»Ich bin Sinthoras von Dsôn Balsur. Mein Meister, Nôd’onn der Zweifache, der Gebieter über das Tote Land, schickt mich, um den drei Fürsten Toboribors die Hand zum Bund zu reichen«, sagte der Alb und gab sich dabei keine Mühe, in irgendeiner Weise freundlich zu klingen. Er überbrachte das Angebot und machte mit seiner Stimme deutlich, dass man es annehmen oder lassen sollte. »Nôd’onn erwählte euch, Fürst Bashkugg, Fürst Kragnarr und Fürst Ushnotz, die Eroberungen zu machen, wie sie keiner vor euch tat. Ihr sollt an der Spitze der Orks stehen und der mächtige Arm des Südens sein, unter dessen Schwert die Schädel der Menschen zerspringen.«
»Wer von uns wird der Oberfürst?«, fragte Kragnarr, der ebenso groß wie die Albae, aber doppelt so breit gewachsen war; die anderen beiden Anführer standen ihm in ihrem Wuchs nicht nach.
Bashkugg versetzte ihm augenblicklich einen harten Stoß. »Willst du besser sein?!«, brüllte er streitbar.
Kragnarr ging auf die Herausforderung ein; er wandte sich schnaubend zu seinem Rivalen um und stellte sich dicht vor ihn, dass sich ihre breiten Stirnplatten berührten. Sie starrten einander an, die Klauen um die Griffe der riesigen Schwerter gelegt. Ushnotz erwies sich als schlauer; er machte einen Schritt zurück und wartete ab, wie sich der Zwist entwickelte.
»Mein Meister schlägt vor, dass ihr alle gleich mächtig sein sollt«, sagte Sinthoras laut, um das Schnauben zu übertönen.
»Nein«, kam es sofort aus dem Maul Kragnarrs, und Bashkugg knurrte seine Zustimmung.
Dem angewidert dreinblickenden Alb sah Tungdil selbst auf diese Entfernung an, dass er die Orks lieber ausgelöscht hätte, als sich mit ihnen zu besprechen, aber er hatte den Befehl jenes Nôd’onn zu befolgen. Der Zwerg hörte den Namen, der wohl hinter allem Übel steckte, zum ersten Mal.
»Dann schlägt mein Meister vor, dass derjenige Oberfürst sein wird, der das meiste Land erobert.« Seine Finger lagen ruhig um den Schaft des Speeres, aber seine Körperspannung zeigte, wie wenig er den grobschlächtigen Kreaturen traute. Sein dunkelhaariger Begleiter wirkte mindestens ebenso wachsam.
»Land?«, grunzte Ushnotz. »Wieso nicht, wer die meisten Fleischlinge erschlägt? Das wäre mehr nach meinem Geschmack«, grunzte er und rieb sich über den Magen. Die beiden anderen Orks waren sofort seiner Meinung.
»Nein«, blieb der Alb hart. »Es geht um Land, nicht um die meisten Getöteten.«
»Warum?«, protestierte Bashkugg polternd. »Die Krieger müssen essen.«
»Haltet euch an die Heere, die euch die Menschen in den Weg stellen«, empfahl er kühl. »Ihr kennt den Wunsch meines Meisters.«
»Du kannst ihm gehorchen, Spitzohr, aber er ist nicht unser Meister«, sagte Ushnotz listig. »Im Süden befiehlt er nicht, im Süden befehlen wir.«
Sinthoras lächelte mitleidig. »Wie lange noch? Mein Meister nähert sich mit den Orks unaufhaltsam aus dem Norden, und sie werden euch den Süden schneller streitig machen, als ihr Keulen aus den Bäumen schnitzen könnt.« Er blickte sie der Reihe nach an. »Entscheidet euch jetzt für den Gehorsam, und ihr werdet mit eigenen Fürstentümern für eure Sippen belohnt werden. Toboribor ist erst der Anfang, bald wird jede Sippe eigenes Land besitzen und die Menschen für sich arbeiten lassen. Oder aber ihr steht anderen eurer Art gegenüber.«
Die Drohung mit den schwarz- und grünhäutigen Verwandten aus dem Norden, die ihnen womöglich ihren Besitz streitig machen würden, verfehlte ihre Wirkung nicht. Die drei Orks schwiegen; ihre Gemüter waren so sehr aufs Nachdenken fixiert, dass sie ihren Streit wieder vergaßen.
Tungdil spähte durch die Blätter und wollte seinen Augen und Ohren nicht trauen. Dieser Nôd’onn, oder wer auch immer das Zepter über das Tote Land schwang, holte sich den nächsten Schrecken in seine Reihen, um die südlichen Reiche zu bedrohen. Den Menschen und Elben standen verheerende Zyklen ins Haus.
