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Der Geduldige hatte die seltsamen Worte Turgurs nicht vergessen und spähte durch die halb geöffneten Lider, was Nudin tat. Erleichtert stellte er fest, dass er sich nicht sonderlich auffällig verhielt.

Die Symbole um die Hüterin glommen nacheinander grell auf; sie stand in einem gleißenden, irisierenden Strahl, der weithin sichtbar senkrecht nach oben in den schwarzen Himmel strahlte und ihre Gestalt beleuchtete. Maira war bereit.

Reihum flammten die Kreise auf und badeten die Zauberkundigen in Licht. Die Bewohner Poristas starrten gewiss mit Begeisterung zum Palast des Rates und freuten sich über das seltene Schauspiel.

Die enorme Energie der Magie lud den Raum auf, und überall knisterte es. Kleine bläuliche Elmsfeuer sprangen zwischen den Säulen hin und her.

Die Hüterin legte ihre Hände auf den Malachit, die anderen fünf taten es ihr nach. Lot-Ionan sah, dass Turgur die Augen nicht von Nudin wandte und äußerst angespannt wirkte.

Die beschworene Macht floss durch sie hindurch und schoss in den dunkelgrünen Kristall, der daraufhin zu pulsieren begann. Sein Leuchten steigerte sich, bis die Sechs die Finger von der kühlen Oberfläche lösten und einen Schritt zurück machten.

»Begib dich auf die Reise und verstärke das unsichtbare Band, welche das Tote Land fesselt«, rief Maira und sprach die Formel. Der Malachit und die Magie gehorchten ihr, die Energie trat als funkelnder, weißlicher Schein aus der Mitte des Tisches.

Nudin aber ergriff unvermittelt seinen Stab und hielt die Spitze direkt in die konzentrierte Macht. Der Stein absorbierte das Weiß. Ein schwarzer Blitz löste sich aus dem schwarzsilbernen Schmuckstein und übertrug die umgewandelte Kraft in den Magus, der grauenvoll schrie und sich unter Schmerzen wand.

»Verräter!« Turgur nahm seinen Zauberstab zur Hand und wollte den Onyx aus dem Stahl schlagen, aber eine unsichtbare Schutzwand hinderte ihn daran.

Der Stein saugte dem Malachit den winzigsten Rest Magie aus, das Schimmern über der Platte erlosch ebenso wie das Glimmen der Zauberkreise. Das Ritual war beendet, die Macht gesammelt und freigegeben worden. Nudin taumelte rückwärts, um sich erschöpft an eine Säule zu lehnen.

Lot-Ionan schaute zu Turgur, der offenbar mehr über das Vorhaben Nudins gewusst hatte »Er hat uns verraten!«, schrie der Schöne außer sich. »Er ist auf der Seite des Toten Landes! Hätte ich die Hinweise doch nur früher erhalten.«

»Was sollte das?!«, brauste Andôkai auf und lief zu Nudin. Ihre kräftigen Hände packten den Magus bei den Schultern, und es sah aus, als wollte sie ihn schlagen.

Doch er kam ihr zuvor.

Seine geballte Faust krachte so pfeilgeschwind gegen ihr Kinn, dass sie keine Gelegenheit erhielt, den Schlag zu parieren. Die Stürmische wurde emporgerissen, flog einige Schritte durch den Raum und fiel rücklings auf den Malachittisch, wo sie regungslos liegen blieb.

»Du wirst uns erklären müssen, was du angerichtet hast, Nudin«, verlangte Lot-Ionan scharf.

Der dunkel gekleidete Magus richtete sich auf. »Schweig, du alter Narr«, herrschte er ihn an und reckte den Stecken mit dem Onyx voraus gegen den Mann.

Die vier Zauberkundigen bereiteten sich vor, auf einen magischen Angriff zu reagieren. Die Krankheit musste seinen Verstand verändert haben, Wahn war bei Magi nichts Ungewöhnliches.

»Was sollte das, Nudin?«, wiederholte Sabora die Forderung eindringlich. »Geht es dir um Macht? War es eine List, um durch das Ritual an mehr Kraft zu gelangen? Oder entsprachen Turgurs Worte der Wahrheit? Das wäre töricht.« Sie schaute rasch zu den anderen. »Lege deinen Stab zu Boden, ehe ein Unglück geschieht.«

»Das Unglück ist bereits geschehen«, hielt er dagegen. »Das Unglück war, dass ihr all die Jahre das Falsche getan habt. Ihr habt es bekämpft, anstatt mit ihm zu reden. Es hat in vielen Dingen Recht!«

»Das Tote Land!«, raunte die Hüterin entsetzt. »Du hast mit ihm … gesprochen?«

»Ich habe von ihm gelernt«, stellte er richtig. »Ihr überlasse euch die Wahl. Seid ihr für mich oder gegen mich, wenn ich das Geborgene Land verändere und schütze?«

Lot-Ionan langte nach seinem Stab. Es stand außer Frage, wie er sich entschied. »Du hast dir mit der heutigen Tat fünf Feinde gemacht«, sagte er traurig. »Wissbegier und Neugier sind dir zum Verhängnis geworden. Du hättest nicht auf die Stimme des Bösen hören sollen.«

»Es ist nicht das Böse«, hielt Nudin dagegen und setzte zu einer Erklärung an, als dünne Blutfäden aus seiner Nase und dem linken Auge sickerten; sie zogen dunkelrote Linien über das teigige Gesicht. Er stockte.

