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Dann verstummte seine Stimme.

»Es ist alles frei. Wir und die Berge sind weit und breit die Einzigen«, rief Narmora hinab. Tungdil sah kurz ihre schlanke Silhouette, die sich als schwarzer Umriss vom Hellgrau des Himmels abhob, dann verschwand sie wieder.

Einer nach dem anderen schoben sie sich aus dem Schlot, der an seinem oberen Ende breit genug war, um ein kleines Haus darin verschwinden zu lassen.

Der Zwerg erklomm die letzten Stufen mit müden, schweren Beinen. Bei dreitausend hatte er aufgehört, die dunkelgrauen, vom Ruß verschmierten Stiegen zu zählen, die sich an den Wänden des Kamins in die Höhe schraubten. Ihr Aufstieg war gelungen, niemand von ihnen war ausgerutscht oder in Gefahr geraten abzustürzen; selbst Djerůn hatte trotz seiner Rüstung keine Schwierigkeiten gehabt.

Wir sind entkommen. Tungdil verließ den Schutz des Rauchabzugs und stand auf einer schneebedeckten Erhebung inmitten des Grauen Gebirges. Der eisige Wind spielte mit seinem Bart und ließ den Zwerg schaudern.

Die Aussicht auf die unzähligen Schluchten und Täler brachte ihn zum Staunen. Er betrachtete den mächtigen Gipfel der Großen Klinge, er sah die Spitze der legendären Drachenzunge und die schroffen Abhänge der Goldwand. Erhaben und majestätisch wuchsen sie in die Wolken, windumtost, schneeverweht, ewig während. Gewaltsam riss er sich von dem Panorama los, das wohl nur die Wenigsten in dieser einzigartigen Weise zu Gesicht bekamen.

Tungdil schickte die Halbalbin als Späherin vor. Diese Entscheidung fiel ihm nicht leicht: Auf der einen Seite war sie zu bedeutend, um sie in Gefahr zu bringen, auf der anderen Seite verfügte sie über die besten Voraussetzungen, sich auf unsicherem Gebiet eher gefahrlos zu bewegen. Ihr schien es weitaus weniger auszumachen als Furgas, der vor Sorge beinahe krank wurde. Und so stapften sie auf der Route, die Narmora ihnen vorgab, durch den Schnee.

Es ging über glitzernde Gletscherbrücken hinweg, vorbei an Steilwänden, die senkrecht in die Höhe aufragten, und tiefen Abgründen. Mitunter mussten sie über abgegangene Gerölllawinen steigen oder unter Steinbogen durchwandern, die aussahen, als ob sie sogleich einstürzten.

Noch immer sprachen sie kein Wort, die Müdigkeit und das Erlebte lähmten ihre Zungen, und jeder konzentrierte sich einzig darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen und nicht zu straucheln.

In Gedanken war Tungdil bei Giselbart und Bavragor. Er sah sie gegen die Orks und Albae kämpfen, und wenn er die Augen schloss und sich konzentrierte, hörte er den Gesang des Steinmetzen noch immer. Der singende Säufer, dachte er traurig.

Abends drängten sie sich in eine Höhle, in der sie Schutz vor dem zunehmenden Wind suchten, und entzündeten eine Fackel, die Licht spendete. Ingrimmsch schien die Kälte nichts auszumachen. Andôkai schüttelte die Schneeschicht von ihrem Mantel ab, zog ihn enger um sich und lehnte sich ermattet gegen den nackten Felsen. Fluchend schloss sie die blauen Augen.

»Ich muss so schnell wie möglich wieder auf ein Stück Land, in dem sich ein magisches Feld befindet«, sagte sie und brach damit das anhaltende Schweigen. »Meine Kräfte sind aufgezehrt. Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas geschehen kann. Es ist kein sehr angenehmes Gefühl.«

»Und vor allem brauchen wir Eure Magie sicherlich noch.« Tungdil nahm fröstelnd den Plan zur Hand, auf dem die unterschiedlichen Eingänge eingezeichnet waren. »Da Nôd’onn um die Tunnel weiß, wird es schwierig. Er kann sich denken, dass wir sie benutzen wollen, um nach Hause zurückzukehren.« Sein aufmerksamer Blick wanderte über die Zeichnung und blieb an einem Einstiegspunkt hängen, der sich zweihundert Meilen von ihnen entfernt befand. Das ist es! Damit rechnet er nicht. »Wir gehen nach Âlandur.«

»Was? Zu den Spitzohren?!«, begehrte Boïndil auf, der sich gerade vorsichtig das Eis aus dem Bart rieb. »Warum?«

»Der Tunneleingang liegt in dem Teil des Elbenreiches, der vermutlich noch nicht gefallen ist«, erklärte er seine Entscheidung. »Und wir werden sie bitten, mit uns gegen Nôd’onn zu ziehen, wie Großkönig Gundrabur es wollte. Oder hast du einen besseren Vorschlag, Boïndil?«

»Nein«, gab Ingrimmsch zögernd zu. »Ich … muss mich nur erst an den Gedanken gewöhnen. Es sind unsere Feinde … an und für sich.«

»Mir ergeht es nicht anders.« Balyndis nickte zustimmend und reckte die Hände gegen die Flamme der Fackel.

