächsten abschüssigen Stelle kommen.«

»Nicht nötig«, sagte die Maga und deutete auf Djerůn.

Das Geborgene Land, das Zwergenreich des Zweiten, Beroïn, im Winter des 6234sten Sonnenzyklus

Dieses Mal rückte das Heer Nôd’onns über die Seiten an. Als die Belagerungstürme vorwärts walzten, stanzten die Geschosse der Zwerge Löcher in die nassen Menschenhäute und das Holz dahinter oder rissen Balkenstücke heraus, ohne jedoch alle zum Einsturz bringen zu können.

Drei der Konstruktionen standen schließlich vor den Zinnen. Die Sturmrampen klappten auf, und die Orks preschten schreiend aus dem Bauch der Türme, doch gegen die grimmigen Zwerge gab es kein Durchkommen.

Balendilín dirigierte seine Verteidiger geschickt genug, dass es nicht einem einzigen Angreifer gelang, durch die Reihen zu kommen.

»In den Turm, und gießt Petroleum über das Holz«, befahl er, nachdem die erste Angriffswelle verebbt war und die nächsten Bestien in die Höhe stiegen.

Sein Plan gelang. Bald darauf loderten die Türme in hellen Flammen, das harzreiche Holz brannte wie Zunder, die Stricke rissen, und die Belagerungsgeräte stürzten polternd in sich zusammen. Quiekend zogen sich die Angreifer zurück.

Dieses Mal gab es allerdings Verluste. Vierzehn Zwerge waren von den Pfeilen eines Albaescharfschützen niedergestreckt worden, der sich auf der Plattform des letzten Sturmturmes versteckt hatte. Die züngelnden Flammen schreckten ihn nicht; selbst als sein Gewand schon brannte, sandte er seine Geschosse gegen die Verteidiger. Erst als die Sehne des Bogens durchgeschmort war, endete der Beschuss.

Trotz der Toten war die Stimmung unter den Zwergen gut. Nichts wies darauf hin, dass Ogertod fallen könnte.

»Ihr habt gut gekämpft«, lobte Balendilín sie. »Die gefallenen Brüder werden wir niemals vergessen, ihre Namen werden in Gold in die Wand der Ratshalle geschrieben werden.« Seine Augen schweiften über die Ansammlung der bärtigen Verteidiger, die verschwitzt, aber glücklich und noch lange nicht erschöpft zu ihm aufschauten. »Vraccas hat …«

»Orks!«, unterbrach ihn der Schrei eines Zwergs, der auf dem Beobachtungsturm stand und sich kurz umgewandt hatte. »Die Orks sind in unseren Mauern!«

Es waren hunderte, die sich brüllend gegen jeden Widerstand warfen. Bald hatten sie das erste Plateau vollständig besetzt. Sie schwenkten ihre Schilde, Äxte, Schwerter und Lanzen, um die Zwerge zu verhöhnen.

Die Tunnel! Sie sind durch die Tunnel gelangt! »Wir müssen sie vernichten, ehe sie die Hohe Pforte öffnen! Los, ihr Kinder des Schmieds!«, peitschte Balendilín seine Krieger an und riss sie aus ihrer Schreckensstarre. »Kein Ork soll diesen Tag überleben!«

Ein Ruck ging durch die Streitmacht der Zwerge. Sie stürmten den Hang hinauf und warfen sich gegen die Urfeinde ihres Volkes. Ihr einarmiger König stand mitten unter ihnen und war ihnen ein Beispiel an Tapferkeit.

Da trat ein Oger aus der Halle, die Lippen an ein riesiges Rufhorn gesetzt, und ein durchdringender Ton erschallte, der von der anderen Seite der Festung mit lautem Jubel beantwortet wurde. Der zweite Sturmangriff der Belagerer begann.

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Das Geborgene Land, das Zwergenreich des Zweiten, Beroïn, im Winter des 6234sten Sonnenzyklus