»Das nenne ich einmal eine Auswahl«, meinte Rodario unglücklich. »Leider haben wir es eilig und nicht den ganzen Tag, um wie die Mäuse herumzurennen und den richtigen Durchgang zu suchen.«
»Wir sollten den Gang wählen, in dem wir die wenigsten Fußspuren finden«, schlug Tungdil vor. »Die Orks werden kaum ständig zum Feuersee gehen. Da gibt es für sie nichts von Bedeutung.«
»Guter Einfall«, nickte Ingrimmsch und machte sich gleich daran, die vielen Gänge zu untersuchen. Narmora, Djerůn und Andôkai unterstützten ihn dabei. Währenddessen wagten es die anderen, sich einen geschützten Platz in der Halle zu suchen und sich auszuruhen.
Rodario schrieb sich einige Dinge auf, ehe er sich mit Furgas das Essen teilte. Bavragor stand einfach nur da, die Augen blickten teilnahmslos geradeaus. Goïmgar versteckte sich halb hinter seinem Schild, kaute auf getrocknetem Würzfleisch herum und achtete sorgsam auf die Umgebung. Die vielen Ausgänge, die in die Halle mündeten, waren ihm nicht geheuer.
»Ich möchte wetten, er macht sich Gedanken darüber, was mit Gandogar geschehen ist«, sagte Balyndis leise zu Tungdil.
»Da ist er nicht der Einzige«, gab er nachdenklich zurück. »Wir haben unterwegs nichts von einer zweiten Zwergengruppe gehört, und bei deinem Stamm ist er ebenfalls nicht aufgetaucht. Ich hoffe, dass ihm nichts zugestoßen ist.« Seine Besorgnis war echt; müde schloss er die Augen, nur um sie mit einem Ruck wieder zu öffnen. Er knöpfte den Pelzmantel auf. Im Stollen war es lange nicht so kalt wie im Freien, und die Wärme machte ihn noch müder.
»Nein, schlaf ruhig«, beruhigte ihn die Zwergin. »Ich halte Wache und wecke dich, falls sie etwas gefunden haben.«
»Ich bin der Anführer, ich dürfte nicht schlafen.«
»Unausgeschlafene Anführer begehen Fehler«, hielt sie energisch dagegen und drückte ihn an den Schultern nach hinten, bis er sich sträubend umsank. »So, nun liegst du. Schlaf und träume von der Rettung unserer Heimat.« Balyndis lächelte ihm zu, wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wandte sich der Halle zu.
Sie saß dicht neben ihm, eine Hand auf den Griff ihrer Axt gestützt, und blickte wachsam umher. Sie war das Abbild einer Kriegerin.
»Der Weg muss es sein.« Boïndil hatte seine Wahl getroffen und war, was niemanden verwunderte, nicht mehr davon abzubringen.
»Fangen wir einfach mit ihm an«, sagte Tungdil und gab das Zeichen zum Aufbruch. »Solltest du falsch liegen, probieren wir den aus, den Andôkai vorschlug.«
Die Zeit der Ruhe war vorüber, sie hatten sich alle einen kurzen Schlaf gegönnt, um für den Kampf gegen das Drachenweibchen ausgeruht zu sein.
»Sie heißt Argamas und ist das Weib des großen Drachen Branbausíl, der im Grauen Gebirge lebte«, erklärte Tungdil Balyndis. »Die Fünften nahmen seine weißen Flammen und entzündeten damit ihre Esse, ehe sie ihn töteten und seinen Hort eroberten. Argamas flüchtete in den Feuersee …«
»… und kam nie wieder zum Vorschein«, ergänzte Goïmgar erleichtert. »Um ehrlich zu sein, ich wäre froh, wenn die Geschuppte in dem See bliebe. Unsere Strategie klingt mir nicht so, als könnten wir damit Erfolg haben. Drachenschuppen sind hart wie Stahl.«
»Alles, was wir benötigen, ist ihr Feuer, nicht ihr Leben«, sagte Andôkai, die sich wenig sorgte. »Gerade du müsstest dich darüber freuen.«
»Und ich bedauere es, dass wir dem Viech nicht den Garaus machen. Etwas Größeres zu erlegen wird im Geborgenen Land schwer möglich sein«, meinte Ingrimmsch beleidigt, weil ihn keiner verstehen wollte. »Drachen! Wo gibt es sie heute denn noch? Da müsste man doch jede Gelegenheit nutzen, die sich einem Beil bietet, oder?«
»Nein, die ehrenwerte Maga spricht wahr«, leistete Rodario ihr Beistand.
