»Es sei denn, es wäre ein Vulkan«, meinte Rodario besserwisserisch.
»Ein Berg brennt dennoch nicht, es ist die Lava«, korrigierte ihn Tungdil leise.
»Aber was ist denn Lava anderes als …« Der Mime sah den bösen Blick Narmoras und verstummte. »Ein Disput mit einem Zwerg ergibt sowieso keinen Sinn«, fügte er an.
Die Elben, an denen sie vorbeigingen, sahen ihnen staunend hinterher. Niemals begaben sich Zwerge in ihr Reich, und noch niemals hatten sie Zwerge gesehen.
»Sie sehen alle gleich aus«, sprach Boïndil seine Gedanken laut aus, wenn auch in der Sprache seines Volkes. »Lange Gesichter, kein bisschen Bart und diese Eingebildetheit, die ihnen angeboren zu sein scheint. Sie denken sicher, dass das Geborgene Land dankbar sein müsste, dass sie hier leben.« Er schüttelte sich, sein schwarzer Zopf hüpfte hin und her. »Auch wenn sie mit dem Verrat der Fünften nichts zu tun haben, es wird dauern, bis ich mich an sie gewöhnt habe.« Die Schmiedin nickte zustimmend.
Tungdil, die Hände an den Gürtel Giselbarts gelegt, war froh, dass Lot-Ionan ihn aufgezogen hatte; die grundsätzliche Ablehnung gegen die Elben schlummerte zwar in seinem Herzen, doch es fiel ihm weniger schwer, diese Hürde zu überwinden.
Liútasil erreichte seinen hölzernen Thron, der mit Intarsien aus Palandium reich verziert war; Bernstein und Halbedelsteine rundeten das Bild ab. Den Gästen wurden Hocker gebracht, nur Djerůn blieb stehen.
Rodario hörte gar nicht mehr auf zu schreiben, machte Skizzen und bewunderte das Gesehene mit immer neuerlichen Ausrufen. Furgas beschränkte sich auf stilles Staunen, während Narmora sich sichtlich unwohl fühlte; das dunkle Erbe ihrer Mutter machte ihr zu schaffen. Ihre Lippen waren zu dünnen Strichen geworden, sie klammerte sich an die Sitzfläche und wirkte fahrig.
Liútasil gab einige Anweisungen, die zögernd ausgeführt wurden. Schließlich brachte man den mehr als ungewöhnlichen Gästen Brot, Wasser und andere Dinge, die ohne Zweifel zum Essen gedacht waren. Misstrauisch kostete Ingrimmsch.
»Schluck es einfach, ganz egal, ob es dir schmeckt oder nicht«, riet ihm Tungdil scharf. »Wage es nicht, dein Gesicht zu verziehen oder den Bissen auszuspucken.«
In dem faltigen Zwergengesicht, das erste Ansätze von Abscheu gezeigt hatte, entstand ein schiefes Lächeln; Boïndil würgte das, was er im Mund hatte, lautstark hinunter und langte nach dem Wasser, um den Geschmack hinabzuspülen. »Nicht das Gelbe«, warnte er Balyndis leise und beschränkte sich auf das Brot.
Während sie sich stärkten, gesellten sich weitere Elben zu ihnen, die sich rechts und links von ihrem Herrscher auf geschnitzten Stühlen niederließen und sie unverhohlen musterten.
Rodario nahm etwas von dem Wasser, um seine kaum noch vorhandene Tinte zu verdünnen. »So hält sie länger«, zwinkerte er.
»Nun«, hob der Elbenfürst an, »lasst uns über das sprechen, was euch nach Âlandur führte. Wir wollen auch noch die letzte Kleinigkeit eurer Abenteuer erfahren, damit wir eine Entscheidung treffen können. Sprecht die Wahrheit, denn eine Lüge würden wir sofort erkennen.«
Ich muss es schaffen, sie zu überzeugen. Nach einem kurzen Blick in die Runde erhob sich Tungdil. Er schaute in die aufmerksamen Gesichter der Wesen, die bis vor wenigen Sonnenumläufen als ärgste Widersacher seines Volkes angesehen wurden, doch das Treffen mit Giselbart hatte die Lage verändert. Jetzt lag es in seinen Händen, jenes Bündnis zu schmieden, von welchem der Großkönig Gundrabur geträumt hatte. Sei ein Gelehrter, mahnte er sich selbst. Seine Aufregung wuchs, er musste erst einen Schluck Wasser nehmen, dann begann er seinen Bericht, eine Hand an den Gurt des Fünften gelegt.
Er redete und redete, sah die Sterne hinter dem Mosaikfenster wandern, sah, wie aus dem schwarzen Himmel ein dunkelblauer wurde, wie die Gestirne verblassten und der Morgenröte wichen, und als die Sonne sich vollends über dem Geborgenen Land erhob und durch die grauen Schneewolken schien, endete seine Erzählung.
