Tungdil schaute über die Lava. »Wir haben keine andere Möglichkeit. Wir müssen es versuchen«, sagte er. »Was bleibt uns denn sonst? Ich kehre nicht mit leeren Händen zurück und sehe Nôd’onn bei seinem Krieg einfach nur zu.« Er betrachtete die tänzelnden Flämmchen auf der Lava genauer und wischte sich den frischen Schweiß aus den Augen. Er kannte Feuer aus seiner Esse in allen Farben, doch dieses sah anders aus. »Täusche ich mich, oder brennen die Flammen heller?«, fragte er Balyndis, die sich wie er am besten von allen mit Feuer auskannte.
»Es sieht so aus«, gab sie ihm Recht und verstand, auf was er hinauswollte. Sie nahm eine Fackel, entzündete sie an einer der zuckenden Flammen, und tatsächlich spendete sie mehr Licht als gewöhnlich.
»Narmora, versuche, ob du sie mit deinen Fertigkeiten löschen kannst«, bat Andôkai die Halbalbin.
Die Schwarzhaarige nickte, schloss die Augen und sammelte ihre Konzentration, um sie gleich darauf wieder zu öffnen. Die Fackel brannte noch immer. »Es geht nicht«, gestand sie voller Verwunderung. »Gewöhnliches Feuer …«
»Eben«, lachte die Maga erleichtert. »Tungdil hatte mit seiner Vermutung Recht. Argamas hat dem See etwas von ihrem Drachenbrodem hinterlassen.«
Balyndis gab Tungdil vor überschwänglicher Erleichterung einen Kuss auf die Wange, und er grinste sie verlegen an »Wir haben das, was wir brauchen«, sagte er fest. »Wir entzünden alle Fackeln und gehen zurück. Die Esse wartet darauf, zum Leben erweckt zu werden.« Er ging los und strebte auf den Tunnel zu, aus dem sie gekommen waren.
»Herzallerliebst«, kommentierte Rodario. »Ein Glück, dass es hier so warm ist. Meine Tinte läuft herrlich aus der Feder, und dieser Augenblick voller überwältigender Gefühle schreit danach, festgehalten zu werden.« Im Gehen schrieb er weiter. »Furgas, mein lieber Freund und Compagnon, die Dimensionen unseres Abenteuers drohen allmählich den Rahmen eines gewöhnlichen Theaterstückes zu sprengen. Wir könnten bereits vormittags anfangen«, grübelte er. »Doppelter Eintritt, mehr Statisten. Schaffen wir das?«
Furgas betrachtete den Feuersee noch einmal, bevor sie in den Stollen zurückkehrten und sich an den Aufstieg machten. »Den lassen wir weg«, entschied er. »Die Kohle, um die Hitze zu simulieren, wäre zu teuer.«
»Ja, das ist schon besser. Wir sollten sparsam vorgehen. Außerdem, bei dem Gestank würden sich die Spectatores reihenweise übergeben.«
»Es könnte auch an deiner Schauspielkunst liegen«, bemerkte Boïndil trocken und drückte ihm eine Fackel in die Hand. »Nimm das. Du wirst nicht kämpfen müssen und hast die Hand für diesen Ballast frei. Und wehe, du lässt sie verlöschen.«
»Ich schwöre bei allen Windrichtungen, den Göttern und sogar dem Bösen, dass, wenn mir dieses Missgeschick passieren sollte, was wiederum alle Gottheiten und Wesenheiten verhindern mögen, auf der Stelle und sofort, ganz gleich, wo ich mich befinde, der Blitz in dich fahren soll«, sagte er feierlich.
Der Zwerg nickte zufrieden, bis sich ihm der Sinn der gestelzten Worte erschloss. »Sehr lustig«, knurrte er und beließ es dabei, während sich Goïmgar und Rodario ausschütten wollten vor Lachen. »Das Lachen wird euch beiden noch vergehen«, drohte er.
Bavragor wurde zunehmend unheimlicher.
Seit dem Betreten des Zwergenreichs sprach er überhaupt nicht mehr, sondern rollte nur noch wild mit seinem Auge. Gelegentlich knurrte und stöhnte er ohne ersichtlichen Grund auf, die Fesseln um seine Handgelenke spannten sich und knirschten gefährlich. Djerůn wachte darüber, dass er niemandem zu nahe kam.
Ingrimmsch beschwerte sich unentwegt, dass sie mit den Fackeln noch leichter und früher von Feinden gesehen werden konnten, aber eine andere Möglichkeit wollte ihnen nicht einfallen.
Er hatte Recht. Die grellen Feuer erhellten die mit Vraccassium, Palandium, Gold- und Silberplatten vertäfelten Gänge, und so sahen sie zwar auf zwanzig Schritt jede kleine Einzelheit, aber ebenso wurden die Bestien auf sie aufmerksam.