»Dass du nicht der Mutigste sein kannst, ist mir klar«, wehrte ihn Boïndil ab. »Aber, Balyndis, wie sieht es mit dir aus? Lass uns den Drachen …«
»Sei still«, verlangte Tungdil. Er roch Schwefel, die Luft im Gang erwärmte sich. Nach unzähligen Treppenstufen abwärts und zahlreichen Röhren näherten sie sich ihrem Ziel. »Keinen Ton mehr, bis wir uns umgeschaut haben. Ich will Argamas nicht früher als notwendig bei ihrem Bad in der Lava stören.«
Der schmächtige Goïmgar klammerte sich an den Griff seines Schildes. »Mir kam der Gedanke, dass wir sie bitten könnten, uns zu helfen. Drachen sind schlau, und vielleicht ist sie einsichtig.«
Ingrimmsch schaute ihn vorwurfsvoll an. »Du willst mir das letzte bisschen Spaß auch noch nehmen, indem du sie anbettelst, uns das Feuer freiwillig zu geben?«, schnaubte er. »Niemals, hörst du!?«
»Zwerge haben ihren Gatten getötet. Was glaubst du, wie ihre Hilfsbereitschaft aussehen würde?«, meinte Tungdil. »Wir möchten nicht, dass einer von uns stirbt, deshalb wird es vollkommen ausreichen, wenn wir sie nur zum Feuerspeien bringen, um uns etwas davon zu nehmen.« Er klopfte auf die mitgeführte Fackel.
»Schlimm genug«, grummelte Boïndil. »Nun vermiest man mir auch noch diese Herausforderung.«
Sie verließen den Gang und wurden in dunkles, gelbliches Licht getaucht. Es roch nach faulen Eiern, das Luftholen gelang nur mit Mühe und verursachte ein Stechen, doch der Anblick entschädigte sie für die Unannehmlichkeiten.
Eine Hitzewelle schlug ihnen vom Ufer des Sees entgegen, dessen flüssige Lava unaufhörlich brodelte, blubberte und Blasen an der Oberfläche warf. Mal blähten sie sich weit auf, ehe sie barsten und ihre glühenden Tropfen verspritzten, mal vergingen sie einfach und sanken in sich zusammen.
Die Ausmaße des Sees konnte Tungdil schwer schätzen, aber im Durchmesser betrug die kochende Fläche mindestens viertausend Schritt. Vereinzelt ragten Inseln aus der Lava, und von der Decke hingen bizarre Basaltzapfen, die sich im Lauf der Zyklen durch emporgeschleudertes und abgekühltes Magma gebildet hatten. Sie glommen im Schein des Sees honigfarben.
»Darin soll ein Drache leben können?«, staunte Goïmgar, der von dem Anblick ebenso überwältigt war wie die anderen. »Gut, dass wir nicht mit ihr kämpfen. Was können unsere Waffen gegen ein Wesen ausrichten, das in diesem Inferno herumschwimmt?« Heimlich hoffte er, dass sie einfach untertauchte und sich nicht zeigte.
Djerůn hob sein Schwert und deutete auf einen Punkt etwa eintausend Schritt von ihnen am Ufer entfernt, um Andôkai auf seine Entdeckung aufmerksam zu machen. »Wir müssen uns um Argamas keine Sorgen mehr machen«, sprach sie. »Schaut dorthin.«
Entsetzt erblickten sie die Überreste des gigantischen Gerippes, das der Form nach einem Drachen gehörte.
VII
Ingrimmsch scharrte mit den Stiefeln in den gewaltigen Knochenüberresten herum. Dazwischen lagen gebrochene Pfeilstücke, Lanzen, Speere und kleinere Knochen. »Schweineschnauzen. Sie haben den Drachen getötet. Das muss schon ein paar Zyklen her sein, wenn ich mir das so ansehe.« Abschätzend begutachtete er das Gerippe, und seine Augen spiegelten Wehmut. »Es muss ein guter Kampf gewesen sein.«
Goïmgar zuckte mit den Schultern. »Es hat keinen Sinn! Lasst uns nach Hause gehen. Ich wäre gern bei meinem Stamm, wenn es losgeht und Nôd’onn vor den Toren unseres Reiches steht.«
»Du und kämpfen?«, höhnte Boïndil und prüfte die Festigkeit eines Drachenknochens. Die Rippe hielt seiner Kraft stand.
»Ich möchte bei meinem Volk sein, wenn es zu Ende geht, das ist alles. In der Gemeinschaft eines kampfgierigen Idioten wie dir, eines Hochstaplers und eines untoten Zwerges zu sterben, das will ich nicht.« Er nickte der Schmiedin zu. »Gegen dich habe ich nichts.«
»Und wenn wir die Esse mit einfachem Feuer in Gang setzen?«, meinte Furgas.