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Jeder Stoß gegen die Falle übertrug sich auf sein Bein, und ein unterdrücktes Ächzen drang aus seinem Mund. Entschlossen entfernte er das gewundene Eisenstück, und der Druck der Klammern ließ nach.

Vorsichtig befreite er sich vom Fangeisen und schleuderte es wütend davon. Dann stemmte er sich an der Grubenwand in die Höhe, aber als er das verletzte Bein belastete, schoss ein glühendes Stechen durch den Schenkel. Rennen können würde er damit nicht; wahrscheinlich konnte er sich schon glücklich schätzen, wenn es ihm gelänge, seinem Gefängnis zu entkommen.

Die Sorge um die Menschen in Gutenauen aber verlieh ihm immense Kräfte. Zuerst warf er sein Gepäck hinaus, hing sich den Sack mit den Artefakten auf den Rücken und krallte sich in die Wurzeln, die aus dem Erdreich ragten. Keuchend zog er sich nach oben. Mit letzter Kraft schwang er sich über den Rand und fiel schwer atmend ins Laub.

In Zukunft werde ich besser auf den Untergrund achten, auf dem ich mich bewege, dachte er. Nach einer Weile kroch er zum Waldrand und wusste schon wegen der frischen Luft, die der Frühlingswind herbeitrug, dass die Horden fort waren. Das Ackerland war verlassen.

Eine große schwarze Rauchsäule, die am Horizont stand und die Form einer Gewitterwolke hatte, verriet sie. Tungdil rappelte sich auf, nahm den Rucksack an sich und marschierte los, Dreck und trockenes Laub aus den Haaren schüttelnd.

Sein Hass und seine Wut verdrängten die Schmerzen in seinem Bein; sie beflügelten ihn, und auf einmal konnte er doch rennen. Wenn er die Gutenauener wegen seiner Unachtsamkeit nicht hatte warnen können, so wollte er ihnen wenigstens beistehen.

Die Warnungen, die ihm sein Verstand einflüsterte, prallten an seiner Sturheit ab. Tungdil konnte nichts davon abbringen, die Siedlung zu erreichen; der nicht enden wollende Qualm peitschte ihn an.

Am Nachmittag traf er nass geschwitzt auf dem Hügel über dem Großdorf ein.

Gutenauen stand in Flammen. In den Holzpalisaden klafften Breschen von mehreren Schritt Breite, an zwei weiteren Stellen waren sie weggebrannt. Überall lagen die verstümmelten Körper und Gliedmaßen der Verteidiger umher.

Er entdeckte die Überreste der Söldner, ihre Köpfe steckten auf den eigenen Speeren. Mit gebrochenem Blick starrten sie von den Holztürmen auf das Brandinferno, das Gutenauen unaufhaltsam in einen Haufen schwarzer Ruinen verwandelte.

Tungdil hörte keine Hilfeschreie, keine Befehle, um das Löschen des Feuers zu koordinieren und die verbliebenen Häuser zu retten. Alles, was er wahrnahm, was das laute Knistern der Flammen, das Knacken des brennenden Holzes und das Rumpeln der einstürzenden Dächer und Häuser. Im Dorf lebte niemand mehr.

Er packte die Axt und marschierte in die vernichtete Siedlung. Vielleicht sind Menschen in den Trümmern eingeklemmt, die ich retten kann. Tungdil klammerte sich an den Stiel und humpelte weiter, durch das Tor hindurch, die Hauptstraße entlang.

Der heiße Feuerwind roch nach verbranntem Fleisch. Die Stichflammen loderten aus den Fenstern, die Scheiben waren durch die Hitze gesprungen, es brannte überall.

Getötete Dörfler lagen wie erschlagenes Ungeziefer dicht an dicht in den Gassen und auf den Wegen. Einige der Frauen ruhten mit entblößten Brüsten und Unterleibern im Dreck, ihre Rümpfe zeigten tiefe Kratzer und Bissspuren. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, was die Bestien mit ihnen getan hatten.

Schaudernd stieg er über die Leichen hinweg und lauschte, ob er nicht wenigstens ein Stöhnen hörte, das ihm einen Hinweis auf Überlebende gegeben hätte. Nichts, nur Grabesstille.

Die Hitze nahm zu. Die intakten Wände wirkten wie ein Backofen und steigerten die Temperatur derart, dass der Zwerg das sterbende Dorf verlassen musste.

Er kehrte auf den Hügel zurück, setzte sich und zwang sich, dem Untergang der Siedlung zuzuschauen. Meine Schuld. Verzweifelt barg er das bärtige Gesicht in den Händen und weinte. Er vergoss Tränen der Wut und der Hilflosigkeit, und es dauerte lange, bis er sich wieder fing.