»Ich mache es so, wie dein Meister es vorschlägt«, verkündete Ushnotz, dem der Kompromiss sichtlich nicht behagte. »Und ich werde Großfürst werden.«
Kragnarr funkelte ihn böse an. »Dann mache ich es auch so«, verkündete er grölend. »Die Sippe der Kragnarr-Shorr wird mehr Land als eure Männer zusammen erobern«, verhöhnte er die beiden Fürsten. »Ich werde Großfürst! Über alle Sippen!«
»Niemals«, grunzte Bashkugg gereizt. »Wir überrennen die Städte der Rotbluter schneller als ihr!«
»Das werden wir bald sehen. Ihr teilt euch auf und dringt in drei verschiedene Himmelsrichtungen vor«, sagte Sinthoras und langte in seine Gürteltasche, aus der er drei schlichte, dunkelblaue Kristallamulette hervorzog, die er den Orks zuwarf. »Sie sind von meinem Meister für euch. Es sind Geschenke, die ihr immer tragen sollt und die euch vor den Zauberkräften der Feinde schützen.«
Ein mutiger Ork trat unterdessen näher an die Pferde heran und schnupperte prüfend in deren Richtung.
Der Schädel des Rappen ruckte herum, die Kiefer öffneten sich und schnappten zu. Scharfe Zähne schlossen sich um die Schulter des Scheusals und rissen einen ordentlichen Brocken Fleisch heraus.
Hellgrünes Blut quoll aus der tiefen Wunde. Schreiend sprang der Verletzte zurück. Ein Zweiter zückte grunzend sein Schwert und hob es, um das bissige Pferd zu schlagen.
Da zuckte die rechte Hinterhand nach hinten, der Huf traf das Ungeheuer gegen die breite Brust. Es blitzte grell auf, und der Ork wurde mehrere Schritte durch die Luft geschleudert, wo er hart zu Boden fiel.
Ehe er sich aufstemmen konnte, stand das zweite Tier über ihm und stampfte ihm die Vorderläufe in den Wanst. Die Rüstung wurde verbogen, und ein berstendes Geräusch erklang, als die Bauchdecke platzte. Der schwarze Kopf stieß nieder, die Zähne gruben sich in die verwundbare Kehle und fassten zu. Es knirschte laut, und das angst- und schmerzerfüllte Schreien des Orks riss ab.
Der Zwerg traute seinen Augen nicht, als das Tier das abgebissene Stück Hals verschlang, während der zweite Rappe laut und schadenfroh wieherte.
Der blonde Alb wandte sich um und rief etwas Unverständliches; die Wesen, die nur äußerlich Pferden glichen, beruhigten sich augenblicklich und trotteten gehorsam zu ihren Herren, die sich elegant in die Sättel schwangen.
»Ihr wisst, was von euch erwartet wird. Seid schnell und haltet euch an die Abmachung«, sprach Sinthoras düster und wendete sein Reittier. Die Albae rückten ab.
Die Umstehenden wichen hastig vor den Rappen zurück und bildeten eine breite Gasse, um den scharfen Zähnen nicht zu nahe zu kommen. Nach und nach fanden die Orks ihre Stimmen wieder.
Der Verwundete drängte sich nach vorn. »Schau, was sie gemacht haben, die Spitzohren!«, schrie er wütend auf Bashkugg ein und presste ihm seine blutverschmierte Klaue ins Gesicht. »Sie haben Rugnarr getötet, dafür müssen wir sie töten!«
Der stämmige Anführer wischte sich das Blut aus den Augen. »Halt’s Maul, dämlicher Idiot«, brüllte er zurück und setzte eine Reihe von Schimpfworten hinterher. »Sie gehören zu uns.«
»Die? Zu uns? Wir werden sie genauso fressen wie die Rotbluter«, zeterte der Ork weiter und erhielt Unterstützung von drei weiteren seiner Sippe. Derart ermutigt, schickte er sich an, seinen Kurzbogen zu spannen und nach den Boten zu zielen. »Ich will wissen, wie sie und ihre Pferde schmecken!«
Der Zwerg wusste, dass es keine Pferde waren. Er erinnerte sich: Die Bücher Lot-Ionans nannten sie Nachtmahre, ehemalige Einhörner, denen das Böse die reine Seele, das weiße Fell und zu guter Letzt das Horn genommen hatte, um sie zu Wesen der ewigen Nacht zu machen. Sie fraßen Fleisch und trugen einen unstillbaren Hass auf alles und besonders auf das Gute in sich, was sie zu gefürchteten Jägern machte.
Bashkugg wurde die Schreierei zu dumm. Er griff sein grob geschmiedetes Schwert und hieb dem Aufsässigen von schräg oben in den Hals; die Klinge drang bis zur Mitte ein und wurde mit brachialer Gewalt herausgerissen. Dann packte der Fürst einen weiteren Ork am Hals und schlug ihm den Kopf ab. Er reckte den triefenden Schädel weithin sichtbar in die Luft, stieß einen langen Warnschrei aus und zeigte seine Hauer, ehe er ihn zu Boden warf und zerstampfte. Der Schädelknochen zerbrach in viele kleine Stückchen, die in der dunkelgrauen Hirnmasse versanken. Auch die letzten beiden Aufständischen starben durch das Schwert. So lösten die Orks ihre Streitigkeiten.