Bavragor war es im Getümmel gelungen, seine Lederfessel abzustreifen. Da er keine Waffen besaß, zerriss er die ersten Angreifer mit den bloßen Händen, wühlte sich mit seinen blutigen, kräftigen Fingern durch ihr Fleisch und verletzte sie tödlich. Schwertstiche ließen ihn unbeeindruckt, schließlich nahm er zwei Streitkolben vom Boden auf und drosch mit unheiliger Stärke um sich.
Djerůns Keule schleuderte die Wesen, die ihm gerade bis an die Knie reichten, durch die Luft; sie schlugen zwischen ihren Artgenossen ein und rissen etliche durch die Wucht des Aufpralls in den Tod.
»Die Treppe hinauf«, befahl Tungdil, der gesehen hatte, dass Gandogar in Bedrängnis geriet. Er schien der einzige Überlebende seiner Gruppe zu sein; jedenfalls konnte er in dem Durcheinander aus Leibern keine weiteren Zwerge ausmachen.
Sie droschen sich vereint durch die Bestien. Djerůn blieb am Fuß der Treppe stehen und verteidigte den Aufgang mit mörderischer Gewalt gegen nachrückende Bogglins, während die Menschen und Zwerge die Gegner von hinten angriffen, bis die letzten auf den Stufen fielen und sie keuchend vor dem König der Vierten standen.
Gandogar sah schrecklich aus, abgehärmt, blass, müde. Zwei tiefe Schnitte, die von einer mächtigen Waffe stammen mussten, durchzogen sein blutverkrustetes Kettenhemd.
»Mein König!«, grüßte ihn Goïmgar freudig und nahm sich die Zeit, vor ihm auf ein Knie zu sinken.
Tungdil nickte ihm knapp zu. »Wo sind die anderen?«
»Tot«, antwortete er, mit der Fassung ringend. »Lasst uns zuerst von hier verschwinden, ehe die …«
Fünf Gestalten schoben sich von der anderen Seite in die Halle, vier Schritt hoch, breit, hässlicher und widerwärtiger als die Orks und umso stärker.
»Oger!«, jauchzte Ingrimmsch. »Jetzt wird es richtig lustig! Heja, Langer, das kleine Gesocks lasse ich dir.« Er schlug die flachen Seiten seiner Waffen zusammen und leckte sich über die Lippen. »Die da sind genau meine Kragenweite.«
Die kleineren Bestien wichen zurück und bildeten bereitwillig eine Gasse für die Oger.
»Ihr lauft, ich und Djerůn halten sie auf. Darüber wird nicht gestritten«, ordnete Andôkai an. »Mal sehen, was ich mit meinem Rest von Magie erreiche.«
Sie steckte ihr Schwert ein und murmelte Zauberformeln, als sich aus der Felswand neben dem Heiligtum ein basaltener Gigant rumpelnd aus dem Fleisch des Berges riss. Das lang gezogene steinerne Gesicht mit den Augenlöchern richtete sich auf die Maga, die Faust stieß auf sie nieder.
Andôkai bemerkte die Gefahr und leitete ihre magischen Kräfte gegen den unerwartet aufgetauchten Angreifer. Es gelang ihr, den Hieb aufzuhalten, doch sie ging dabei in die Knie. »Ein Golem«, keuchte sie. »Sie haben einen Magus. Sucht und tötet ihn, bevor meine Kräfte vollends schwinden und ich die Kreatur nicht aufzuhalten vermag.«
Als die überlebenden Bogglins sahen, dass die zuerst so überragenden Feinde Schwäche zeigten, kreischten sie schrill und feuerten sich gegenseitig an, bis sie als Masse aus Armen, Beinen, gefletschten Zähnen und wirbelnden Waffen heranschwappten, um ihr Kampfglück ein weiteres Mal auf die Probe zu stellen.
Die anstürmende Menge trieb Djerůn langsam die Stufen hinauf, bis er sein Visier öffnete und die ersten Reihen der Bestien in violettes Licht tauchte. Wieder erklang der furchtbare, drohende Laut. Ängstlich fiepend zuckten sie vor dem Krieger zurück, der die Gelegenheit sogleich nutzte, mit Schwert und Streitkolben gleichzeitig zu attackieren und den verlorenen Raum zurückzuerobern.
»Da drüben ist er!«, rief Narmora und deutete auf eine menschengroße Gestalt in einer Robe, wie sie die Famuli Nôd’onns trugen. Er stand einhundert Schritt von ihnen entfernt, umgeben von einer Horde kräftiger Orks, die ihm als Leibwache dienten. Anhand seiner Bewegungen erkannten sie, dass er den zum Leben erweckten Golem gegen Andôkai dirigierte.
»Scheint, als wollte man uns davon abhalten, bis zur Esse zu gelangen«, sagte Tungdil. Der Magus fürchtet die Feuerklinge. Wir sind auf dem rechten Weg.