Die Orks hatten ihm vor Augen geführt, warum sein Volk an den Gebirgspässen Wache stand; die Menschen konnten sich nicht gegen die Ungeheuer verteidigen. Tungdil sah mit tränenverschleiertem Blick auf das Großdorf. So durfte es nirgends aussehen.

Er wischte sich die salzigen Tropfen von den Wangen und rieb die Hände am Umhang ab; sein Unterschenkel schmerzte so sehr, dass er seinen Aufbruch verschob. So rollte er sich auf der Spitze der Erhebung zusammen, deckte sich zu und verfolgte das Spiel der Flammen, während die Sonne versank.

Der Brand tobte die halbe Nacht, ehe das Feuer keine Nahrung mehr fand. Hier und da glomm es rot in den Ruinen; den Zwerg erinnerte es an die schrecklichen Augen der Nachtmahre. Dass man in so wenigen Tagen so viel Furchtbares erleben kann, dachte er traurig.

Morgen wurde es Zeit, dass er seine eigentliche Aufgabe anpackte und die Artefakte überbrachte. Danach musste er Lot-Ionan überzeugen, die Dinge im Geborgenen Land anzugehen, ehe die Albae und Orks zu mächtig wurden.

Als Tungdil am nächsten Morgen erwachte, sah er, dass sich seine vage Hoffnung, in einen bösen Traum geraten zu sein, nicht erfüllte.

Die Sonne versteckte sich hinter grauen Wolken, und es roch nach Regen. Gutenauen bestand aus rauchenden Trümmern, eingestürzten Wänden und ausgebrannten Gebäuden, deren Reste wie schwarze Gerippe mahnend in den düsteren Himmel ragten.

Weißer Nebel zog von den Feldern und aus den Obsthainen zu den Überbleibseln des Großdorfes hinüber und hüllte es beständig ein. Die Erde trauerte um die Menschen und legte einen Schleier über den Ort, an dem vor einem Tag noch Leben geherrscht hatte.

Der Zwerg ertrug den Anblick nicht länger, er nahm seine Sachen und brach auf. Während er vorwärts humpelte, aß er eine Kleinigkeit von seinem Proviant. Das Brot, das er vor seiner Abreise in Gutenauen gekauft hatte, blieb ihm fast im Hals stecken; für ihn schmeckte es nach Blut und Schuld, und er steckte es wieder ein.

Die Wunden in seinem Bein brannten. Wenn er nicht bald ein Mittel gegen die Entzündung fände, drohte ihm Fieber. Schlimmstenfalls würde sich eine Vergiftung im Unterschenkel ausbreiten, was ihn das Bein und sogar das Leben kosten konnte.

Sein Marsch verlief ereignislos; er überquerte die Grenze zu Gauragar und rastete am Abend unter seiner Eiche. Ihr Blätterdach schützte ihn vor dem Regen, der mitten in der Nacht einsetzte und erst am späten Morgen nachließ.

Am fünften Umlauf seiner Wanderung fühlten sich die Stellen um die verkrusteten Wunden heiß an, und wenn er gegen die Haut drückte, quoll gelbgrüner Eiter unter dem Schorf hervor. Tungdil biss die Zähne zusammen.

Es brachte nichts, am Wegesrand auf Hilfe zu warten. Er schleppte sich durch den feinen Nieselregen die Straße entlang, die sich zusehends in eine Schlammbahn verwandelte. Endlich erreichte er ein kleines Gehöft mit sechs Bauernhäusern; seine Stirn glühte längst.

Eine hellhaarige Frau in einfacher Bauerntracht kam mit zwei Milcheimern aus dem Stall und wurde auf die torkelnde Gestalt aufmerksam. Sie blieb stehen.

Tungdil konnte sie nicht mehr klar erkennen, für ihn war sie nur ein verschwommener Schatten. »Vraccas sei mit Euch«, bekam er noch über die Lippen, dann stürzte er vornüber in den Matsch und schaffte es nicht einmal mehr, die Arme zu heben, um den Sturz abzufangen.

»Opatja!«, rief die Frau durchdringend und stellte ihre Last ab. »Komm heraus, schnell!«

Schritte näherten sich ihm, er wurde auf den Rücken gerollt.

»Fieber«, sagte ein verformtes, undeutliches Gesicht, und die Stimme hallte laut in seinen Ohren. Jemand machte sich an seinem Bein zu schaffen. »Oha, Wundbrand. Bringt ihn vorsichtig in die Scheune.« Er wurde angehoben und schwebte. »Er braucht Kräuteraufgüsse.«

»Was ist das?«, fragte eine Kinderstimme. »So was habe ich noch nie gesehen.«

»Es ist ein Unterirdischer«, antwortete eine Frau.