Bei Vraccas, ich bin ein Dritter, verstand er die Bedeutung des Geschehens und erkannte seine Herkunft. Aber meine Abstammung wird zu Gutem führen, das schwöre ich.
Er packte den Stiel und rannte mit leicht eingezogenem Kopf auf den Magus zu. Die Orks, die sich ihm in den Weg stellten und die er mit der schimmernden Schneide traf, vergingen in einem aufflammenden weißen Feuer. Bei jedem Schlag zog die Waffe einen gleißenden Schweif hinter sich her, und Tungdil spürte die Hitze, die von ihm ausging. Es war die gleiche, die er von der Esse im Reich der Fünften kannte.
Nôd’onn bemerkte die Gefahr sofort. Seine bislang so selbstsichere Miene veränderte sich und nahm einen Ausdruck immenser Furcht an. Die Zaubersprüche, die er gegen den anstürmenden Zwerg sandte, vergingen; die Runen der Feuerklinge beschützten ihren Träger und ließen nicht zu, dass ihm etwas geschah.
»Wenn du mich tötest, wirst du das Geborgene Land vernichten! Die Gefahr, die ihr nicht aufzuhalten vermögt, macht sich bereit, um uns aus dem Westen anzugreifen«, prophezeite er und stieß mit der Spitze des Ahornstabes nach ihm. Tungdil wehrte den Angriff ab und sprang ganz nah an den Mann heran. »Du wirst seinen Untergang verschulden. Du musst mich leben lassen!«
Tungdil zerschlug den Ahornstab; der Onyx auf dem oberen Ende barst, und die dunklen Edelsteinsplitter regneten zu Boden.
»Nein. Wir beschützen das Geborgene Land selbst, so wie wir es vor dir beschützen«, entgegnete Tungdil grimmig und schlug zu. Für Lot-Ionan, Frala und ihre Töchter.
Die Ausweichbewegung des feisten Mannes erfolgte zu spät, und selbst hastig gewirkte Magie konnte den Hieb nicht mehr aufhalten. Die Schutzsymbole flirrten in der Luft und wurden von der Feuerklinge vernichtet. Dann fuhr die diamantenbesetzte Schneide in Nôd’onns Wanst.
Der Bauch platzte wie eine überreife Frucht. Innereien, Magen, Darm, die Lunge, alles Menschliche ergoss sich als halb zersetzter Brei mit ungeheurem Druck auf den Boden. Ein fingergroßer Malachitsplitter wurde von der widerlichen Flut davongespült.
Aus dem sprühenden Blut löste sich ein schimmernder Nebel, in dem es schwarz, silbern und rot flackerte. Er dehnte sich rasch aus, wuchs fünf Schritt in die Höhe und nahm allmählich Konturen an.
Zwei schwarze Augenhöhlen entstanden, aus denen faustgroße leuchtende Sterne voller Bosheit und Hass rot glühend auf den Zwerg hinabstarrten. Dann wandten sie sich blitzschnell zu Andôkai.
Der Dämon hat sich ein neues Opfer gesucht!
Der wirbelnde Dunst flog zielstrebig auf die Maga zu, die vor ihm zurückwich. Ihr Schwert glitt wirkungslos durch ihn hindurch. Jetzt verkleinerte er sich wieder, einzelne durchsichtige Arme entstanden und umschlossen die blonde Frau.
»Tungdil!« Sie ächzte auf, schwankte und brach in die Knie, während die ersten tastenden Nebelfinger ihre Kiefer auseinander drückten. Das Wesen machte sich bereit, in eine neue Trägerin zu fahren, dieses Mal ohne deren Einverständnis.
Tungdil sprang an ihre Seite, und als der flirrende, lebendige Nebel in ihre Mundhöhle sickern wollte, schlug der Zwerg zu.
Die Runen der Klinge schimmerten auf, und die Feuerklinge zerteilte das Gespinst. Ein lautes Zischen ertönte, der Nebel zog sich wie ein verletztes Tier zurück, aber Tungdil setzte ihm nach. Die Hiebe der Feuerklinge trennten kleinere Schwaden ab, die verblassend durch die Halle trudelten und sich auflösten, doch der Rest des Dämons blieb bestehen und schien zur Decke ausweichen zu wollen.
Dann eben auf andere Weise. Tungdil stieg auf eine umgestürzte Säule, ignorierte seine schmerzenden Wunden im Bein und am Arm, rannte auf ihr entlang und drückte sich mit viel Schwung ab, die Waffe zum Schlag erhoben. »Vraccas!«
Sein gut gezielter Sprung brachte ihn ins Zentrum des Nebels, die Schneide traf. Sämtliche Runen erstrahlten in hellem Schimmer und schufen einen gleißenden Schweif hinter dem Axtkopf. Die Diamanten flammten grell auf.
