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»Ein flacher Gipfel?«, wunderte sich der Zwerg und nahm das Bier dankend an. Die Kinder rückten näher zusammen und lauschten.

Opatja nickte. »Er sieht aus wie ein eckiges Seifenstück, das Palandiell einfach in den Wald geworfen hat, vierhundert Schritt hoch, eine Meile und zweihundert Schritt lang und dreihundert Schritt breit.« Zur Erklärung nahm er den Käse und schnitzte ihn in eine rechteckige Form. Dann schnitt er lange Rillen von oben nach unten hinein, sodass ringsherum Furchen entstanden. »Die kommen vom Regen und dem Wind«, sagte er zu den Kindern.

»Ich erinnere mich. Man nennt eine solche Form Tafelberg, weil er oben flach wie ein Tisch, eine Tafel ist«, sagte Tungdil. »Ich kenne sie aus den Büchern meines Magus.« Er versuchte sich vorzustellen, wie der Felsbrocken in Wirklichkeit aussah. Als der Kaufmann den Berg beschrieb, glaubte er, eine Legende darüber gelesen zu haben; sie fiel ihm allerdings nicht ein. Dreihundert Meilen bedeuteten jedoch genug Zeit, sich zu entsinnen.

»Was möchtest du dort?«

»In der Nähe wohnt jemand, ein Einsiedler, ein ehemaliger Schüler meines Magus«, antwortete er. »Mein Herr möchte wissen, wie es ihm geht. Ich soll mich mit eigenen Augen von seinem Wohlbefinden überzeugen.«

Opatja betrachtete Tungdils verletzten Unterschenkel. »Warte noch ein paar Tage, ehe du deine Reise fortsetzt. Wir geben dir genügend Kräuter mit, damit du deine Wunde unterwegs behandeln kannst.« Er nahm die Briefe an Lot-Ionan und verließ die Scheune.

»Ich stehe tief in Eurer Schuld«, sagte Tungdil dankbar.

»Ach was«, winkte der einstige Kaufmann ab und lachte. »So viel Ruhe vor der Rasselbande hatten wir schon lange nicht mehr.«

Er überließ den Gast den fragewütigen Kleinen, die prompt das Verhör fortsetzten. Sie staunten, als sie hörten, dass er schon dreiundsechzig Zyklen alt war.

»Dein Bart müsste doch viel länger sein«, sagte Jemta argwöhnisch. »Großvater erzählt, dass Unterirdische ihre Bärte bis auf den Boden tragen.«

»Wir sind Zwerge, keine Unterirdischen. Ich habe ihn seit dreißig Zyklen, aber ich musste ihn abrasieren, weil ich als Schmied immer Löcher von den Funken bekam und weil ihn mir jemand blau färbte«, erklärte er geduldig, und schon streckte der Junge mit den Segelohren die Hand aus und langte hinein.

»Das Haar ist viel härter und widerspenstiger als Vaters«, befand er.

»Es lässt sich nur mit Mühe kämmen, um aus den Strähnen einen oder mehrere Zöpfe zu flechten. Es passt zu meinem Volk«, grinste der Zwerg und zeigte, wie er seinen Bart herrichtete. »Wir schmücken ihn gern und tragen Wettkämpfe darin aus, wer den längsten und prächtigsten Bart besitzt. Nur wenige Zwerge tragen Backen-, Schnur-, Knebel oder ausrasierte Bärte. Die meisten sehen so aus wie ich«, behauptete er. Sein Wissen stammte aus den Büchern Lot-Ionans.

Die Kinder machten sich lachend Bärte aus Stroh und Heu, die sie sich mit Harzklümpchen, die sie im Gebälk der Scheune fanden, ins Gesicht klebten.

»Haben alle Unterirdischen … alle Zwerge einen Bart?«

»Ja. Und wenn ihr einen geschorenen Zwerg trefft, könnt ihr sicher sein, dass er für etwas bestraft wurde. Er muss so lange in die Verbannung, bis sein Gesichtshaar die Länge eines Axtstiels erreicht hat, und weil unsere Bärte langsam wachsen, dauert es bis zur Rückkehr Zyklen.« Wissen aus Büchern, zusammengetragen von Menschen. Er seufzte.

Sofort schnappte Jemta dem Segelohrjungen die Strohhalme aus dem Gesicht. »So, du bist verbannt! Verschwinde!«

Jetzt begann die Schlacht um die Kunstbärte; sie versuchten, sich gegenseitig zu verbannen, bis Remsa erschien und dem Treiben ein Ende bereitete. Nach lautem Protest verließen sie ihren neuen Spielgefährten und verabschiedeten sich.