»Sieh, was es aus dir macht«, sagte Maira sanft. »Sage dich von ihm los, Nudin!«

»Nein«, stieß er angsterfüllt hervor. »Nein, niemals! Es weiß so viel, mehr als all meine Bücher, ja, mehr als alle Menschen und Magi zusammen.« Seine Stimme überschlug sich. »Es ist die Erfüllung meiner Träume. Versteht doch, es allein kann mich weiterbringen!«

»Du kannst nicht mehr zurück, weil du ein Teil des Landes geworden bist. Und für das Wissen verlangt es einen solch geringen Lohn wie das gesamte Geborgene Land mit all seinen Menschen und Wesen?«, bemerkte Turgur spitz. »Ja, das klingt nach einem guten Geschäft, mein Bester.«

»Niemand wird dir beistehen, Nudin«, kündigte Sabora flüsternd an. Sie schüttelte den silbernen Schopf. »Wie konntest du nur?«

»Ihr versteht nicht«, sagte er enttäuscht. »Es ist gekommen, um uns alle vor dem Unheil zu bewahren!«

»Vor dem Unheil zu bewahren?« Maira gab den anderen ein Signal. »Nein, Nudin. Es gibt nichts Schlimmeres als das Tote Land, kein Schrecken kann größer sein. Wir müssen es aufhalten«, sie atmete tief ein, »und wir müssen dich aufhalten.«

»Narren! Ihr werdet meinem Freund nichts antun.« Nudin murmelte unverständliche Worte und stieß mit dem Ende seines Stabes auf den Boden. Der Marmor sprang, ein Riss bildete sich, hielt geradewegs auf den Speicheredelstein zu und erreichte einen Herzschlag später den Sockel.

Der Malachit knackte wie Kandis in heißem Tee, bevor er in tausende kleiner Splitter zerbarst. Andôkai fiel auf die harten Platten und stöhnte nicht einmal; die grünen Trümmerstücke kullerten und sprangen um sie herum.

Lot-Ionan, dem der Gegenzauber zu spät über die Lippen kam, starrte wie die anderen vier entsetzt auf die Reste des einmaligen Steines. Er hat den Fokus unwiederbringlich vernichtet!

Während er wie gelähmt auf die grün schimmernden Fragmente schaute, zuckte ein blauer Feuerball an ihm vorüber, um den verräterischen Magus zu vernichten. Doch das magische Geschoss, das Turgur auf den Weg schickte, zerplatzte an einem Schutzzauber.

»Alle zusammen!«, rief Maira. »Bewahrt das Geborgene Land vor größerem Übel!«

Ihr Ruf weckte Lot-Ionan. Er verdrängte jegliche Gedanken über die mögliche Zukunft seiner Heimat und seine unendliche Enttäuschung über den Treuebruch Nudins, um sich auf den ungewöhnlichen Kampf zu konzentrieren. Die anderen benötigten seine Unterstützung. Doch in seinen zweihundertsiebenundachtzig Zyklen hatte er die Magie niemals zum Töten und Vernichten einsetzen müssen.

Die Frauen und Männer attackierten den Abtrünnigen zuerst mit rasch aufeinander folgenden Energieblitzen und Flammenbällen, um ihre Magie schließlich zu einem einzigen Angriff zu bündeln.

Nudins Schutzwand wurde von den Entladungen und dem Feuer umschlossen, seine Gestalt verschwand in dem Inferno. Sabora brachte zwei Säulen neben ihm zum Einsturz, worauf ein gewaltiges Stück Decke des Palastes über ihm einbrach; feiner Staub wirbelte auf und nahm ihnen die Sicht.

Keiner der vier wagte es, sich um Andôkai zu kümmern. Sie benötigten ihre ganze Aufmerksamkeit für Nudin.

»Lasst uns sehen, ob es uns gelang.« Maira sprach einen Zauber, um den Dreck zum Dach hinaus zu blasen. Als sich der Schleier lichtete, blickten sie ins Leere – der Wissbegierige war verschwunden. Nichts deutete darauf hin, dass sie ihn vernichtet hatten.