»Und ihr«, wandte er sich krächzend an sie, »werdet leiden. Ich gewähre euch die Gnade, bis ans Tor der Schmiede zu gehen und das ersehnte Portal zu berühren, ehe ihr in tausende kleiner Stücke zerrissen werdet! Ist das nicht grausam?!«, rief er laut, und die Bestien um ihn herum brüllten ihre Zustimmung.
Die Masse teilte sich hinter der Gruppe und gewährte ihnen einen schmalen Korridor, der bis zum verschlossenen Einlass führte. Der verkleidete Rodario folgte ihnen schwankend, hustete und krächzte die wüstesten Drohungen, die mit frenetischem Gekreisch seiner Rotte begrüßt wurden.
Sie waren zehn Schritt von dem Eingang entfernt, als der Schauspieler noch stärker taumelte und nach vorn stürzte.
»Bleibt«, hielt Tungdil Narmora und Furgas zurück, die ihm aufhelfen wollten. »Das würde ihn und uns verraten.«
Mühsam stemmte er sich auf. Ein Helm rollte unter seinem Fuß hervor, und das linke Bein erschien plötzlich ein gutes Stück kürzer. Die behelfsmäßige Stelze, die dazu gedient hatte, die Größe des wahren Magus nachzuahmen, war dahin und der Schwindel aufgeflogen. Dennoch benötigten die Kreaturen eine Zeit lang, bis sie die Zusammenhänge erfassten.
»Das ist nicht der Herr!«, belferte ein Ork und sprang mit erhobener Waffe vor. Rodario humpelte in die Reihen seiner Freunde zurück, das Gefecht begann von neuem.
»Wo ist die Fackel?«, wollte Tungdil wissen.
Der Schauspieler hielt sich die Seite und spuckte erneut Blut, das von einer echten Verletzung und nicht von einem Farbstoff stammte. Mit einem verzerrten Grinsen hielt er eine kleine Sturmlampe hoch, deren Docht glomm. »Das war besser. Nôd’onn hätte mit einer Fackel dämlich ausgesehen.«
Sie schlugen und fochten sich mit neuem Mut bis zum Portal durch, während die Orks die kleineren Wesen nach hinten scheuchten und einen brachialen Angriff unternahmen. Dieses Mal sollten die Menschen und Zwerge nicht mehr zu retten sein.
Nacheinander wurden sie von den Beilen, Schwertern und Äxten getroffen, die kleinere und größere Wunden schlugen, doch eisern hielten die Zwerge ihre Position. Tungdil bemühte sich, die Runen zu entziffern, die ihnen Einlass verschaffen sollten. Dieses Mal aber versagte sein Wissen.
»Ich verstehe sie nicht«, rief er Andôkai verzweifelt zu. »Es muss ein Rätsel sein.«
»Wie ungelegen«, meinte Rodario gepresst. Er lehnte sich gegen das Tor, weil die Beine ihn nicht mehr tragen wollten. »Nun, mein Verlust wird euch nicht allzu sehr schmerzen. Aber das Geborgene Land, das sei noch angemerkt, verliert einen formidablen Mimen«, ächzte er und schloss die Augen. Sein Körper erschlaffte und sank auf die Sturmlampe; der Docht drohte zu ersticken.
»Nein«, wisperte Gandogar, der den Tod des Schauspielers aus dem Augenwinkel verfolgte. »Die Flamme! Sie darf nicht verlöschen!« Er wandte sich um und versuchte sie zu retten, als sich ein gewaltiger Ork in die Bresche schob und brüllend sein gezacktes Schwert gegen den Rücken des abgelenkten Zwerges schwang.
»Mein König!«, schrie Goïmgar warnend, aber erkannte, dass es seinem Herrscher nichts mehr nützen würde. Kurzerhand warf er sich in den Schlag, den Schild nach vorn gereckt und den Kopf eingezogen.
Die Schneide traf singend auf den Rand des Schildes. Die Wucht des Treffers drückte ihn nach unten, sodass der Zwerg bis zum Hals sichtbar wurde.
Der Ork schnaubte ihm seinen stinkenden Atem entgegen, dass sein Bart wehte, und zeigte ihm die gewaltigen Hauer. Dann zog er die lange Klinge von rechts nach links und nutzte die Schildkante als Führungslinie.
Goïmgar hielt ihm sein Kurzschwert entgegen. Klirrend zerbrach sein Eisen unter der Kraft des Angreifers, und im nächsten Augenblick glitt die Schneide durch Haut, Sehnen, Muskeln und Wirbel.
Goïmgars abgetrennter Schädel fiel nach rechts, sein zuckender Torso stürzte nach links gegen Balyndis, die vor Wut aufschrie und umso wilder kämpfte.
