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Sie folgten seinem Fingerzeig und entdeckten die Wesen, die wie aus dem Nichts hinter Felsen hervorgekommen waren und von oben auf sie herunterschauten. Bei mehr als dreihundert hörte Tungdil auf, sie zu zählen.

Es wurden immer mehr. Kein Zweifel, sie sahen aus wie Zwerge und Zwerginnen, mal trugen sie Rüstungen, mal gewöhnliche Kleider, mal fast nichts außer einer Lederschürze. Krieger, Schmiede, Handwerker, die bleichen Gesichter blickten anklagend zu ihnen herab, und das Klopfen wollte nicht nachlassen. Gleichzeitig hoben sie die Arme und deuteten in die entgegengesetzte Fahrtrichtung der Gefährten.

»Sie wollen, dass wir gehen«, wisperte Goïmgar. »Lasst uns umkehren, bitte. Ich schwöre, ich laufe freiwillig quer durchs Tote Land und kämpfe gegen die Orks.«

Geister. Tungdil spürte einen eisigen Schauer über den Rücken laufen, als er die hohlen Blicke der Gestalten sah. Das rötliche Licht der Lava tauchte die weißen Gesichter in blutigen Schein. Lot-Ionans Bücher berichteten von Spukgestalten, und nun sah er sie leibhaftig vor sich. Ihr werdet mich dennoch nicht abhalten.

Der Spuk endete schlagartig, sie rauschten in den nächsten Tunnel und ließen die Halle mit dem See und den Gespenstern hinter sich. Schließlich verebbte auch das Hämmern.

Das Geborgene Land, das Zwergenreich des Zweiten, Beroïn, im Winter des 6234sten Sonnenzyklus

Balendilín hatte mit seinen schlimmsten Befürchtungen Recht behalten.

Als er und seine Krieger das Bollwerk an der Hohen Pforte erreichten, fanden sie die ersten erschlagenen Zwerge auf den Steinplatten liegen; ihr Blut lief über den grauen Stein. Sie hatten nicht einmal die Zeit gehabt, die Waffen zu ziehen und sich zur Wehr zu setzen, was dafür sprach, dass sie von einem Freund getötet wurden. Einem Freund, den Nôd’onn verhexte und zum Verräter machte! Verfluchte Magie!

Der Wind trug ihnen den Gestank von Orks entgegen, sie hörten das Rattern der Zahnräder und das Rumpeln der Steinplatten, die Stück für Stück aneinander gefügt wurden. Der Verräter war schneller als sie gewesen.

»Lauft!«, rief Balendilín. Mehr musste er nicht sagen, denn jeder seiner Begleiter wusste, worum es ging.

Sie rannten die Treppen der Befestigung entlang, um in den Raum zu kommen, von dem aus die Brückenmechanik in Gang gesetzt wurde. Das erwartungsvolle Geschrei der Kreaturen, die auf der anderen Seite der Schlucht standen und zusahen, wie der Überweg für sie zusammengebaut wurde, gellte in ihren Ohren.

Plötzlich standen sie vor einhundert Orks, große, kräftige Bestien und bis an die Zähne bewaffnet, mit denen sie sich ein heftiges Gefecht liefern mussten, um bis zu der entscheidenden Kammer vorzudringen.

Beide Verbände fochten mit enormer Verbissenheit, jeder wollte den Tod des anderen mehr denn je. Rotes und grünes Blut spritzte, Gliedmaßen und Zähne flogen durch die Luft, und zu dem brachialen Kampf lärm mischte sich das Heulen der wartenden Horden jenseits des Grabens, deren Gier wuchs und wuchs.

Balendilíns Arm wurde immer schwerer, das ständige Zuschlagen erschöpfte ihn mehr und mehr, doch noch siegte sein Trotz über das müde Fleisch. »Macht sie nieder!«, schrie er. »Wir müssen die Brücke zerstören, oder alles ist verloren!«

»Es ist bereits alles verloren, Balendilín«, hörte er die Stimme Bislipurs von den Wänden widerhallen, und sie klang nicht so, als bedauerte er das Gesagte. »Die Clans der Zweiten werden zusammen mit den Besten der Vierten untergehen. Ein Kinderspiel, nachdem die Orks von den Tunneln erfahren haben.«

»Du warst es?« Der König schlug einem Angreifer die Axt in die widerliche Fratze, Knochen brachen, das Gesicht wurde zu einer blutenden Masse, und der Ork stürzte. Der Eingang war frei, und die Zwerge stürmten hinein, wo ein letztes Dutzend Feinde auf sie wartete und die Mechanik verbissen verteidigte. Balendilín blieb keuchend zurück. »Warum?«

»Ich hatte es anders vorgesehen, aber deine Posse um den falschen Anwärter verdarb mir meine Pläne. Du und der Großkönig zwangen mich zu improvisieren. Nun, so wird es auch gehen. Was die Elben im Krieg gegen euch geschafft hätten, übernehmen nun die Orks. Wahrscheinlich sogar viel besser.«

Balendilín versuchte zu erkennen, wo Bislipur stand, doch das Echo war trügerisch. »Ich werde dich für deinen Verrat eigenhändig umbringen!«, schwor er voller Hass.