Sie müssen geahnt haben, dass wir es brauchen. Tungdil berührte die Platten. Auch auf die Gefahr hin, die Ahnen zu erzürnen, entschied er sich, Stücke davon herauszubrechen und einzustecken. Mit Djerůns Kräften war es ein Leichtes, und bald hatten sie genügend zusammen, um daraus die Intarsien der Axt fertigen zu können. Nur Eisen fehlte ihnen noch. Tungdil betrachtete die Axt, die Lot-Ionan ihm geschenkt hatte. Notfalls werde ich sie einschmelzen.
Nachdem sie lange durch das verlassene Reich der Fünften marschiert waren, gab Boïndil plötzlich das Zeichen zum Anhalten. »Vor uns ist etwas«, begründete er seine Entscheidung, und seine Haltung wurde lauernd. »Ich rieche den Gestank von Bestien, aber Orks sind es keine.«
Tungdil schnupperte und bemerkte die Duftspur, die in der Luft lag. »Sie müssen vor uns sein.« Er blickte zu Narmora, die nur nickte und sich anschickte, den Gang zu erkunden.
»Kommt nur her! Hier steht ein Zwerg, der sich nicht vor euch fürchtet!«, schallte plötzlich eine laute Stimme durch den Gang, dann prallten Waffen und Schilde scheppernd zusammen, und dünne Schreie erklangen. »Ich mag der Letzte sein und euch unterliegen, aber von euch nehme ich sicher vier Dutzend mit. Vraccas ist mit mir!«
Diese Stimme kenne ich, dachte Tungdil, doch bevor es ihm einfiel, kam ihm jemand zuvor.
»Gandogar!«, rief Goïmgar überglücklich. »Mein König, halte aus! Ich komme!« Er warf seinen schweren Mantel ab, packte den Schild, riss sein Schwert aus der Scheide und stürmte vorwärts.
»Schau sich einer mal den Schimmerbart an«, wunderte sich Rodario. »Der kann richtig Mut aufbringen. Woher hat er den nur genommen?«
»Ho, das hätte ich nicht geglaubt. Aber wir sollten ihn nicht allein gehen lassen«, sagte Ingrimmsch, und die Vorfreude auf ein ordentliches Gefecht mit Tions Geschöpfen stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Und du, Langer, kennst meine Spielregeln. Pass du nur schön auf den Einäugigen auf, damit er mir nicht in den Rücken fällt.« Auch er warf den hinderlichen Mantel ab und schaute abwartend zu Tungdil.
Der zog seine Axt in der Erwartung, dass der König der Vierten seinen Beistand verdiente. »Helfen wir unseren Rivalen brüderlich und schlagen den Feinden die Köpfe ab«, verkündete er und rannte los.
Sie gelangten in eine kleinere, spärlich beleuchtete Halle, die mit haarigen, buckligen bogglinhaften Bestien gefüllt war. Kreischend schwangen sie Keulen und schartige Schwerter und drängten in ihren zu großen Rüstungen die Steinstufen hinauf, die zu einer goldenen Statue von Vraccas führten.
Davor stand Gandogar in seiner schweren Rüstung wie ein Abbild des Gottes. Er führte seine Doppelklingenaxt mit beiden Händen, holte weit aus und mähte die erste Reihe der Angreifer mit einem Schlag nieder. Die Diamanten auf seinem Helm warfen Lichtreflexionen an die Wände und die Säulen und verliehen ihm durchaus etwas Überirdisches.
Rechts und links der Treppe lagen die enthaupteten oder verwundeten Bestien, die aus zehn Schritt Höhe herabgestürzt waren. Das hell- und dunkelgrüne Blut rann die Stiegen hinab und machte sie glitschig, was den Feinden den Sturm zusätzlich erschwerte.
Doch sie gaben nicht auf; krakeelend schoben sie sich die Stufen hinauf, begierig, in die vorderste Linie zu gelangen, nur um von der sausenden Klinge Gandogars in den Tod geschickt zu werden.
Boïndil hatte alle überholt und blies in sein Rufhorn, um die Meute auf sich aufmerksam zu machen.
»Ho! Hier kommt noch ein Zwerg!« Irre lachend warf er sich in die Menge und verwandelte sich in den wütenden Ingrimmsch, dem sich kein Schutz widersetzen konnte. Die Beile fanden wie von selbst eine Lücke in den Rüstungen oder trafen ungeschützte Stellen, und schon nach seinem ersten Angriffsschlag lagen sechs Feinde zuckend am Boden.
Er fräste sich vorwärts und zog eine Schneise hinter sich, in die Tungdil und die anderen stießen. Selbst der ansonsten zögerliche Goïmgar begab sich in die Schlacht. Zum ersten Mal hatte er ein Ziel vor Augen, für das sich die Anstrengung, ja sogar das Sterben lohnte.