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Weil ihm die Füße brannten, beschloss er, seine Wanderung für diesen Tag zu beenden. Tungdil ging bis zu einer großen Eiche und schwang sich an ihrem Stamm hinauf; anschließend zog er sein Gepäck mit dem Seil, das er in Gutenauen erstanden hatte, nach oben.

Sein Leben war ihm so viel wert, dass er lieber wie ein Vogel auf einem Baum schlief und sich somit den Blicken der Ungeheuer entzog. Wenn sie ihn dennoch entdeckten, würde er sich schon etwas einfallen lassen. Nachdem er sich das Tau zweimal um den Bauch und den Stamm geschlungen hatte, um nicht versehentlich abzustürzen oder von dem Baum abgeschüttelt zu werden, schloss er die Augen …

… und träumte.

Tungdil sah den Nordpass. Er roch den frischen, eisigen Wind, der über die Spitzen der Großen Klinge und der Drachenzunge strich, und seine Phantasie flog mit ihm – einem Adler gleich über das majestätische Graue Gebirge.

Die Harmonie wurde jäh gestört, als scheußliches Gebrüll von den ehrwürdigen, jahrtausendealten Felsen widerhallte.

Er blickte von oben auf die gigantische Pforte des Steinernen Torwegs hinab und sah die Schlacht, in der Giselbart am Ende mit den Clans der Fünften untergehen sollte. Äxte krachten durch Metallpanzer in Leiber und wurden hastig aus Knochen und Stahl gezogen, um wenig später in ein neues Ziel getrieben zu werden.

Aber die Flut der Feinde endete nicht.

Der Zwerg erschrak, als er den schier unendlichen Strom der Angreifer erblickte, der sich unaufhörlich gegen die Befestigung ergoss. Er roch das ekelhafte, grüne Blut der Orks, das den Steinboden des Wehrgangs rutschig machte, und schmeckte das ranzige Fett auf ihren Rüstungen auf seiner Zunge. Der bittere Geschmack verstärkte sich auf unerträgliche Weise, er brachte ihn zum Würgen und riss ihn aus seinem Traum.

Tungdil öffnete die Augen und wunderte sich über die Helligkeit. Was …?

Sie stammte von einem Dutzend Feuerstellen, die um die Eiche herum brannten. Kehliges Gelächter tönte zu ihm herauf, mischte sich mit tiefem Grunzen, gereiztem Schnauben und dröhnendem Fluchen.

Sein Blut gefror. Die von den Söldnern begierig erwartete Orkhorde hatte ihr Nachtlager kreisförmig um den Baum errichtet und ihn gefangen gesetzt. Deshalb hatte er die Illusion von der Schlacht am Nordpass gehabt! Seine Ohren hatten die Wesen vernommen, seine Nase sie gerochen, und sein Verstand hatte daraus ein Trugbild geformt.

Der Zwerg saß steif wie eine Statue auf seinem Ast und wünschte sich, er könnte mit dem Baum verwachsen, damit ihn keines der Ungeheuer entdeckte.

Eines war sicher: Die Hand voll Söldner in Gutenauen würde niemals ausreichen, um diese Horde aufzuhalten.

Die roten Lohen der Feuer schossen mehrere Lanzenlängen zum Himmel hinauf; sie warnten den nächtlichen Wanderer davor, sich dem Lager zu nähern. Für Zwerge auf Bäumen kam der Wink jedoch zu spät.

Nach einer raschen Zählung der Kreaturen, die er von seinem Beobachtungspunkt ausmachen konnte, kam er auf einhundert Orks. Kräftige, starke, muskelbepackte Orks, die nicht aussahen, als schreckten sie vor einer Holzpalisade zurück, hinter der fette Beute wartete.

Tungdil schaute genauer hin und rang neuerlich mit dem Bedürfnis, sich zu übergeben. Was manche Bestien über den offenen Feuern garten und mit Hingabe verspeisten, hatte die Form von menschlichen Körperteilen. An zwei eigens errichteten Kochstellen drehten sich Menschentorsi wie Brathühner am Spieß.

Der Zwerg beherrschte sich. Es hätte die Bestien sicherlich gewundert, wenn die Eiche verdauten Brei aus ihren Zweigen ergossen hätte.

Die zerrissenen Stofffetzen, mit denen die wenigen verletzten Orks ihre Wunden verbunden hatten, trugen die Farben des Regiments von König Tilogorn. Die Gutenauener konnten lange auf Verstärkung warten. Allem Anschein nach hatten die Soldaten Idoslâns die Kampfkraft dieser Horde unterschätzt und den Fehler mit ihrem Leben bezahlt, um anschließend als Speise in hungrigen Orkmägen zu enden.

