Tungdil, Rodario, Balyndis, Boïndil und Djerůn eilten die Stufen hinab, Andôkai holte sie nach einigen Schritten ein. Sie hatten es gemeinsam als Fremde begonnen, und sie wollten es gemeinsam als Freunde zu Ende bringen.
Ein kühler Wind wehte über das Plateau, doch die Sonnenstrahlen, die durch die Wolkendecke brachen, wärmten und gaben einen Vorgeschmack auf den bevorstehenden Frühling.
»Aus dem Berg, der einst das Verhängnis für die Zwerge werden sollte, entsteht an diesem Tag ein Ort der Hoffnung und der Zuversicht, dass das Geborgene Land in neuer Gemeinsamkeit erblühen und erstarken wird.« Gandogar ließ den Blick über den Rücken des Tafelberges schweifen und betrachtete die bunt gemischte Versammlung, die sich eingefunden hatte.
Vor einem halben Zyklus hätte er jeden für verrückt erklären lassen, der ihm vorausgesagt hätte, dass die Elben, Menschen und Zwerge auf dem stumpfen Gipfel des Schwarzjochs zusammenfanden, wohlgemerkt nach einer Schlacht, an der alle drei Völker teilgenommen hatten, doch nicht als Gegner.
Prinz Mallen von Ido saß neben Elbenfürst Liútasil von Âlandur, es folgten Balendilín Einarm vom Clan der Starkfinger aus dem Stamm der Zweiten und Xamtys II. Trotzstirn aus dem Clan der Trotzstirne vom Stamm der Ersten. Dahinter hatten sich die Menschenkönige der verbliebenen sechs Reiche eingefunden, und nicht zuletzt befand sich auch Andôkai die Stürmische unter ihnen.
In gebührendem Abstand zu den Herrschern standen die besten Krieger der Schlacht, Menschen, Zwerge und Elben, nebeneinander auf dem Plateau und lauschten, was ihre Führer besprachen. Gandogar erkannte auch Tungdil und Balyndis unter ihnen. Djerůn ragte wie ein Fels aus der Masse heraus.
»Nôd’onn, die Kreatur, die aus Nudin dem Wissbegierigen und einem Wesen entstand, das aus dem Norden kam, ist besiegt und vernichtet. Die Macht des Toten Landes ist gebrochen, und die Natur kehrt zu ihren alten Gesetzen zurück«, fuhr er fort. »Das gelang uns nur, weil die Menschen, die Elben und die Zwergenstämme zueinander standen und im Augenblick der Bedrohung nach langer Zeit ihre althergebrachten Abneigungen und ihren Hass vergaßen, um das Böse zu besiegen.« Er hob die Arme. »Und es gelang! Kann es ein besseres Zeichen dafür geben, unsere Feindschaften zu begraben?«
Er schwieg eine Weile, um seine Worte wirken zu lassen.
»Ihr, Prinz Mallen von Ido, habt die Streiter der Königreiche nach der Niederlage in Porista zusammengeführt und ein Heer gebildet, um zum Schwarzjoch aufzubrechen und den Versuch zu wagen, Nôd’onn niederzuwerfen«, sagte er zu dem blonden Mann, dann wandte er sich Liútasil zu. »Ihr, Liútasil, Fürst der Elben Âlandurs, vernahmt unsere Worte, als wir Euch um Hilfe baten, und kamt trotz der Bedenken, die Ihr in Eurem Herzen trugt.« Er schaute zu den Zwergen. »Und ihr, meine Stammesbrüder und -Schwestern, habt euch an unsere Gemeinschaft und die Aufgabe erinnert, die uns Vraccas einst gab.« Er ballte die Faust. »Wir haben das Geborgene Land beschützt.«
Die Krieger aller Völker trommelten gegen ihre Schilde und schlugen ihre Waffen aneinander.
»Der Hass muss aus unseren Herzen verschwinden, die Kriege gehören der Vergangenheit an und sollen vergessen werden. Und wisset, dass von heute an die Chroniken des Friedens, der Anteilnahme und der Freundschaft in unserem Land geschrieben werden.« Er reckte seine Axt in die Höhe, die Herrscher und Fürsten erhoben sich, und gemeinsam schworen sich die Königreiche Freundschaft.
Dieses Mal brandete lauter Jubel auf, Balyndis küsste Tungdil in ihrem Überschwang, froh und glücklich über den Ausgang des Abenteuers, dessen Verlauf sie bis zum Schluss nicht hätte vorhersagen können. »Du kannst stolz auf dich sein«, sagte sie zu ihm.
»Dass ich ein Dritter bin?«, meinte er halb verächtlich, halb belustigt.