»Es ist erstaunlich, wie einfach es einem fällt, etwas nicht zu mögen«, merkte Rodario philosophisch an und drückte auf seinem Bauch herum, aus dem laute Knurrgeräusche drangen. Er hatte großen Hunger, und niemand in der Höhle erging es anders. In seiner Not brach er sich einen Eiszapfen ab und lutschte daran.

»Die Götter haben uns zu verschieden gemacht. Sitalia, die Schöpferin der Elben, ließ die Spitzohren das Oberirdische und das Grün lieben, Vraccas gab uns die Höhlenwelten der Berge.« Die Schmiedin zog die Beine an. »Sie schauen auf uns herab, sie verachten uns, weil wir nicht so schön sind wie sie.«

»Und dafür verachtet ihr sie?«, schätzte der Schauspieler. »Also muss nur einer mit dem Verachten aufhören, und schon hat der andere keinen Grund mehr. So einfach ist das, Feindschaft beendet.« Er grinste und hielt sich die verletzte Stelle. »Verfluchter Ork! Habt ihr noch Feinde, wo meine Beratung euch helfen könnte?«

»Die Dritten«, sagte Ingrimmsch langsam. »Der Stamm Lorimbur, wie du von Giselbart gehört hast. Aber mit ihnen werde ich niemals Frieden schließen.« Seine Faust ballte sich. »Jetzt erst recht nicht, wo ich die Wahrheit über den Untergang der Fünften erfahren habe.«

Rodario setzte sich aufrecht gegen die Wand. »Und was hat es mit dieser Feindschaft auf sich? Wir Menschen wissen leider viel zu wenig über die Zwerge, wie ich merke.« Er nahm sein Schreibzeug zur Hand. »Aber bitte nur die kurze Fassung, meine Tinte ist bald leer.«

Balyndis grinste. »Wir hassen sie.«

Seine Feder verharrte. »Das war zu kurz, begnadete Schmiedin aus dem Stamm der Ersten«, lächelte er hinreißend.

»Das dachte ich mir fast.« Und sie hob an, die ganze Geschichte zu erzählen.

»Vraccas schuf die Stammväter der Fünf Stämme, und ein jeder von ihnen erhielt von ihm einen Namen. Aber der Begründer des Dritten Stammes wollte seinen Namen nicht und wählte sich einen eigenen. Fortan nannte er sich Lorimbur.

Vraccas erteilte jedem der vier Stämme eine besondere Gabe, die Zünfte der Steinmetzen, Edelsteinschleifer, Eisenschmiede und Goldschmiede entstanden. Aber zu Lorimbur sagte er: ›Du hast dir deinen Namen selbst gesucht, also lerne selbst, etwas zu tun. Von mir wirst du keine Gabe mehr erhalten‹

Lorimbur gab sich Mühe, etwas zu erlernen, ging bei seinen vier Brüdern in die Lehre, doch nichts wollte ihm gelingen. Das Eisen zersprang, das Gold verbrannte, die Edelsteine splitterten, und der Stein zerbarst unter seinen Fingern.

Und so wurde er eifersüchtig auf seine Brüder. In seinem heimtückischen Herzen erwuchs der Hass gegen alle Zwerge.

Im Verborgenen widmete er sich allein der Kampfeskunst. Nicht nur, um Feinde des Geborgenen Landes zu erschlagen, sondern auch um darin der Beste von allen zu werden und sie auszurotten, damit es keinen mehr seiner Art gab, der besser war als er.«

Rodario schrieb alles mit. »Das ist großes Theater«, murmelte er vor sich hin. »Das ist Stoff für die nächsten einhundert Zyklen.«

Balyndis räusperte sich. »Nun weißt du, warum wir die Dritten fürchten. Ihnen ist nicht zu trauen.«

Andôkai versuchte, eine bequemere Haltung am Felsen einzunehmen. »Die Dritten sind mir im Augenblick gleichgültig. Die Elben sind es, die sich zunächst von uns überzeugen lassen müssen«, sagte sie. »Ihr Fürst Liútasil ist bekannt dafür, dass er keine neuen Freundschaften schließt. Dass ausgerechnet Zwerge ihn um Beistand bitten, wird es nicht einfacher machen.« Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

Tungdil lächelte, die Schatten betrachtend, die sie im Schein der Fackel warfen. »Ich habe durch unsere Reise gelernt, dass vieles möglich ist, an das ich zuerst nicht geglaubt habe. Das gibt mir Zuversicht, bei den Elben erfolgreich zu sein.«