Liútasil hatte seine dunkelblauen Augen nicht einen Moment abgewandt, sondern die ganze Zeit über aufmerksam zugehört. »So wurde aus dem Wettstreit um den Thron des Großkönigs ein viel bedeutenderes Unterfangen«, sagte er langsam. »Ihr habt viel erlebt, man sieht es euren Gesichtern an.«
»Das ist wahr gesprochen, wir haben sehr viel erlebt und überlebt.« Andôkai stand auf, ihre Augen blitzten, ihr stürmisches Temperament ertrug das Warten nicht länger. »Es bleibt uns keine Zeit mehr. Wir haben genug geredet, Fürst Liútasil. Entscheidungen sind zu fällen, um überhaupt noch etwas an den Geschicken unseres Landes verändern zu können.« Sie trat einen Schritt nach vorn und war sich ihrer Wirkung durchaus bewusst. »Wie entscheidest du dich, Liútasil?« Ihr Blick schweifte herausfordernd über sein feines Antlitz. »Wie entscheiden sich die Elben?«
IX
»Ich fasse es nicht!« Boïndil wollte gar nicht mehr aufhören, sich aufzuregen, und schwang sich in Lore. »Bedenkzeit! Die Spitzohren haben sich Bedenkzeit erbeten! Wenn ich das nur höre! Wie lange wollen sie denn denken? Wenn Nôd’onn gewonnen hat und die Albae ihren Wald niederbrennen, ist es zu spät.« Wütend hieb er gegen den Haltegriff. »Ich könnte vier El… Orks in der Mitte durchhauen!«
Der Großkönig wird enttäuscht sein. Tungdil begab sich ernüchtert neben ihn auf den Sitz. »Mir ergeht es ebenso wie dir«, gestand er. »Ich habe geglaubt, Liútasil setzt sich gegen die Stimmen der Zauderer mit einem Machtwort durch, aber da habe ich mich wohl geirrt.«
Furgas betrachtete derweil die Schienen und lief einige Schritte in den Tunnel, um den Zustand der Gleise zu prüfen. »Es sieht gut aus. Sie sind zwar verrostet, doch ihre Festigkeit haben sie nicht verloren. Die Holzbalken sind hart wie Eisen.« Zufrieden kehrte er zu ihnen zurück und setzte sich neben Narmora. »Unsere Fahrt kann beginnen.«
Sie hatten die Nacht bei den Elben verbracht und in den weichsten Betten geschlafen, die es im Geborgenen Land gab, was den Menschen zwar gefiel, aber den Zwergen bereitete das ungewohnte Lager Kreuzschmerzen. Nach einem einfachen Mahl suchten Tungdil und seine Gefährten den Einstieg zu den Tunneln und fanden ihn; der Öffnungsmechanismus am Felsen, der unter einem dicken Farn verborgen lag, funktionierte tadellos. Sie stiegen hinab und fanden eine einfache Gleisanlage mit vier Loren.
»So.« Rodario verstaute seine Schreibutensilien. »Ich habe den Elben keinen sehr rühmlichen Auftritt in dem Theaterstück verpasst«, verkündete er zufrieden und strahlte. »Das Geborgene Land soll ruhig wissen, dass sie sich aus dem Kampf um die Heimat herausgehalten haben.«
»Immerhin haben wir den Eingang zu dem Tunnel gefunden«, versuchte Balyndis die schlechte Stimmung zu heben.
Ingrimmsch prüfte die Schärfe seiner Beile. »Ja, immerhin. Wir werden sehen, ob wir mit dem Gefährt weit kommen oder ob wir in den Leibern von Schweineschnauzen stecken bleiben, die in den Stollen auf uns warten.« Ein bösartiges Grinsen entstand auf seinem Gesicht. »Das wird endlich wieder ein Schlachtfest nach meinem Geschmack. Ich schlage uns den Weg schon frei.« Wie immer blickte er in solchen Augenblicken zu Djerůn, um ihn wortlos daran zu erinnern, dass der Krieger im Kampf gefälligst die zweite Geige zu spielen habe.
Tungdil betrachtete Narmora, die viel ruhiger wirkte, seit sie Âlandurs Land verlassen hatten. »Geht es wieder?«
Sie lächelte. »Es war zu viel Elbisches um mich herum, das Erbe meiner Mutter machte es mir schwer, mich dort wohl zu fühlen.«
Er räusperte sich. »Bist du … aufgeregt?«
»Weil meine große Stunde näher rückt?« Sie fasste Furgas’ Hand. »Aufregung ist das falsche Wort, noch spüre ich nichts davon. Sie wird kommen, wenn ich dem Magus gegenüberstehe. Läuft alles so, wie wir es geplant haben, müsste es uns gelingen.«