Gandogar drehte sich um und sah Goïmgar für ihn sterben. Als der Kopf des Toten auf den Boden schlug, erlosch die Lampe, ein dünner Rauchfaden kräuselte zur Hallendecke hinauf. »Zu Tion mit dir!« Gandogar spaltete den Mörder Goïmgars vom Kopf bis zum Nabel.
Der Tod der beiden Gefährten und das Verlöschen des Drachenfeuers lähmten die Arme der Übriggebliebenen, ihre Gegenwehr wurde schwächer und schwächer.
»Hast du uns so weit kommen lassen, um uns zu vernichten, Vraccas?«, rief Tungdil anklagend, während er einem Ork seine Axt in den geöffneten Rachen schlug.
Da ertönte ein erlösendes Knarren, und der rechte Torflügel schob sich unvermittelt zurück.
Ein lautes, dunkles Horn ertönte und wiederholte die Melodie, die Boïndil zu Anfang ihres Angriffs hatte erklingen lassen, dann stapften gedrungene Gestalten aus dem Portal und warfen sich gegen die Ungeheuer. Ihre Äxte und Kriegshämmer wüteten gnadenlos.
Tungdil benötigte mehrere Augenblicke, bis er sie als Zwerge erkannte.
Einer von ihnen, dessen polierte Rüstung hell leuchtete, was nur durch das Blitzen der Diamanten an seinem Waffengurt übertroffen wurde, nickte auf das geöffnete Tor.
»Rasch. Wir können es nicht lange aufhalten«, befahl er, und seine tiefe Stimme ließ Tungdil schaudern.
Er hatte ihn erkannt, denn nach dem langen Weg durch das Reich der Fünften hatten sie mehr als einmal seine in Gold und Vraccassium getriebenen Züge an den Wänden prangen sehen. Es war Giselbart Eisenauge, der Stammvater der Fünften.
»Du bist …«
»Später«, unterband der Urahne jedes weitere Wort. »Rein mit euch.«
Tungdil kam der Aufforderung nach, Furgas legte sich Rodario über die Schulter, Gandogar trug die Leiche Goïmgars. Als sie sich auf der anderen Seite befanden, beendeten die Fünften ihren Ausfall, und das Tor zur Schmiede schwang zu. Bald darauf hörten sie das wütende Trommeln der Bestien, die mit ihrer blinden Wut dennoch nichts ausrichten konnten.
»Ich grüße euch«, sagte Giselbart ernst, »wer immer ihr auch seid. Ich hoffe, euer Auftauchen bedeutet Gutes.«
Sie blickten auf insgesamt zehn Zwerge mit bleichen Gesichtern, deren Augen leicht abwesend wirkten, als befänden sie sich in Trance. Sie trugen herrlich gearbeitete Rüstungen. Ihre Bärte reichten bis auf den Gürtel, und die Entschlossenheit, die Vraccas seinem Volk mitgegeben hatte, war von jedem Antlitz abzulesen.
»Wir sind die Letzten der Fünften, die den Horden des Bösen seit dem Niedergang meines Reiches vor nunmehr elfhundert Zyklen trotzen«, erklärte Giselbart, der von allen den erhabensten Eindruck machte. »Wir fielen gegen die Albae und wurden durch das Tote Land zurück ins Leben gebracht, doch anstelle ihm zu dienen, stellten wir uns gegen es.«
Tungdil warf einen raschen Blick auf Bavragor, der von oben bis unten mit dem Blut von Orks und Bogglins bedeckt war; in allen Grüntönen rann es von seinen Unterarmen herab und tropfte auf den Boden.
»Auch wenn wir nur noch schwer zu töten waren, so verloren die meisten von uns ihr Leben doch endgültig, und wir zogen uns zur Esse zurück, dem Heiligsten, was unser Stamm besitzt.« Er schaute Tungdil in die Augen.
»Und ihr verspürt keinen Hass gegen andere Zwerge oder alles Leben?«, fragte er misstrauisch nach.
Giselbart schüttelte den Kopf. »Wir haben gelernt. Elfhundert Zyklen reichen aus, um den Hass in sich zum Schweigen zu bringen.« Sein Blick richtete sich auf den Eingang. »Lange beschränkten sich die Kreaturen darauf, uns zu bewachen, doch seit einigen Sonnenumläufen versuchen sie, die Esse zu erobern. Ihr seid vermutlich der Grund für ihr Verhalten, oder?«
»Ja, das mag sein.« In aller Eile stellte er sich und seine Begleiter vor, um danach eine kurze Zusammenfassung von dem zu geben, was sich im Geborgenen Land tat und was der Grund ihres Auftauchens war. »Aber die Hoffnung ist verloren. Das Drachenfeuer, das wir mitbrachten, um die Esse in Gang zu setzen, ist vor dem Tor verloschen.«