Als Antwort erhielt er ein gehässiges Lachen. »Das habe ich schon so oft gehört, aber keiner konnte seine Drohung wahr machen. Auch du wirst es nicht schaffen, König Balendilín, der bald ohne Reich und Volk sein wird.«

Er kümmerte sich nicht weiter um den Verräter, sondern stürmte in den Festungsraum, um seinen verbliebenen Kämpfern beizustehen. Schließlich wagte er es, einen raschen Blick aus der Schießscharte zu werfen und nach der Brücke zu sehen.

Sie hatte sich bereits zu zwei Dritteln ausgefahren, und die ersten ungeduldigen Bestien versuchten, sie mit einem Sprung zu erreichen. Einige stürzten bei ihrem Unterfangen in die Schlucht, andere gelangten bis zur Kante und klammerten sich daran fest, um dann in die Tiefe zu gleiten.

Nein! Es darf ihnen nicht gelingen. Mit einem Schrei warf sich Balendilín gegen den letzten Ork und trieb ihm die Axt mit all seiner Kraft in die Seite. Die Schneide fraß sich durch die eingefettete Rüstung, dunkelgrünes Blut schoss in hohem Bogen heraus. Er riss die Waffe aus der Wunde, wehrte den Schwerthieb seines Gegners ab und hackte ihm nochmals in dieselbe Stelle. Der Feind taumelte in seinen dritten Schlag und starb.

Erst jetzt sah Balendilín die vielen verbogenen Hebel und abgeschlagenen Griffe, die in ihrer intakten Form dazu dienten, die Brücke zu steuern.

»Sie ist ausgefahren«, erstattete ihm ein Zwerg Bericht. »Die Bestien stürmen das Land, mein König.«

Balendilín schaute gelähmt auf die zerstörte Apparatur, die über das Schicksal seines Stammes und des Geborgenen Landes entschied. Alles Rütteln half nichts, der passende Hebel saß fest.

»Vraccas, das darf nicht sein!«, schrie er seine Verzweiflung laut hinaus und stemmte sich mit aller Gewalt dagegen. Schließlich schlug er den Hebel ab, rammte seine Axt mit Wucht in den Schlitz und gebrauchte sie als Ersatz. Dann schaute er hinaus.

Es gelang! Die Stützpfeiler fuhren zurück, die Brücke gab in der Mitte nach. Das Knacken und Krachen der berstenden Steinplatten drang bis zu ihnen, und dazu mischte sich das ängstliche Aufkreischen der Kreaturen, die sich auf dem Überweg befanden und verstanden, dass sie in den Abgrund stürzen sollten. Dann brach die Brücke endgültig und riss die Bestien in den Tod. Zurück blieben hunderte von wartenden Orks, die am Graben der Hohen Pforte standen und ihre Enttäuschung laut herausschrien.

»Du bist verletzt, König«, machte ihn ein Krieger aufmerksam, und Balendilín sah, wie Blut aus seiner linken Seite sickerte. Das Kettenhemd wies einen klaffenden Schnitt auf, der vom Schlag eines Orks stammte.

»Es ist nichts«, knurrte er und riss seine Axt aus der Apparatur. »Lasst uns die Scheusale vernichten, die es bis über die Brücke schafften, und zu den anderen zurückkehren«, erteilte er neue Befehle. »Danach machen wir uns auf die Suche nach dem Verräter Bislipur.«

Auf dem Rückweg stellten sie fest, dass es keinen sicheren Fleck mehr im Blauen Gebirge gab. In jedem Korridor, in jedem Gang, in jeder Halle trafen sie auf kleinere und größere Gruppen Orks und Bogglins, die sich Scharmützel mit den Zwergen lieferten.

Wie lange werden wir uns noch gegen sie halten können?, dachte er. Vraccas, sende uns Beistand!

Als sie sich der Vorhalle zu den Schnelltunneln näherten, hörte Balendilín die animalischen Schreie und das Aufbrüllen von Orks, die in großer Zahl niedergemacht wurden.

»Verflucht, ich sagte, dass sie aufpassen, aber nicht angreifen sollen! Es sind zu viele für einen offenen Kampf.« Er hastete mit seinen Leuten vorwärts, um den zurückgelassenen Wachen beizustehen, und entdeckte etwas völlig Unerklärliches.