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»Oder der Versuch misslingt, und wir gelangen zu der schrecklichen Erkenntnis, dass weder Weltliches noch Geistiges einen ebenbürtigen Gegner darstellen«, meinte Nudin trocken.

Lot-Ionan wagte an diese schlimmste aller Möglichkeiten nicht zu denken. Das Geborgene Land fiele der finsteren Macht damit früher oder später in die Hände. Die Menschen, die Tiere, die Natur wären von diesem Augenblick an dazu verdammt, bis in alle Ewigkeiten ihr Dasein als Untote zu fristen und dem Willen der schrecklichen Kraft aus dem Norden zu gehorchen. Ein Schauder der Furcht rann durch seinen Körper. »Nein, das darf nicht geschehen.«

Andôkai fand als Erste ihre Sprache wieder. Sie wirkte besorgt, als sie sich an die fünf wandte. »Ich weiß, dass einigen mein Glaube an Samusin Schwierigkeiten bereitet. Doch es ist, wie es ist. Wir müssen etwas unternehmen.«

»Du überraschst mich«, gestand Lot-Ionan. »Ich hätte dir zugetraut, dich gegen die Vertreibung auszusprechen.«

»Samusin ist der Gott des Ausgleichs. Wo nur Dunkel ist, existiert nicht einmal mehr der Schatten. Wir können nicht zulassen, dass der Albtraum eines unterjochten Landes Wirklichkeit wird. Ich stimme deinem Vorschlag zu«, bekräftigte sie. »Wenn das Tote Land geht, wird das Gleichgewicht von selbst wieder hergestellt.«

Sie stimmten ab; alle waren dafür, den Vorschlag Lot-Ionans in die Tat umzusetzen.

»Dennoch sollten wir zuerst die bestehenden Barrieren erneuern. Es nützt nichts, wenn unsere Famuli noch auf dem Weg sind und das Tote Land in der Zwischenzeit die Sperren durchbricht«, warnte Nudin heiser. »Ich schlage vor, wir ruhen uns eine Stunde aus und nehmen ein leichtes Mahl zu uns, ehe wir gemeinsam zur Tat schreiten.«

Der Rat war damit einverstanden und löste sich auf. Nudin bat Lot-Ionan, noch ein wenig zu warten, und führte ihn etwas abseits zum Nordfenster des Palastraumes.

Jetzt, wo sie dicht voreinander standen, bemerkte der Zauberer, wie massig und aufgeschwemmt Nudin war. In seinem Augenweiß entdeckte er Dutzende von geplatzten Äderchen, die Pupillen glitzerten fiebrig. Er ist todkrank!

Nudin musste husten und hielt sich rasch ein Taschentuch vor den Mund; mit der anderen Hand klammerte er sich an seinen Ahornstab und suchte Halt. Hastig steckte er das Tuch wieder ein.

Lot-Ionan meinte, Blut darin gesehen zu haben. »Du solltest dir von Sabora die Hand auflegen lassen«, sagte er besorgt. »Du siehst … mehr als krank aus.«

Nudin aber winkte ab und bemühte sich, ein unverbindliches Lächeln auf sein schwammiges Gesicht zu zwingen. »Nur eine ordentliche Erkältung, nichts weiter«, schwächte er ab. »Es schadet dem Körper nicht, wenn er einmal gefordert wird.« Er nickte seinem Gegenüber anerkennend zu. »Dein Vorschlag war sehr gut. Da du sogar Andôkai überzeugt hast, werden die anderen dir folgen.« Mühsam unterdrückte er einen neuerlichen Hustenanfall; sein Kopf wurde rot. »Wir Magi haben uns viel zu lange nur um uns selbst gekümmert. Sabora lasse ich dabei einmal außen vor«, sagte er gepresst. »Es ist gut zu sehen, dass es noch andere Dinge gibt, für die wir geschlossen eintreten. Schade, dass es dazu solch beängstigender Umstände bedurfte.«

»Nanu?«, meinte Lot-Ionan verdutzt. »Führst du einen neuen Beinamen und heißt nun ›der Selbstkritische‹« Heute fand er den Zauberer ganz annehmbar, weil er weniger herablassend auftrat als sonst. Falls es an der Erkrankung lag, so wünschte er Turgur und Andôkai dieselbe.