Die Frau schenkte ihm ein herzliches Lächeln. »Sie vertrauen dir«, sagte sie. »Das ist ein gutes Zeichen. Eine angenehme Nacht, Tungdil. Wir beten zu Palandiell, dass sie dich rasch gesund macht.«

Sie mögen mich, wer hätte das gedacht? Er freute sich. Frala und ihren Töchtern hätte es auf dem Gehöft sicherlich sehr gefallen. Ich habe jetzt schon viel zu erzählen, wenn ich zurückkehre. Sie werden es mir nicht glauben. Der Zwerg berührte das Halstuch der Magd, sank auf sein Lager und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Die Fragen über die Reichtümer und Besonderheiten der Zwergenreiche schmerzten ihn, weil er den Jungen und Mädchen nur Wissen aus Büchern vortrug. Es wird Zeit, dass ich echte Kinder des Schmieds treffe.

IV

Das Geborgene Land, das Königreich Gauragar im Jahr des 6234sten Sonnenzyklus, Frühsommer

Tungdil fand bald eine Gelegenheit, sich für die Aufmerksamkeit und die Pflege bei den Bauern zu bedanken. Zwei Tage später, als sein Bein nicht mehr schmerzte, stand er an der Esse der kleinen Gehöftschmiede, denn der Schmied hatte sich einen Arm gebrochen und war nicht in der Lage, seine Aufträge für die Bauern der Umgebung zu erledigen. Die kostenlose Hilfe des Zwergs kam ihm gerade recht.

Die Kinder betätigten abwechselnd den Blasbalg und stritten sich bald um die verantwortungsvolle Aufgabe; Tungdil schob die Rohlinge in die Kohlen und wartete darauf, dass sie kirschrot glühten.

Die Kinder standen um ihn herum, während er den Hammer auf das Eisen niederfahren und die Funken fliegen ließ. Jeder Hieb, jedes Klingen wurde von beglücktem Lachen begleitet.

Der Schmied nickte Tungdil anerkennend zu. »Ich habe selten so schnelle und vor allem gute Arbeit gesehen hatte«, lobte er. »Die Unterirdischen haben das Schmieden anscheinend wirklich erfunden.«

»Es heißt Zwerge, nicht Unterirdische.«

»Verzeih«, lächelte der Mann entschuldigend. »Die Zwerge haben das Schmieden erfunden.«

Tungdil grinste. »Hier ist trotzdem noch viel zu tun, ich kann so schnell sein, wie ich will. Ich werde noch einen Umlauf anhängen, ehe ich zum Schwarzjoch reise.«

»Wie macht man denn Nägel?«, wollte Jemta wissen und unterbrach die Männer keck in ihrem Gespräch.

»Du wirst die nächste Schmiedin, was?« Tungdil fuhr ihr durch die blonden Haare und brachte ihr bei, wie man Nägel machte. Stolz zeigte sie ihren Eltern, was sie zu Stande gebracht hatte, während der Zwerg sich um eine neue Kurbel für den Brunnen kümmerte.

Nachmittags verließ er die Gluthitze der Schmiede, um sich mitsamt seiner mittlerweile recht stark riechenden Kleider in einen Bottich mit Wasser zu legen und sich zu erfrischen.

Ich werde gleich zischen wie das heiße Eisen, wenn man es in den Eimer taucht. Das Nass war eisig kalt; kurz verschlug es ihm den Atem, dann genoss er die Kühle und sank vollständig unter Wasser, um prustend und schnaubend an die Oberfläche zurückzukehren. Er rieb sich gerade die Augen frei, als ein Schatten über ihn fiel. Eisen klirrte, und es roch nach Öl.

Ein Gerüsteter, dachte Tungdil und blinzelte vorsichtig.

Ein imposanter Mann von etwa dreißig Zyklen lehnte an der Wand der Schmiede, die Arme über der gepanzerten Brust gekreuzt. Obwohl er etliche Waffen mit sich führte, trug er keinerlei Uniform oder Wappen, die ihn als einen regulären Kämpfer gekennzeichnet hätten.

»Sucht Ihr mich, Herr?«, fragte er und stieg aus der Wanne. Das Wasser plätscherte aus seinen Kleidern und tränkte den sandigen Boden.

»Bist du der Schmied?«, erhielt er zur Antwort.

»Nein. Ich gehe ihm zur Hand. Wenn Ihr etwas repariert haben wollt, könnt Ihr Euch an mich wenden.« Der Zwerg blieb höflich, obwohl er den Mann auf Anhieb nicht mochte. Dessen graue Augen musterten ihn so eindringlich, als wollte er durch die Kleidung in sein Innerstes blicken.

»Wir haben zwei Pferde, die beschlagen werden wollen. Kannst du das?«

Nun hatte er es sich endgültig mit Tungdil verscherzt. »Sicher. So wie Ihr vermutlich reiten könnt, sonst würdet Ihr Euch auch kein Pferd kaufen«, entgegnete er und umrundete die Hütte. Er bemühte sich, dabei so würdevoll wie möglich auszusehen, auch wenn er eine Wasserspur hinter sich herzog, seine Haare glatt herabhingen und seine Stiefel Geräusche machten, als hätte er einen Sumpf unter den Sohlen.