Gandogar schaute auf die nicht enden wollende Zahl der Ungeheuer, die eine lebendige Wand bildeten. »Es ist aussichtslos. Das Tor zur Esse befindet sich am Ende der anschließenden Halle und ist mit Vraccas’ Runen gegen das Eindringen der Bestien gesichert«, erklärte er knapp. »Wir waren kurz davor, doch die Gegner haben uns aufgelauert. Sie wussten, dass wir kommen.«
Tungdil dachte fieberhaft nach. »Einer von uns beiden muss mit denjenigen, die von Bedeutung für die Entstehung der Feuerklinge sind, durch das Tor gelangen«, verkündete er. »Ich hatte niemals die Absicht, den Thron zu erlangen, Gandogar, ich schenke ihn dir. Mir geht es einzig um das Wohl des Geborgenen Landes und unseres Volkes.« Er sah ihm fest in die Augen. »Versprich, dass du dafür zusammen mit Narmora und der Feuerklinge gegen Nôd’onn ziehen wirst. Sie werden dir erklären, wieso sie wichtig ist.«
Gandogar neigte den Kopf. »Bei Vraccas und Giselbart Eisenauge, in dessen Reich wir stehen, ich schwöre, dass ich nicht eher ruhen werde, bis Nôd’onn tot ist.« Sie reichten sich die Hände. »Aber du wirst dabei an meiner Seite sein«, setzte er hinzu.
Sie wandten sich gemeinsam zu den Stufen um und hoben ihre Waffen. Tungdil setzte sein Horn an die Lippen und blies zum Angriff.
Djerůn setzte einen Fuß vor den anderen und bildete die Spitze des Ausfalls. Die Zwerge flankierten ihn, dahinter folgten Rodario mit den Fackeln und Furgas, der ihn und die wertvollen Flammen vor den Angriffen der Bogglins beschützte.
Währenddessen setzte sich Andôkai auf den Stufen noch immer gegen den Golem zur Wehr. Die Attacken gaben ihr keine Gelegenheit, den Magus anzugreifen und damit die Wurzel des Übels auszuschalten. »Rasch! Mehr als ein bis zwei Zauber sind mir nicht mehr möglich«, rief sie angestrengt.
»Ich kümmere mich darum«, verkündete Narmora und sprang aus dem Stand auf die Schulter Djerůns, stieß sich ab und flog fünf Schritte durch die Halle, ehe sie auf dem Kopf eines Bogglins landete und sich erneut abdrückte. Sie benutzte die Schädel und Schultern der überrumpelten Feinde wie Trittsteine und überwand so die Distanz zum Zauberer, doch kurz bevor sie ihn erreichte, traf sie ein Dolch in den Unterschenkel. Sie trat fehl und verschwand in der johlenden Menge.
»Narmora!«, schrie Furgas entsetzt und vernachlässigte seine Aufgabe als Bewacher. Die Bestien setzten sofort nach und drangen auf Rodario ein.
»Hinfort!«, schrie er sie an und drosch mit den Fackeln nach ihnen. Kreischend wichen sie vor der Hitze zurück, Funken stoben auf, und die Getroffenen standen augenblicklich in Flammen und taumelten davon. Das Drachenfeuer verbrannte die Kreaturen Tions in Windeseile zu Asche.
Seine Verteidigung verlief erfolgreich, dafür verloschen die Lichtquellen und wurden von den Schwertern der Bogglins zerstört, sodass er plötzlich mit nur einer einzigen Fackel dastand. »Furgas!«, machte er seinen Freund auf seine Lage aufmerksam. »Zu Hilfe!«
Doch Furgas beobachtete voller Sorge die Stelle, an der seine Gefährtin verschwunden war.
»Furgas, verdammt!«
Balyndis scherte aus der Reihe aus und übernahm es, die Bestien auf Abstand zum Schauspieler zu halten.
Plötzlich trat die Halbalbin wie aus dem Nichts hinter dem ersten Leibwächter des Magus hervor und trennte ihm mit einem üblen Hieb ihrer Waffen den Kopf ab. Bevor sich die anderen Orks auf die neue Lage einstellen konnten, starben auch sie.
»Beeindruckend«, kommentierte der Magus wütend und richtete seinen Stab gegen sie, »dennoch nicht gut genug!«
Ein breiter Strahl schoss auf Narmora zu, sie wich zur Seite aus, aber die Energien folgten ihren Bewegungen.
Ehe sie getroffen wurde, prallten sie unvermittelt gegen ein unsichtbares Hindernis und lösten sich auf. Gleich darauf zuckte ein breiter Blitz vom Heiligtum herüber und schlug knisternd in den Mann ein. Das Gleißen endete erst, als der Magus zu einem schmorenden, stinkenden Bündel verbrannt war. Im nächsten Augenblick zerfiel der Golem in Einzelteile. Die schweren Brocken erschlugen Dutzende der Bestien und drei der Oger, die sich nicht mehr in Sicherheit bringen konnten.