Nudin lachte; der Heiterkeitsausbruch ging in starkes Husten über. Dieses Mal sah Lot-Ionan das Blut, das zwischen den Lippen hervortrat, ehe der Magus es abwischte. »Du wirst zu Sabora gehen«, wiederholte er seine Worte und wählte den Befehlston absichtlich. »Für das Ritual brauchst du Kraft, und die scheinst du dringend zu benötigen.«

Nudin hob abwehrend die Hand. »Du hast gewonnen. Ich besuche sie«, krächzte er. »Eines noch: Wo sind meine Artefakte, alter Freund?«

Um diese Angelegenheit hätte Lot-Ionan sich gern gedrückt. »Ich habe den Beutel vergessen«, gestand er. »Wenn meine Famuli nach Porista kommen, wirst du sie erhalten.«

Nudin grinste. »Immerhin, du hast sie gefunden. Keine Sorge, es eilt nicht. Das Tote Land hat Vorrang.«

»Ich habe noch daran gedacht, in den Schrank meines Arbeitszimmers zu sehen und sie zusammenzupacken, aber die Unterredung mit dir hat mich so aufgewühlt, dass ich alles stehen und liegen ließ«, ärgerte er sich.

Der Herr über Lios Nudin klopfte ihm auf die Schulter. »Lass es gut sein.« Er wankte leicht. »Und nun entschuldige mich. Ich muss mich ein wenig hinlegen«, verabschiedete er sich und schritt zum Ausgang. Sein weites Gewand rauschte leise, und das Ende seines Stabes prallte in regelmäßiger Folge hart auf den Boden.

»Geh zu Sabora!«, rief Lot-Ionan ihm hinterher.

Nachdenklich schaute er aus dem Fenster über die geschmackvoll angelegten Gärten des Palastes und die Dächer der Stadt und hob seinen Blick zum Horizont, wo das Grün der Felder und das Blau des Himmels zu einer Linie verschmolzen. Man erkannte von hier aus keinen Unterschied, doch es war da, das Tote Land, nur wenige Meilen von hier.

Nach einer Weile spürte er eine sanfte Hand auf seiner Schulter, roch einen lange nicht mehr wahr genommenen Duft, und sein altes Herz schlug schneller. Er hob die Rechte und legte sie auf die Hand auf seiner Schulter. »Meine liebe Freundin«, sagte er und wandte sich zu Sabora um.

»Mein lieber Freund«, antwortete sie und strahlte ihn an.

Über den Anblick Saboras freute er sich jedes Mal von neuem. Sie hielt es mit dem Alter wie er, sie bekannten sich beide dazu. Es beruhigte ihn ungemein, nicht der einzige faltige Greis unter so vielen jungen Gesichtern zu sein.

Er war nicht eitel, doch bei den Zusammenkünften kam er sich stets doppelt so alt vor. Andôkai sah mit ihren einhundertfünfzig Zyklen aus wie dreißig, Maira trotz ihrer dreihundert Zyklen wie eine Fünfzigjährige, und Turgur manipulierte sein Erscheinungsbild ohnehin und bewahrte sich die äußere Fassade eines stattlichen Mannes von vierzig.

Sabora kannte seine Gedanken. »Sie werden auch älter, Lot-Ionan, gräme dich nicht«, sagte sie tröstend, und die beiden umarmten sich lange.

»Was macht deine Kunst?«, fragte sie schließlich.

»Ich arbeite eifrig daran, aber mein Gehilfe hat mir eine wertvolle Formel ruiniert, ehe ich dazu kam, sie anzuwenden«, berichtete er. »Bald wird es mir gelingen, Magie in Dingen und Menschen sichtbar zu machen, was uns in der Erforschung wesentlich weiter bringen wird. Und du? Sind deine Heilkräfte bald so weit gediehen, dass du sämtliche Krankheiten besiegen kannst?«

Sabora hakte sich bei ihm unter. Gemeinsam schlenderten sie die Arkaden entlang. »Einfache Verletzungen bedeuteten schon lange keine Herausforderung mehr für mich. Derzeit kümmere ich mich darum, die Pest auszumerzen«, berichtete sie. »Und das mit beachtlichem Erfolg. Aber es kommen immer noch genügend Menschen zu mir, die an rätselhaften Erkrankungen leiden. Die Götter denken sich täglich neue Plagen aus.«

»Du wirst es schaffen, dass die Menschen eines Tages ohne Beschwerden leben«, sprach er ihr Mut zu. »Hat Nudin schon mit dir geredet? Er sieht schrecklich aus.«

Die Maga schüttelte das Haupt. »Nein. Er ging an mir vorüber, ohne etwas zu sagen.« Ein verschmitztes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. »Aber gegen sein Übergewicht bin ich machtlos. Turgur ist derjenige, der seinen Leib und sein Gesicht durch die Magie nachträglich modelliert hat.«

»Er muss seinem Ziel näher gerückt sein, seine Wohlgestaltetheit im Alter nicht zu verlieren. Ich hatte ihn mit mehr Unebenheiten und Falten im Gesicht in Erinnerung.«

Sie machten in einem der vielen Gärten Halt und setzten sich.