Was habe ich den Göttern nur getan, grübelte Tungdil, dass sie mich von einem Unglück ins nächste schicken?

Keiner in Gutenauen ahnte etwas von dem grün- und schwarzhäutigen Unheil, das über sie hereinbrechen würde. Es lag an ihm, das Großdorf zu warnen. Das würde ihm jedoch nicht gelingen, solange die Bestien rings um ihn herumhockten; also musste er ruhig abwarten, bis sich eine Gelegenheit ergäbe, unbemerkt von der Eiche zu verschwinden und sich durch ihre Linien zu schleichen.

Dann kam ihm ein anderer Gedanke. Wenn es ihm gelänge, näher an die Feuerstellen zu kriechen, konnte er vielleicht mit anhören, was die Orks beabsichtigten. Schließlich beherrschte er ihren Dialekt. Jedenfalls traute er sich zu, das in Büchern Erlernte auch anzuwenden. Es zahlte sich aus, bei einem Magus mit einer großen Bibliothek aufzuwachsen; Lesen und Lernen war neben dem Schmieden sein liebster Zeitvertreib.

Man sollte es nicht glauben, aber das Grölen, Knurren und Brüllen barg eine gewisse Methode in sich, die eine Unterredung ermöglichte. Die Gelehrten waren durch gefangene Orks hinter die Geheimnisse einer Sprache gekommen, die Unmengen von Drohungen und Schimpfworten beinhaltete.

Das Herz des Zwergs pochte laut bei dem Gedanken, sich durch die Reihen der stinkenden Monstrositäten zu stehlen. Ertappten sie ihn, wäre es um ihn geschehen; aber ein Zwerg durfte nichts unversucht lassen, die Menschen vor ihrer Vernichtung durch die Kreaturen Tions zu bewahren. Das war die Aufgabe, die sein Volk und damit auch er von Vraccas dem Schmied erhalten hatte.

Seine Entscheidung war gefallen. Tungdil betrachtete den Stamm der Eiche und kundschaftete einen lautlosen Weg auf den Boden aus. Er verzurrte sein Gepäck gerade in den Zweigen der Eiche, als eine Bewegung durch die Orks ging. Nach und nach erhoben sie sich an den Lagerfeuern, ihre Gespräche und Rufe wurden lauter. Es trafen Gäste ein.

Die Streitmacht rottete sich nahe der Eiche zusammen. Der Zwerg kroch den Ast entlang, bis er sich wegen des dünner werdenden Holzes nicht weiter nach vorn wagte. Wenn er sich sehr anstrengte, würde er die Reden der Ungeheuer verstehen. Ihre Anführer brüllten, damit sie jeder hörte, und das gereichte ihm zum Vorteil.

Behutsam bog er die grünen Zweige zur Seite. Die Orks bildeten einen großen Kreis, in dem drei einschüchternde Sippenoberhäupter standen, deren gewaltige Hauer angespitzt und bemalt waren. Dann wurde es ruhig, und das Gejohle erstarb von einem Augenblick auf den nächsten.

Tungdil hörte das Klappern von Hufen. Zwei Reiter trabten auf ihren Rappen durch die Reihen; die Augen der schwarzen Pferde leuchteten amarantfarben, und wenn die Hufe den Boden berührten, blitzen weißblaue Funken auf. Die geschmeidige Art, in der sich die Tiere bewegten, erinnerte an Raubkatzen und hatte nichts mit dem schaukelnden Gang eines gewöhnlichen Pferdes gemein.

Die schlanken, hoch gewachsenen Reiter lenkten die Rappen in den Kreis und stiegen ab. Der Zwerg glaubte zu wissen, was sie waren: Albae.

Sie trugen kunstvoll gearbeitete Lederrüstungen unter ihren Mänteln. Tungdil sah lange schwarze Lederhosen, dunkelbraune Stiefel, die bis unter die Knie reichten, und dunkelrote Handschuhe.

Der Alb mit den langen blonden Haaren hielt einen Speer mit einer schmalen Klinge, die nicht dicker als ein kleiner Eiszapfen war; an der linken Seite baumelte ein Schwert.

Sein Begleiter hatte schwarzes Haar, das, zum Zopf geflochten, unter dem Cape verschwand. Er trug einen geschwungenen Langbogen in der Hand und einen Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken; zwei Kurzschwerter waren mit Lederriemen an seinen Oberschenkeln befestigt.

Ihn kannte Tungdil. Er hatte versucht, ins Zimmer der Herberge einzudringen. Bitte, Vraccas, lass Friedegard und Vrabor den Albae entkommen sein, bat er stumm.

Der Blonde übernahm die Verhandlungen, die in der Gemeinsprache geführt wurden; offenbar weigerten sich die Albae, die primitiven Laute der Orks von sich zu geben.