»Nein. Dass du der erste Dritte bist, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die anderen Zwergenstämme zu retten, anstatt sie zu vernichten«, lächelte sie ihn an. »Hör auf mit diesen Gedanken, sondern freue dich, dass wir mit dem Leben davongekommen sind.«
Er dachte an Narmora und Furgas, die im Schwarzjoch den heilenden Händen der Wundheiler überlassen worden waren. Beinahe wären sie im Tode wieder zu einem Paar vereint worden, nur der letzte Rest der Gabe Andôkais und die Heilkräuter bewahrten sie vor dem Einzug ins Jenseits. Und er gedachte ihrer Toten. Ich grüße euch, Bavragor und Goïmgar! Ihr werdet in der Schmiede von Vraccas stehen.
Gandogar streckte die Hand nach ihm aus, und der Schreck fuhr ihm in die Glieder. »Da steht der Zwerg, dem wir alle wohl am meisten zu danken haben. Tungdil Goldhand, trete vor.«
Unsicher kam er der Aufforderung nach.
»Seht! Ohne ihn, seine Schläue, seine Hartnäckigkeit und seinen Glauben an das Gelingen unseres Unterfangens stünden wir alle nicht hier, sondern wären tot oder Diener Nôd’onns.«
Tungdil glaubte zu fühlen, wie ihn sämtliche Augenpaare auf dem Plateau anstarrten; er wurde rot und unglaublich verlegen. So klammerte er sich an den Axtkopf der Feuerklinge, die ihm Sicherheit gab.
»Wir können die Schuld, in der wir alle bei dir stehen, niemals begleichen«, sprach der König der Vierten mit fester Stimme. »Ich verspreche dir, Tungdil, dass ich dir bis an dein Lebensende jeden Wunsch erfüllen werde, den ich zu erfüllen imstande bin.«
Das schmale, anmutige Gesicht Liútasils wandte sich ihm zu. »Wir Elben zählen nicht zu den innigsten Freunden deines Volkes, Tungdil Goldhand, aber wir wissen, was Dankbarkeit ist. Was immer du begehrst, wir geben es dir.«
Der Reihe nach leisteten die Menschenkönige ähnliche Gelöbnisse, und die Verlegenheit des Zwergs stieg ins Grenzenlose.
»Nein, wartet, ihr Herrscher, Fürsten und Könige«, hob er abwehrend die Hände.
Boïndil verdrehte die Augen. »Da, seine Gelehrtenzunge redet gleich wieder los, hört ihr?«
Tungdil atmete tief ein. »Ich will nichts von euch. Was ich von euch verlangen könnte, habt ihr mir bereits gegeben: Ihr schwort, dass die Völker des Geborgenen Landes sich nur noch zu gemeinsamen Festen und nicht mehr zu gegenseitigen Kriegen sehen. Mehr möchte ich nicht. Was nützt mir alles Gold, wenn die Feindschaft in unserer Heimat fortbestehen würde? Ich nehme Euren Dank auch im Namen von Bavragor Hammerfaust aus dem Clan der Hammerfäuste vom Stamm der Zweiten und Goïmgar Schimmerbart vom Clan der Schimmerbärte aus dem Stamm der Vierten entgegen, die wie ich ihr Leben einsetzten, aber es verloren. Ohne sie wäre die Feuerklinge niemals entstanden.«
Der Elb neigte seinen dunkelroten Schopf vor dem Zwerg. »Du sprichst wie ein weiser Herrscher, Tungdil Goldhand. Sobald du denkst, wir seien dabei, wieder in die alten Gewohnheiten zu verfallen, was den Umgang miteinander angeht, komm zu uns und erinnere uns an diesen Tag. Der Ewige Wald steht dir jederzeit offen.«
Wieder donnerten die Krieger gegen die Schilde, Hörner wurden geblasen, die Jubelrufe wollten nicht enden, und schnell kehrte Tungdil an die Seite von Balyndis zurück.
»Zeig deine Zunge«, verlangte Boïndil gespielt mürrisch. »Sie hat doch einen Knoten bekommen, oder?«
Tungdil grinste. Es hatte ihm Spaß gemacht, seine Redekunst zu zeigen, die Lot-Ionan ihm beigebracht hatte.
Die Versammlung wurde aufgelöst, die Truppen der Menschen, Zwerge und Elben gingen ins Innere des Berges, feierten zusammen ihren Sieg und begannen mit der ersten vorsichtigen Annäherung.
Balendilín und Gandogar gesellten sich zu ihnen. »Welch ein Glückstag«, meinte der Einarmige fröhlich. »Wer hätte gedacht, dass es für uns alle so gut endet?« Er schlug Tungdil auf die Schulter. »Vraccas hat seinen besten Zwerg geschickt, und wenn einer das Gegenteil behauptet, werde ich ihn zu einem Wettlauf herausfordern.« Er lachte, und die anderen stimmten mit ein. Tungdils Lachen gelang nicht ganz, was von Gandogar sofort bemerkt wurde.
»Was hast du?«
»Es ist nichts.«