Einen Augenblick hing Tungdil im Innern des Dämons und hatte das Gefühl, bei seinem Flug langsamer zu werden, dann erklang ein Geräusch wie von reißendem Leinen, und ein lautes Stöhnen folgte.
Tungdil landete auf der anderen Seite des Nebels und stürzte, doch das Kettenhemd bewahrte ihn vor Schrammen. Habe ich es geschafft? Er blickte über die Schulter und sah das Loch, das er in den Nebel geschlagen hatte. Der Dunst sank zu Boden und verfärbte sich, er wurde grau, dann schwarz und löste sich schließlich ganz auf. Nichts erinnerte mehr an ihn.
Niemand im Schwarzjoch regte sich. Freund und Feind standen da und starrten. Sie alle hatten beobachtet, wie Nôd’onn durch seine Hand getötet und der Dämon vernichtet worden war. Es war grabesstill.
Einer der Albae, der die Horden eben noch gegen die Zwerge getrieben hatte, griff aufschreiend nach seinem Schutzkristall. Im nächsten Augenblick verging das Amulett in einer gewaltigen Explosion und zerriss den Krieger. Die Geschenke des Magus vernichteten sich selbst, ein Alb starb nach dem anderen, und auch einige Orkanführer verloren ihr Leben.
Ein lautes Horn erklang und schmetterte das Signal zum Angriff, die Zwergenkrieger der drei Stämme wollten nicht länger warten.
Die Bogglins wandten sich als Erste zur heillosen Flucht, die Orks folgten ihnen, doch die Zwerge hetzten sie vor sich her und holten sie spätestens bei den engen Tunneln wieder ein. Schonung und Mitleid gab es nicht. Das Krachen und Scheppern der wütenden Äxte schallte hinauf bis zur Decke der Halle.
Tungdil stemmte sich in die Höhe. Balyndis stand neben ihm und half ihm beim Aufstehen. »Du hast es geschafft!«, freute sie sich und drückte ihm einen langen Kuss auf den Mund.
Dies hatte er sich sehr lange herbeigesehnt, und doch empfand er nur wenig Freude dabei. Die Gewissheit plagte ihn. »Weil ich ein Dritter bin«, fügte er bitter hinzu. Ein Lorimbur, ein Zwergentöter.
Sie nickte. »Vraccas sei Dank, dass es so ist. Wie hätten wir den Nôd’onn sonst besiegen können?«, lächelte sie. »Du bist ein echter Zwerg, durch und durch, deine Abstammung spielt für mich keine Rolle. Mein Herz sagt mir, dass ich dir vertrauen kann. Nur darauf kommt es mir an.«
Dankbar drückte er ihre Hand. Ich hoffe, dass die anderen es genauso sehen.
Andôkai befand sich oben auf der Brücke und kümmerte sich um die verletzte Narmora und den verwundeten Boïndil, der gegen Caphalor nicht bestanden hatte; mehrere Zwerge halfen ihr dabei. Djerůn stand schon wieder, das Visier seines Helmes hatte er geschlossen und machte immer noch ein Geheimnis aus seinem Gesicht.
Die ersten zwergischen Heilkundigen näherten sich ihnen mit Wasser, Salben und Verbänden, um nach ihren Wunden zu schauen. Nachdem die Anspannung des Kampfes von ihm abgefallen war, spürte Tungdil, wo es überall wehtat. Dankbar ließ er die Prozeduren über sich ergehen, die Feuerklinge unter den Gürtel Giselbart Eisenauges gehakt.
Zeit zum Ausruhen blieb ihm keine. Rodario lief mit sorgenvollem Gesicht zu ihm.
»Ich weiß, der Zeitpunkt kommt ungünstig, tapferer und verwundeter Held des Geborgenen Landes, aber wir müssen nach Furgas sehen«, bat er. »Er liegt immer noch im Zelt und …«
»Ein Held?« Tungdil grinste. Was aus einem Gelehrten nicht alles werden kann. Ich hoffe, dass Frala und Lot-Ionan mich sehen können. Er stand auf, prüfte den Sitz seiner Verbände. »Wenn ich ein Held bin, muss ich wohl weiterkämpfen, wie es in den Büchern steht.«
»Verdammte Albae, sie sind wie die Schatten. Ich habe das Spitzohr nicht kommen hören. Er hat mich hinterrücks niedergestochen.« Boïndil, einen breiten weißen Verband über der Brust, hinkte die Stufen hinab und feixte. »Genau. Wie es in den Büchern steht, Gelehrter. Mein Bruder wäre stolz auf dich.«
»Gut, dass du da bist.« Tungdil klopfte ihm vorsichtig auf die Schulter und fühlte eine enorme Erleichterung. Ein weiterer toter Gefährte hätte ihm noch gefehlt. »Dann sehen wir nach Furgas.«